Der richtige Stoff am richtigen Ort

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Die Festspiele Reichenau begannen mit Schnitzlers "Anatol" und einer szenischen Umsetzung von Manns "Zauberberg".

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Die Festspiele Reichenau begannen mit Schnitzlers "Anatol" und einer szenischen Umsetzung von Manns "Zauberberg".

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Willkommen im Fin de siecle! Die beiden ersten Premieren der Festspiele Reichenau führten rund hundert Jahre in die Vergangenheit, in das bürgerliche Wien um 1900 und in ein Sanatorium in den Schweizer Alpen vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Es sind die richtigen Stoffe an den richtigen Orten. "Anatol" von Arthur Schnitzler geht im Reichenauer Kurtheater in Szene - ein Foto im Programmheft zeigt Schnitzler um 1900 in Damengesellschaft im Reichenauer Kurpark. Im alten Südbahnhotel am Semmering, der seit Jahren mit Thomas Manns "Zauberberg" in Verbindung gebracht wird, wurde eine Dramatisierung dieses 1.000-Seiten-Romans durch Hermann Beil und Vera Sturm uraufgeführt. Beiden Produktionen ist gemeinsam, dass sie schon Wochen vor der Premiere restlos ausverkauft waren.

Aus dem Zyklus "Anatol" wurden für Reichenau jene fünf der insgesamt zehn Einakter ausgesucht, die auch bei der Uraufführung 1910 auf dem Programm standen. Schnitzlers subtile Sezierkunst offenbart viel über Männer und Frauen im Allgemeinen und über den sehr modern wirkenden Charakter der Hauptfigur im Besonderen. Herbert Föttinger stellt diesen ständig um sich selbst kreisenden, seinen Eroberungen und Illusionen nachhängenden Lebemann glaubwürdig auf die Bühne. Als sein Freund Max steuert Joseph Lorenz brillant und trocken Witz und Ironie bei.

Die hingebungsvolle Cora (Stefanie Dvorak), die selbstbewusste Annie (Tamara Metelka), die distanzierte Gabriele (Birgit Doll als Meisterin der Zwischentöne), die temperamentvolle Ilona (Petra Morze) und die oberflächliche Bianca (Anna Franziska Srna) halten Anatol und das Publikum in Spannung. Für das vorwiegend konservative Reichenauer Publikum lässt die Inszenierung von Thomas Birkmeir (Bühne: Peter Loidolt, Kostüme: Irmgard Kersting) kaum einen Wunsch offen.

Das Südbahn-Hotel mit seinem faszinierend antiquierten Ambiente ist der wahre Star der zweiten Produktion. Das Wagnis, einen schwierigen Bildungsroman wie "Der Zauberberg" szenisch umzusetzen, bedarf eines solchen Rahmens. Doch der langwierige Reifungsprozess des jungen Hamburgers Hans Castorp im Schweizer Kurort Davos, wo Lungenkranke Linderung ihrer Leiden suchen, ist letztlich keine dramatische, sondern eine epische Angelegenheit. Das konnten Hermann Beil und Vera Sturm, die Regie führte, nicht ändern, wobei auch die Verknüpfung mit Andersens Märchen "Die Schneekönigin" nicht ganz schlüssig wirkt.

So bleiben einige packende Bilder und Dialoge aus der Welt der "Moribunden", stimmige Musik (Claus Riedl), doch dazwischen raschelt Papier. Und einzelne Akteure wirken bemüht, mit besonderer Theatralik die dramatischen Defizite des Unterfangens auszugleichen.

Doch der Versuch war sicher wertvoll, noch dazu mit dieser Besetzung. Tobias Voigt ist ein Hans Castorp von jungenhaftem Charme, Andre Pohl sein militärisch gesinnter, aber nicht wirkender Vetter Joachim Ziemßen. Martin Schwab (Hofrat Dr. Behrens) und Florentin Groll (Dr. Krokowski) entdecken genüsslich als Ärzte die Schwachstellen ihrer Patienten. Neben der sphinxische Erotik ausstrahlenden Babett Arens (Clawdia Chauchat) hat Wolfgang Hübsch (Pieter Peeperkorn) seinen großen Auftritt. Als philosophierende Kontrahenten stehen einander zwei besondere Pluspunkte des Abends, Peter Matic (Settembrini) und Bernd Birkhahn (Leo Naphta), im Duell gegenüber. Besondere Erwähnung verdient noch Karin Lischka als umwerfend natürliche Zwergin Emerentia.

Das Premierenpublikum war gewillt, ein angekündigtes Theaterereignis als solches zu feiern und spendete reichlichen Applaus.

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