Der Reigen, den jeder einmal tanzt

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Mit dem Totentanz als moralischem Aufruf begegneten die Menschen des Mittelalters dem unabwendbaren Phänomen Tod.

Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein, Gebärden da gibt es vertrackte; Dann klipperts und klapperts mitunter hinein, als schlüg man die Hölzlein zum Takte". So frech und munter wie in dieser Goethe-Ballade war der Totentanz nie. Er war ein memento mori, ein moralischer Aufruf. Seit etwa dreißig Jahren beschäftigt sich die europäische Totentanz-Vereinigung mit der wissenschaftlichen Untersuchung dieses Phänomens, heuer wurde ihr Kongress im Stift Admont abgehalten.

Der Totentanz entstand im späten Mittelalter, als Kriege, Missernten, Hungersnöte und Pest das Leben der Menschen bedrohten. Weil aber der Tanz von der Kirche gar nicht gern gesehen wurde - so schrieb noch 1695 ein Innsbrucker Jesuit einen flammenden Aufruf wider "die Gräul deß Dantzens", zum "haylsamen Schrecken der Weltnarren und danzliebenden Menschen" - fand der Totentanz keinen Eingang in Gebetbücher, er stand in Stundenbüchern. Die Sprache war anfangs oft derb, wurde im Barock höfisch und erhielt durch die Jesuiten einen gelehrten Anstrich.

Noch im Barock entstand der Totentanz als Volksdrama in Südost-Europa, wurde dann zum Stubenspiel auf den Bauernhöfen und fand in unserem Jahrhundert in abgewandelter Form Eingang in die Literatur. Man denke an Hofmannsthals "Jedermann", der vom Tod abgeholt wird, oder an Wedekinds "Lulu", die den Männern in einem tödlichen Reigen zum Verhängnis wird.

Besonders eindrucksvoll aber waren seit jeher die bildlichen Darstellungen: Der Tod als Gerippe mit einer Sense bewehrt holt die Menschen aller Stände tanzend in sein Reich. Keiner bleibt verschont, nicht Papst noch Kaiser, nicht Kaufmann oder Bauer. Einer der eindrucksvollsten Bilderzyklen war der Basler Totentanz auf der Umfassungsmauer des alten Friedhofes. Im Jahr 1805 wurde er großteils zerstört, die damals geretteten Fresken befinden sich heute im Museum der Basler Barfüßerkirche. Vor einigen Jahren ließ sich der Wiener Maler Herwig Zens zu einem monumentalen Werk inspirieren und malte einen dem Basler Original nachempfundenen Totentanz. Heute befindet sich diese insgesamt 60 Meter lange Bildfolge im Besitz der Stadt Basel.

Diese Stadt schien immer schon eine tiefere Beziehung zum Thema Tod zu haben. Holbeins "Toter Christus" entstand hier, und Böcklin schrieb: "In Basel lebte ich mit dem Totentanz". Im Jahr 1943 hatte Frank Martins Ballett "Totentanz zu Basel" Premiere. 1990 sollte es zum hundertsten Geburtstag des Komponisten im Münster wieder aufgeführt werden. Große Teile der Partitur waren verlorengegangen, konnten aber rekonstruiert werden. Die Choreographie von Waclaw Orlikowsky fügte eine Person unserer Zeit hinzu: Ein Sportler lief durch das Kirchenschiff, ein Mikrophon machte seine Herztöne hörbar, bis er zu den Füßen des Todes zusammenbrach. Jedes Jahr gehört der Tod untrennbar zur Basler Fastnacht: tanzende Gerippe mahnen an die Vergänglichkeit inmitten ausgelassener Lustbarkeit.

Das Barock war die hohe Zeit der Erinnerung an die Vergänglichkeit. Bei den Totenmessen in den Kirchen trugen die Zelebranten Gewänder mit Darstellungen des Totentanzes. Das Pluviale von Osnabrück zeigt mit Silber-und Goldfäden auf schwarzem Grund gestickt kirchliche und weltliche Fürsten, die der Tod unabhängig von ihrer Bedeutung abholt. Eine Kostbarkeit ist das Kasseler Totentanz-Tuch von 1687. Es bedeckte den Sarg während der Aufbahrung in der Kirche. Mit schwarzen Seidenfäden auf weißem Leinen sind Menschen und Todessymbole gestickt: Sensenmänner, die auf Instrumenten die Totenmusik spielen, und als Rarität sind auch Frauen dargestellt: Aristokratinnen, eine Zigeunerin, eine Indianerin, eine Mohrin. Solche Bahrtücher sind äußerst selten, weil sie nach der Trauerfeier meist für andere Verwendung umgearbeitet wurden.

Irdischer Tand

Eines der eindrucksvollsten Beispiele aus Österreich ist die Kasel von Kremsmünster aus dem 17. Jahrhundert: Zu Füßen des Totengerippes, das sich auf seine Sense stützt, ist irdischer Tand aufgehäuft, Krone, Tiara, Bücher, Musikinstrumente. Für das Leben nach dem Tod haben sie alle keine Bedeutung mehr.

Bis in die Neuzeit stand man einem frühen Tod fast machtlos gegenüber. Die Ärzte konnten kaum helfen, sie wollten zwar dem Tod ihre Patienten entreißen, aber sie hatten kaum die Möglichkeit dazu. Der so oft praktizierte Aderlass half eher dem Sensenmann als dem Kranken. So häuften sich in der Vergangenheit die Darstellungen, auf denen der Tod dem Arzt das Harnglas zerschlägt. Dieses Gefäß galt als Symbol des Arztes. Die Harnschau diente der Prognose, die wichtiger war als die Therapie. Von der Prognose, die auch mit Astrologie verbunden war, hing es ab, ob der Priester für die Sterbesakramente gerufen wurde, und bei Fürstlichkeiten hatte sie auch einen ganz prosaischen Grund: Die Nachfolge musste rechtzeitig geregelt werden. Ein modernes Exlibris zeigt einen Arzt, der dem Tod sein Opfer entreißt.

Aber auch die beste Heilkunde kann den Totentanz nicht aus der Welt schaffen. Nach wie vor tanzen alle Menschen einmal diesen Reigen.

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