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Der Attentäter ist zu klein, als dass er diese Katastrophe hätte allein auslösen können. Und J. F. Kennedy ist zu groß, um je tot zu sein. Da hilft nur der Glaube an eine Verschwörung.

Heute geht's ins Land der Verrückten", meint John F. Kennedy, nachdem er an Bord der Airforce-One einen Blick in die Dallas Morning News vom 22. November 1963 geworfen hat: In einer ganzseitigen "Willkommens-Anzeige" mit schwarzem Trauerflor, finanziert von erzkonservativen Wirtschaftsleuten, wird ihm vorgeworfen, er überlasse den Kommunisten das Feld. In Dallas hängen Flugblätter, die Kennedy in Steckbriefmanier darstellen und ihn des Landesverrats bezichtigen.

"Herr Präsident, Sie können nicht behaupten, dass Dallas Sie nicht liebt", ruft der texanische Gouverneur John B. Conelly dem Präsidenten zu, der hinter ihm in der offenen Limousine sitzt. Conelly ist erleichert, dass die befürchteten Störaktionen ausbleiben, stattdessen Tausende die Straßen säumen und John und Jackie Kennedy zuwinken. Länger als eine halbe Stunde ist der Konvoi aus 14 Fahrzeugen bereits unterwegs. Eine enge Linkskurve zwingt den Fahrer die Geschwindigkeit zu drosseln, und während der Wagen die Dealey Plaza passiert, nimmt er nur langsam wieder Tempo auf.

Todesschuss um 12.30 Uhr

Die Digitaluhr auf dem an den Platz angrenzenden Schulbuchlager zeigt 12.30 Uhr, da fällt ein Schuss: Tauben flattern hoch, weitere Schüsse knallen - Kennedy sinkt nach links in die Arme seiner Frau, das Auto verlangsamt die Fahrt, der Fahrer dreht sich um, da trifft den Präsidenten eine Kugel am Kopf, und auch der Gouverneur von Texas wird getroffen; Jackie klettert auf den Kofferrraum des Autos, um von dort ein Stück Schädel ihres Mannes zu bergen. Danach beschleunigt die Limousine und rast ins Krankenhaus. Dort wird gegen 13 Uhr das Gesicht Kennedys von einem Tuch bedeckt - der jüngste US-Präsident ist tot.

Um 13.50 Uhr schnappt die Polizei den mutmaßlichen Attentäter Lee Harvey Oswald in einem Kino, und um 14.38 Uhr wird Lyndon B. Johnson auf dem Rückflug nach Washington - den toten Kennedy im Gepäck - zum 36. Präsidenten der Vereinigten Staaten vereidigt. Zwei Stunden nach den Schüssen von Dallas scheint die alte Ordnung wieder hergestellt - die Amerikaner haben einen Attentäter und einen Präsidenten. Doch beides erfüllt die Erwartungen nicht: Lee Harvey Oswald ist für die Öffentlichkeit zu klein, als dass er diese Katastrophe hätte allein auslösen können; und John Fitzgerald Kennedy ist zu groß, als dass man ihn von einem auf den anderen Moment ersetzen kann. Da hilft nur der Glaube an eine Verschwörung, überlagert vom Mythos John F. Kennedy.

"Attentate, die auf den ersten Blick eindeutig zu sein scheinen, können sich beim zweiten, dritten oder - vor allem - beim tausendsten Blick als ungelöstes Rätsel erweisen", schreibt Sven Felix Kellerhof in seinem Buch "Attentäter" (Buchtipp Seite 24) und fährt fort: "Jedenfalls, wenn man ein gewisses Faible für Verschwörungstheorien hat, das jedenfalls großen Teilen der US-Amerikaner eigen ist." Dieser Vorliebe für Verschwörungstheorien wird im Fall JFK von einem Paradoxon unterstützt: Obwohl über den Kennedy-Mord soviel Material verfügbar ist wie über keinen anderen Anschlag der Weltgeschichte, gibt es kein Attentat, bei dem die Fakten derartig umstritten sind. Deswegen ist Kellerhof überzeugt: "Der Mord am 35. US-Präsidenten wird ungeklärt bleiben." Als Begründung führt er ein Phänomen an, das in der Kriminalgeschichte immer wieder begegnet: "Je intensiver ein Verbrechen untersucht wird, desto mehr offene Fragen stellen sich."

Erster Polit-Popstar

Eindeutig stellt sich die Situation hingegen bei der Erschaffung des Mythos John F. Kennedy dar: Der "demokratische Prinz" im Weißen Haus wurde zum ersten Popstar unter Amerikas Politikern. Lieder über ihn und seine Ermordung finden sich im ganzen Spektrum von Klassik bis Techno. Bis heute erscheinen Romane und werden Filme produziert, die Kennedys Leben und Sterben zum Thema haben. "Heute hat der tote Kennedy unendlich mehr Macht als der lebende", schreibt Gore Vidal 1967 und gibt als Grund dafür an: "Obwohl seine Administration kein Erfolg war, ist er selbst zu einem Musterbeispiel politischer Erstklassigkeit geworden. Dieses Bedürfnis lässt sich zum Teil auf das menschliche Bedürfnis nach Helden zurückführen. Aber vor allem ist die Legende die Schöpfung der Kennedy-Familie."

Bereits in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1963 wird in der Kongressbibliothek nach Büchern gesucht, die die Beerdigungszeremonie von Abraham Lincoln beschreiben. Und diesem Vorbild folgt man beim Begräbnis von Kennedy bis ins Detail. Lincoln wurde ermordet, weil sein Attentäter fürchtete, der Präsident könnte sich zum "König von Amerika" ausrufen lassen. Aber erst der Mord macht Lincoln zum Märtyrer und laut Umfragen zum nach wie vor beliebtesten Präsidenten in Amerika. Aber nur knapp hinter dem König folgt der "Prinz von Camelot": John F. Kennedy.

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