Der Prophet ist zu sehen

Werbung
Werbung
Werbung

Die Ausstellung „Taswir – Islamische Bilderwelten“ in Berlin zeigt, dass es im Islam kein Bilderverbot gibt. Sie gibt Einblicke in die nicht-westliche Moderne, geprägt von Intellektuellen, Künstlern und Philosophen.

Fünf subtile kleine gelbe Hügel hinter einer Glasscheibe. Unerreichbare, „unbesteigbare Berge“ nennt der Künstler Wolfgang Laib diese subtile Arbeit, die aus Blütenpollen von Haselnussstauden besteht. Sie steht in Entsprechung zum Exponat in der Vitrine daneben: eine mehr als tausend Jahre alte Koranhandschrift, in kufischer Schrift – das sind die langgezogenen, eckigen Buchstaben des ältesten Arabisch – auf purpurnem Grund.

Leise tönt aus einem Nachbarraum kunstvolle Koran-Rezitation – die Rhythmen der arabischen Schriftzeichen, umgesetzt in langgezogene Klangkaskaden. Koran-Rezitation gilt als hohe Kunst unter Muslimen, ebenso die Kalligrafie.

Wer in die Berliner Ausstellung „Taswir-Islamische Bilderwelten“ eintritt, begibt sich auf eine Reise in eine andere Bildtradition – in eine Tradition, in der Schrift und Bild ineinander übergehen.

Reise in eine andere Bildtradition

„Taswir“ heißt Bild, und „islamische Bilderwelten“ gibt es seit langem. Denn, um es gleich zu sagen: Ein Bilderverbot gab es in der traditionellen islamischen Kunst nicht, da der Koran (Sure 6,74) nur die Herstellung von Götterstatuen verbietet; ebenso gibt es kein Bild von Gott. Ansonsten enthielten sich nur die Künstler im arabischen Raum strikt bildlicher Darstellungen. In der übrigen weiten islamischen Welt finden sich immer wieder Bilder von Menschen und sogar Porträts. Selbst der Prophet wurde dargestellt, nicht nur mit verhülltem Gesicht, sondern auch als Mensch von Fleisch und Blut, das belegen die vielfältigen Miniaturen, die in der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zu sehen sind. Persische Darstellungen zeigen Adam und Eva, paradiesisch nackt, so wie man dies aus europäischen Darstellungen derselben Zeit kennt; oder den Propheten Mohammed mit einem Hut nach portugiesischer Mode. Globalisierung gab es schon immer, und von einander abgeschottete „Kulturkreise“ sind eine Vorstellung aus der Kolonialzeit. Dies macht die Berliner Ausstellung nicht nur visuell, sondern auch mit akustischen Installationen deutlich.

Moderne Kunst und Islam

Das Konzept „moderne islamische Kunst” gibt es seit einer großen Ausstellung in London 1989. Damit ist vor allem eine kreative Fortführung der klassischen Kalligrafie-Tradition gemeint – etwa „We, Nous, “ (nahn, arab. „wir“), eine Installation der Syrerin Buthayna Ali, die in Paris Malerei und klassische islamische Kunst studiert hat und heute zwischen Kanada und Syrien pendelt.

Auf kleinen Schaukeln aus Gummi sind weiße arabische Schriftzeichen aufgepinselt; die Schaukeln hängen über einer Ebene aus Sand, und durch Licht von oben wirft jede Schaukel ihren eigenen Schatten, erzeugt ein eigenständiges Spiel von Licht und Dunkel und interagiert mit den anderen Schaukeln, sodass ein weiter, offener Raum entsteht – ein Sehnsuchtsraum, den die Menschen miteinander teilen. Das erklärt auch eine Stimme auf Arabisch: dass es um uns geht, uns Menschen, und um die großen Kräfte von Politik, Religion, Wirtschaft und Liebe, die unsere Schaukeln zum Schwingen bringen.

Ornament, Kalligrafie und Miniatur: das sind die klassischen Bereiche „islamischer Kunst“. Das, was Touristen heute gerne in islamischen Ländern kaufen, entspricht dem, was die Orientalisten des 19. Jahrhunderts „typisch islamisch“ genannt haben. Damals galt die „Welt des Islam“ noch als das „wunderbare Andere“ der westlichen Welt, sogar als vorbildhaft – eine Sichtweise, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Kostbare Stücke wie die goldemaillierte Flasche aus dem 14. Jahrhundert und eine große Zahl kostbarer Miniaturen, aber auch Teppiche und andere Gebrauchsgegenstände repräsentieren diese historische Dimension jener „islamischen Welt” zwischen Mittelmeer und Chinesischem Meer.

Seit dem 11. September 2001 hat sich das Bild gewandelt. Die Vorstellung einer „islamischen Welt” verbindet sich mit Rückständigkeit, religiösem Fanatismus, Terrorismus und der unmittelbaren Bedrohung der westlichen Zivilisation. Auch das ist nicht mehr als ein weiteres, diesmal negatives Vorurteil.

Dass dies überhaupt nicht zutrifft, merkt man, wenn man etwa in Teheran aus dem Flugzeug steigt und in einer modernen Großstadt versucht, auf ewig verstopften sechsspurigen Straßen weiterzukommen. In den Buchhandlungen liegen Übersetzungen von Lyotard oder Heidegger ebenso wie Anweisungen, wie man mit Yoga den Sinn des Lebens finden kann. Zwar wird die Einhaltung islamischen Kleidervorschriften polizeilich kontrolliert, doch hinter den Fassaden gibt es eine lebendige und kritische Avantgarde, von der man in der Ausstellung im Gropius-Bau eine Ahnung bekommen kann. Der Teheraner Künstler Sadegh Tirafkan etwa setzt sich in seinen Arbeiten mit dem iranischen Männerbild auseinander. Dass er zugleich auch die persisch-indische Tradition der Miniaturmalerei miteinbezieht, ist charakteristisch für die jüngere Generation der Avantgarde.

Sprache der Moderne

Wirtschaftliche Modernisierung, westliche Bildung und der Kampf gegen den Kolonialismus haben seit dem 19. Jahrhundert zu einem Bruch mit den alten Traditionen geführt. Eine neue Künstlergeneration knüpft nun an die traditionsreichen Bilderwelten an und überarbeitet sie – etwa der Pakistani Raqib Shaw, dessen Serie „In the Absence of God“ vor Kurzem auch in Wien zu sehen war. Durch die gute Präsenz dieser jungen Künstlergeneration im Internet kann man beobachten, wie hier klassische Traditionen in die Sprache der Moderne übersetzt und umgeformt werden.

Zum Beispiel unterbricht Susan Hefuna, die in Ägypten und Deutschland arbeitet, die starre Ornamentik alter Türen mit zwei arabischen Schriftzeichen: a-l, das heißt: „Ich”. Frauen bekommen heute in den Ländern mit islamischer Mehrheit-Kulturen immer mehr Gewicht, auch öffentlich. Seien es die Ingenieurscolleges für Frauen im Iran oder auch die Rolle, die Frauen in der Organisation der militanten Hamas im Libanon spielen oder der Einsatz von Frauen in Tunesien, im Iran, in Pakistan, Indonesien und anderswo für eine neue Interpretation des Koran – in Fortsetzung klassischer islamischer Jurisprudenz im Übrigen. Denn dass überlieferte religiöse Texte zeitgemäß interpretiert werden müssen, leugnen nur Fundamentalisten.

Wer wissen möchte, was nicht-westliche Moderne ist, was Intellektuelle, Künstler, Philosophen aus dem islamischen Kulturkreis für wichtig halten, wem daran liegt, den eigenen – vielleicht provinziell engen – Gesichtskreis zu erweitern, dem sei der Besuch der Ausstellung im Gropius-Bau aufs wärmste empfohlen ( www.taswir.org).

* Die Autorin ist Religionsphilosophin und Religionsjournalistin beim Radiosender Ö1

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung