1934 Anna Dengel in islamischen Dorf Indien - © Tyrolia Verlag - Anna Dengel 1934 in einem islamischen Dorf in Indien

Der Pioniergeist der Anna Dengel

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Bis 1936 durfte eine katholische Ordensfrau weder Ärztin noch Hebamme sein. Wie sich das änderte, ist in einer eben erschienenen Biografie nachzulesen.

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Bis 1936 durfte eine katholische Ordensfrau weder Ärztin noch Hebamme sein. Wie sich das änderte, ist in einer eben erschienenen Biografie nachzulesen.

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Heute kann sich kaum jemand vorstellen, dass in der katholischen Kirche noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein ein aus heutiger Sicht unverständliches Verbot existierte: Priester und Angehörige von Orden konnten keine Ärzte bzw. Ärztinnen sein, und katholische Ordensfrauen durften nicht bei der Geburtshilfe assistieren. Es gab also auch keine Hebammen, die geistliche Schwestern waren. Man mag sich gar nicht vorstellen, welche Gründe zu diesen kirchlichen Verboten geführt hatten, es bedurfte jedenfalls eines starken Engagements, ja, man kann es Kampf nennen, der 1936 zur Aufhebung dieser Einschränkungen für Geistliche führte.

Ein absurdes Verbot bekämpft

Dieser Erfolg ist wesentlich das Verdienst einer gebürtigen Tirolerin, Anna Dengel (1892-1980), der Gründerin der Ordensgemeinschaft der "Missionsärztlichen Schwestern“. Die Publizistin Ingeborg Schödl entreißt diese kirchliche Pionierin in der eben erschienenen Biografie "Das Unmögliche wagen“ dem Vergessen.

Schödl hat sich schon wiederholt mit katholischen Frauengestalten auseinandergesetzt, die trotz Widerständen und Anfeindungen in der Kirche Veränderungen auf den Weg gebracht haben. Zu zeigen, dass "Gottes starke Töchter“, so einer der Buchtitel Schödls, schon viel erreicht haben, das aber immer noch unbekannt ist oder gar ignoriert wird, ist ein Lebensanliegen dieser Autorin. So hat sich Schödl in Buchform mit der mittlerweile selig gesprochenen Sozialreformerin Hildegard Burjan oder mit Margarethe Ottilinger, einer prägenden Nachkriegskatholikin in Österreich, auseinandergesetzt.

Und nun eben Anna Dengel, die Schödl schon zu Beginn mit dem Ausspruch zitiert: "Die Stärke der Frauen ist viel größer, als sie selbst vermuten.“ Und tatsächlich entpuppt sich das Lebensbild dieser Frau als eine Wegweisung, die weit über ihren Tod hinaus Wirkung zeigen sollte.

Dass ein im Tiroler Außerfern geborenes Mädchen schon mit 17 zwei Jahre nach Lyon als Deutschlehrerin geht, ist da ebenso außergewöhnlich wie die Tatsache, dass Anna Dengel 1913 ein Medizinstudium in Irland begann - als eine der ersten Frauen, die zur Ausbildung als Ärztin zugelassen wurden. Der Erste Weltkrieg schnitt die Studentin dann für Jahre von Heimat und Familie ab, aber ihre Berufung führte sie in die damals so genannte "Mission“.

Von Indien in die USA

Dengel kam 1920 als junge Ärztin ins damalige indische (heute pakistanische) Rawalpindi, wo sie erleben musste, wie katastrophal die hygienische und medizinische Situation für die dort lebenden Frauen war. Männliche Ärzte konnten die muslimischen Frauen nicht aufsuchen, und in den Missionsspitälern gab es zwar Ordensfrauen, die durften aber eben weder Ärztin noch Hebamme sein.

Die Not dieser Frauen gepaart mit ihrem Organisationstalent und ihrer Führernatur bedingten, dass Anna Dengel begann, hier für Änderungen zu kämpfen. Sie kam in die USA, wo sie mehrere Jahrzehnte leben sollte, und wo sie 1925 die Ordensgemeinschaft der "Missionsärztlichen Schwestern“ gründete - mit dem Ziel, die geistliche Lebensform mit den ärztlichen und pflegerischen Fähigkeiten zu verbinden.

Schödl beschreibt in dem spannenden Buch, wie der Kampf der Anna Dengel um die Anerkennung ihrer Gemeinschaft, die Aufhebung des kirchlichen Verbots ärztlicher und geburtshelferischer Tätigkeiten für Ordensleute, aber auch die Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche, wo sie sich gegen paternalistische Priester ebenso durchsetzen musste wie gegen andere Widerstände.

Eine weltweite Gemeinschaft

Es gelang Anna Dengel jedenfalls, von den USA aus eine internationale Ordensgemeinschaft zu etablieren, die bis heute weltweit tätig ist und mehr als 600 Schwestern zählt. 1958 verlegte Dengel, die dem Orden von der Gründung 1925 bis 1967 als Generaloberin vorstand, die Leitung ihrer Gemeinschaft nach Rom. Von dort aus koordinierte sie die Aufbauarbeit in aller Welt und bekam hautnah auch das Konzil mit. In Rom verstarb sie nach langer Krankheit 1980, dort ist sie auch begraben.

Kirchengeschichtliche Entwicklungen - erzählt anhand einer Biografie: so wird nicht nur die Wegweisung der Anna Dengel lebendig, sondern man kann mitverfolgen, wie sich eine Institution wie die katholische Weltkirche doch bewegt. Und dass es einmal mehr eine Frau war, die sich von den Widerständen nicht beeindrucken ließ, sondern tat, was sie tun musste. Ingeborg Schödl arbeitet genau das in "Das Unmögliche wagen“ heraus. Neben dem Verein "Freunde Anna Dengel“ ( www.freundeannadengel.at), der sich in Österreich gleichfalls um die Weiterführung von Dengels Anliegen bemüht, ist dieses Buch somit weit mehr als bloße Erinnerung.

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