Der "Rosenkavalier" in Dresdens Tramway

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Wenn er liest, wird es still im Saal, wenn er - wie vor zwei Jahren beim Meraner Lyrikpreis - seine Gedichte auswendig vorträgt, erst recht: Der in München als Chirurg arbeitende Autor Uwe Tellkamp ist ein selbstbewusster Meister des Vortrags, seine Texte haben einen Drive, der sie gelegentlich den großen Gesängen einer fernen Vergangenheit naherückt. Neuer Drive und alte Mythen - beides geht zusammen bei diesem Autor, archaische Töne verbinden sich mit sehr heutigen Bildern. Uwe Tellkamp hat das Klagenfurter Wettlesen, den Bachmannpreis, sehr schnell für sich entschieden.

Tellkamp wurde 1968 in Dresden geboren, ist also gerade alt genug, um den versinkenden DDR-Wahnsinn noch in seiner vollen Aggressivität erlebt zu haben: Er war im Wehrdienst Panzerkommandant und verlor durch den Regiments-Politoffizier seinen Studienplatz in Medizin (wegen "politischer Diversantentätigkeit"). Darauf folgte, was aus etlichen vergleichbaren Biografien bekannt ist : Versetzung in ein Strafbataillon, Gehilfe auf einem Braunkohlenförderbagger, Hilfsdreher in einem Lichtmaschinenwerk. Noch im Rahmen des Umsturzes von 1989 kam er ins Gefängnis. Danach konnte er in Leipzig, New York und Dresden Medizin studieren.

In seiner Heimatstadt Dresden spielt auch der preisgekrönte Text "Ein Schlaf in den Uhren". Eine Straßenbahnfahrt lässt die Geschichte der Stadt lebendig werden. Viele Assoziationen blitzen auf, leitmotivisch kehren Sätze der Marschallin aus Hofmannsthals "Rosenkavalier" wieder: Stimmen, Musik, Erinnerung werden hörbar. "Ein Vorkriegsdeutschland und eine Nachkriegs-DDR wachsen aus Tellkamps melodiöser Prosa" (Neue Zürcher Zeitung).

In Literaturkreisen war man schon länger auf Uwe Tellkamp aufmerksam geworden: 2002 erhielt er den Förderpreis in Meran und das Sächsische Staatssstipendium für Literatur, 2003 den Förderpreis beim Christine-Lavant-Lyrikpreis. Zahlreiche Texte hat er in deutschen Literaturzeitschriften veröffentlicht, aber bislang erst einen Roman mit dem schönen Titel "Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café" (Faber & Faber 2000). Im Frühling wird "Der Eisvogel" bei Rowohlt Berlin erscheinen. Auf den Roman, der den preisgekrönten Text enthält, wird man noch länger warten müssen; er ist noch nicht fertig.

Der Bachmannpreis wird es Tellkamp vielleicht ermöglichen, ganz für das Schreiben zu leben. Aber die Entscheidung, ob er seinen Arzt-Beruf aufgeben wird, steht noch aus, verriet er dem Börsenblatt für den deutschen Buchhandel für die kommende Ausgabe.

Jedenfalls wird man von Tellkamp noch hören. Ja, bestimmt nicht nur lesen. Er realisiert Literatur nicht nur als Druckwerke, sondern als Hörerlebnis. Die radikale Unbedingtheit seiner Texte, die eine nahezu sakrale Atmosphäre zu evozieren vermag, der suggestive Sog seines Tonfalls, der eine eigene Welt konstituiert, ohne sie relativierend zur Diskussion zu stellen und Perspektiven zu brechen, sind vielleicht nicht jedermanns Sache. Sicher ist jedoch, dass hier ein ebenso großer Könner wie Enthusiast der Literatur zu Werke geht. Die Klagenfurter Jury hat "den literarisch riskantesten und virtuosesten Text" (Frankfurter Allgemeine) ausgezeichnet und damit einen Autor ins Rampenlicht gestellt, von dem noch einiges zu erwarten ist. CH

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