Der reine Tor in Bayern

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"Parsifal" in Graz: faszinierende Musik, problematische Regie.

Tosender Applaus und nicht enden wollende Begeisterung für die musikalische Darbietung von Wagners "Parsifal" bei der diesjährigen Saisoneröffnung am Grazer Opernhaus. Und das zu Recht. Bereits mit dem ersten Takt des Vorspiels zogen die Klänge die Zuhörer magisch in ihren Bann. Souverän verwirklichte das Orchester unter Maestro Philippe Jordan die Details der vielschichtigen Partitur, die von Einfachheit und Komplexität, Diatonik und Chromatik, statischen und dramatisch bewegten Zonen lebt. Dank gekonnt gestalteter melodischer Bögen wurde die großflächige Architektonik des Werkes genauso nachvollziehbar wie kontrapunktierende Gegenstimmen, raffiniert instrumentierte Soli und Mischklänge. Subtil und zart, aber auch dramatisch und kraftvoll, ohne unnötig zu forcieren, erklangen die niemals unverwandelt wiederkehrenden Themen und Leitmotive zugleich prägnant und flexibel - ein echter Hörgenuss.

Einen ambivalenten Eindruck hinterließ dagegen die Regiearbeit des New Yorkers David Alden. Zweifelsohne ist es Aufgabe einer gültigen Inszenierung, auch die problematischen Seiten eines Werkes, jene Schichten, die erst im Zuge der Rezeptionsgeschichte sichtbar geworden sind, mitzudenken. Dennoch sollte der vom Komponisten intendierte Gehalt an erster Stelle stehen.

Wagners Kunstreligon

Mit "Parsifal" hat Wagner seine Vorstellungen vom Verhältnis von Kunst und Leben musikdramatisch verwirklicht. Nach Auffassung des Komponisten ist das Kunstwerk "lebendig dargestellte Religion". Das bezeugen die mystisch feierliche, sakrale Aura und der subtile Beziehungszauber, den sowohl Dichtung als auch Musik beschwören. Um den universalen Anspruch seiner Kunstreligion zu verdeutlichen, hat Wagner die Handlung nicht in einem konkreten Raum und einer bestimmten Zeit angesiedelt. Wenn man nun, wie in Graz, die Gralsburg - zwar werkgeschichtlich begründbar - in Bayern lokalisiert und auf Wald und Vorfrühling zugunsten einer öden, mit Drahtzaun abgegrenzten Betonwüste verzichtet (Bühne: Charles Edwards), werden zwar der desolate Zustand der Gralsgesellschaft und ihre elitären, autoritären Züge verdeutlicht, man lenkt jedoch zu sehr vom Kernthema des Werkes ab. Ist es wirklich, wie Strawinsky 1912 bemerkte, bedenklich, eine Theateraufführung auf die gleiche Ebene wie die "heilige symbolische Handlung des Gottesdienstes" zu stellen? Gerade diese Problematik sollte eine Aufführung heute thematisieren. In Graz kam sie jedenfalls zu kurz.

Schopenhauers Schatten

Bei seiner persönlichen Interpretation der Gralssage rekurrierte Wagner auf Elemente der Schopenhauerschen Philosophie: einerseits auf das Mitleiden als Zentrum christlicher Liebe, andererseits auf den Gegensatz von Wille und Vorstellung, der mit der für die dramatische Spannung des Werkes essenziellen Polarität von Sinnlichkeit und Geist korrespondiert. Erlösung liegt nach Schopenhauer in der Verneinung des Willens zum Leben, woraus sich die konsequente Verneinung des Geschlechtstriebs erklärt.

Dass die Verdeutlichung dieser Polaritäten fesselnd gelang, ist der durchwegs großartigen Leistung der Darsteller zu verdanken: an erster Stelle Michaela Schuster, die eine leidenschaftliche, dramatisch expressive und auch mimisch ausdrucksstarke Kundry gab. Ihr an Ausdruckskraft ebenbürtig Stephen Goulds Parsifal. Peter Roses Gurnemanz bestach durch große Wortdeutlichkeit. Tadellos auch Ashley Holland als leidender Amfortas und Egils Silins als stimmgewaltiger Klingsor. Trotz Schwächen der Regie insgesamt ein beeindruckender Abend.

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