Der Pyrrhussieg der Aleviten

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Österreichs Aleviten wurden letzte Woche vom Staat als religiöse Bekenntnisgemeinschaft anerkannt. Allerdings nur ein Teil von ihnen. | Eine komplexe Lage, die durch das heimische Religionsrecht ebenso hervorgerufen wird wie durch die Uneinigkeit unter den Aleviten.

Österreichs Aleviten haben einen Sieg errungen. Der Verfassungsgerichtshof hat am 1. Dezember entschieden, dass die Absage des Kultusamts, die eine Anerkennung der Aleviten als eigene "eingetragene religiöse Bekenntnisgemeinschaft" im vergangenen Jahr verhindert hat, verfassungs- und menschenrechtswidrig war. Postwendend bekam der "Kulturverein der Wiener Aleviten" am 13. Dezember den Bescheid über die Anerkennung.

Was auf den ersten Blick wie ein großer Erfolg für die Aleviten aussieht, könnte aber ein Pyrrhussieg sein: Denn neben dem Antrag der Wiener Aleviten vor anderthalb Jahren gab es zwei Wochen später noch einen zweiten; jenen der "Föderation der Aleviten Gemeinden Österreichs", der der Kulturverein der Wiener Aleviten angehört. Der Antrag der Gemeinschaft, die in der internen Struktur eine Ebene tiefer angesiedelt ist, wurde jetzt also angenommen, während der des Dachverbandes abgelehnt wurde. Dass so etwas passieren kann, liegt einerseits am Alleingang der Wiener Aleviten, über den der Dachverband nicht informiert wurde, und andererseits am österreichischen Bekenntnisgemeinschaftsgesetz und seiner Interpretation durch das Kultusamt.

Die Wiener Aleviten hatten ihren ursprünglichen Antrag auf Anerkennung am 23. 3. 2009 gestellt und darin die Anerkennung als "Islamisch Alevitische Glaubensgemeinschaft" gefordert. Der Antrag des Dachverbands kam zwei Wochen später, am 9. 4. 2009, und verzichtete auf die Bezeichnung "islamisch". Hintergrund der unterschiedlichen Begrifflichkeiten war, wie die FURCHE berichtete, dass der Dachverband einen Konflikt mit dem Islamgesetz vermeiden wollte, während die Wiener es genau auf einen solchen anlegten.

Eben dieser Konflikt wurde jetzt vom Verfassungsgerichtshof gelöst. Dieser entschied, nach der ursprünglichen Absage des Kultusamts, dass die Begründung, mit der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) gebe es bereits eine gesetzliche Vertretung aller Muslime, sowohl verfassungs- als auch menschenrechtswidrig sei. Aus dem Islamgesetz sei nämlich keineswegs herauszulesen, dass es neben der IGGiÖ keine weitere Gemeinschaft geben dürfte, die sich "islamisch" nenne.

Wer zuerst kommt ?

Bleibt die Frage, warum der Wiener Antrag positiv beantwortet wurde und nicht jener des eigentlich übergeordneten Dachverbands. "Da spielen mehrere Gründe mit", sagt Oliver Henhapel vom Kultusamt. "Aber ein ganz wichtiger war, dass immer der Antrag, der zuerst gestellt wird, auch zuerst behandelt werden muss." Weil die Wiener im März 2009 mit ihrem Antrag schneller waren, sind sie jetzt anerkannt, und der bundesweite Dachverband wird demnächst einen negativen Bescheid bekommen. Henhapel erklärt, dass die Anerkennung der Wiener Aleviten nur deshalb möglich war, weil ihr Antrag sie inhaltlich eindeutig von der bereits existierenden IGGiÖ abgehoben hat. Nachdem es jetzt bereits die "Islamisch Alevitische Glaubensgemeinschaft" gibt, kann der Antrag der Föderation der Aleviten Gemeinden Österreichs, der inhaltlich nahezu identisch zu dem der Wiener Kollegen ist, nur negativ beschieden werden.

Wenn der Bescheid in den nächsten Tagen bei der Föderation einlangt, muss sich diese überlegen, wie sie weiter vorgehen wird. Die einfachste Möglichkeit wäre es vermutlich, sich unter der Anerkennung des Wiener Tochtervereins mit diesem zusammenzuschließen. Doch damit würde man sich den "Rebellen" beugen, die 2009 mit ihrem unangekündigten Alleingang das Problem erst verursacht haben. Die zweite Möglichkeit - und, so Deniz Karabulut, Pressesprecher der Föderation, die wahrscheinlichere - ist eine neuerliche Klage beim Verfassungsgerichtshof. Sollte es wirklich dazu kommen, müsste das Gericht entscheiden, ob die Unterscheidung zwischen "islamischen" Aleviten und "nicht-islamischen" Aleviten genug ist, um eine eigene Bekenntnisgemeinde zu rechtfertigen. Der Kulturverein der Wiener Aleviten würde in diesem Fall aus der Föderation ausgeschlossen.

Sollte es künftig aber wirklich zwei alevitische Bekenntnisgemeinschaften geben, hätten es beide ungleich schwerer, jene 16.000 Mitglieder vorzuweisen, die für die zweite Anerkennungsstufe als "Religionsgesellschaft" notwendig sind. Damit wäre der eigene Religionsunterricht, für beide Lager das Ziel ihrer Bemühungen, kaum noch realisierbar - die Anerkennung würde endgültig zum Pyrrhussieg.

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