Der Salzburger schiefe Dom

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Mit dem asymmetrischen Wiederaufbau der Kuppel des Salzburger Doms und der Rolle des Erzbischofs nach Kriegsende beschäftigt sich eine Ausstellung im Salzburger Dommuseum.

Bis heute hat noch kein Salzburg-Besucher Inez Reichl danach gefragt. Gelegentlich bei Altstadt-Blicken von den Stadtbergen erzählt die Fremdenführerin jedoch davon. Auch Schüler müssen es bei Stadtausgängen "lernen". Dazu benötigt es die Bereitschaft, genau hinzusehen. Die Kuppel des Salzburger Doms weist nämlich seit ihrem Wiederaufbau zwei Besonderheiten auf: Sie ist leicht asymmetrisch und besitzt eine kleine "Beule".

Der die Kuppel tragende Tambour ist exzentrisch: Im Innenraum entspricht er exakt dem regelmäßigen Achteck, außen ist er jedoch leicht nach Westen verzerrt, da eine breiter wiederaufgebaute Stiege Platz finden sollte. Im Kuppelraum sind die unterschiedlich tiefen Tambourfenster gut erkennbar. Angeblich hatte Dombaumeister Santino Solari im 17. Jahrhundert - im Gegensatz zum Wiederaufbau - den Tambour innen leicht verzerrt und dies durch den reichen Bauschmuck kaschieren können.

Viel auffälliger als diese Verzerrung ist die ebenfalls westseitige Ausbeulung der Kuppel. Der Wunsch der Feuerwehr, die Laterne über den Zwischenraum besser erreichen zu können, führte zu dieser asymmetrischen Deformation des Daches.

Die Kuppel des einzigartigen Monumentalbaus des Frühbarocks nördlich der Alpen und des geistlichen Mittelpunktes von Salzburg war am 16. Oktober 1944 nach einem Bombentreffer eingestürzt. Bei diesem ersten Bombenangriff auf Salzburg starben 245 Menschen.

Rohracher und das nationale Lager

NS-Gauleiter Gustav Adolf Scheel hatte der Kuppelruine ein Notdach für den Winter 1944/1945 verweigert. Nach der NS-Diktatur bemühte sich Erzbischof Andreas Rohracher - verstärkt ab 1947 - um die gesellschaftliche Integration einstiger Nationalsozialisten. Diese innerhalb des Klerus nur sehr vereinzelt kritisierte Haltung fand bei den "Ehemaligen" enorme Resonanz, wie Eva Maria Hoppe-Kaiser im Katalog zur aktuellen Ausstellung "Ins Herz getroffen. Zerstörung und Wiederaufbau des Salzburger Domes 1944-1959" darstellt: Rohracher wurde nach seiner Kritik am "Nationalsozialistengesetz" 1947 "im nationalen Lager geradezu verehrt".

Was die Kirche als "Befriedung" der Gesellschaft propagierte, irritierte verständlicherweise die SPÖ, die dies als Stimmenfang Richtung ÖVP wertete. Der Wahlkampf für die Nationalrats- und Landtagswahl 1949 wurde mit großer Gehässigkeit geführt. ÖVP, SPÖ und der in diesem Jahr in Salzburg gegründete VDU (er ging 1955 in der FPÖ auf) buhlten um die Stimmen ehemaliger Nationalsozialisten. In diesem Spannungsfeld stand auch der Wiederaufbau der Domkuppel.

Angesichts des dramatischen Wohn- und Barackenelends für ausgebombte Salzburger und Zigtausende Flüchtlinge gab es immer wieder Kritik an einem sofortigen Domwiederaufbau. Dombaumeister Karl Holey sprach sich in seiner Denkschrift im September 1945 für einen Wiederaufbau parallel zu jenem von Wohn- und Nutzbauten aus: "Wenn die Menschen immer so gedacht hätten, dann stünde heute kein einziger gotischer Dom, keine der Kathedralen der späteren Zeit, ja überhaupt kein Bau, der sich über die gewöhnlichen Nutzzwecke erhebt. Wie viele von den Menschen, die in freiwilliger Opferbereitschaft an den gotischen Domen mitgearbeitet und ihren Beitrag zu den Kosten geleistet haben, hatten selbst kaum ein Dach über dem Kopf. […]. Man hat nicht gewartet, bis alle Aufgaben des täglichen Lebens erfüllt waren, man hat zuerst dem Herrgott ein Haus gebaut, das seiner würdig war." Erzbischof Andreas Rohracher, der den langjährigen Dombaumeister zu St. Stephan in Wien für den Salzburger Dom beauftragt hatte, schloss sich Holeys Argumenten an.

Fragwürdige "Verschönerungsmaßnahme"

Die breite Öffentlichkeit unterstützte den Domwiederaufbau. Das zeigen die vielen freiwilligen Helfer beim Abtransport des Schutts, die große Spendenbereitschaft in der gesamten Erzdiözese, die zahlreichen Benefizveranstaltungen und die im wesentlichen wohlwollende Berichterstattung in den Lokalzeitungen.

Ebenfalls in den ersten schwierigen Nachkriegsjahren leistete sich die sozialdemokratisch regierte Stadt eine sehr fragwürdige "Verschönerungsmaßnahme". Sie ließ den vor dem Felsen beim Café Winkler freistehenden historistischen Aufzug von 1890 abreißen und in den Mönchsberg verlegen. Stolz wurde 1948 die Beseitigung des das Landschafts- und Stadtbild "empfindlich störenden" Eisengerüstes und des Maschinenhauses verkündet. 1952 lebten 10.000 Stadtbewohner in Baracken, 12.600 Familien suchten Wohnungen und die Stadt investierte 4,2 Millionen Schilling in die Liftverlegung. Dieser Betrag lag nur 20 Prozent unter den Grundkaufkosten für den gesamten Wohnungsbau zwischen 1945 und 1952. Domwiederaufbau und äußere Wiederherstellung der Kuppel bis 1949 kosteten 6,3 Millionen Schilling.

Damals fehlte noch die Innengestaltung der Kuppel, Stuckierung und Fresken sollten 1954 bis 1956 "möglichst originalgetreu" - so der Landeskonservator Emil Hoppe - rekonstruiert werden. Die Fertigstellung des Domwiederaufbaus 1959 erlebte Karl Holey (1879-1955) nicht mehr.

Bei der Kampagne Ende 1948 war Holey knapp 70 Jahre: Damals entfachte das Demokratische Volksblatt, das Parteiorgan der SPÖ, eine heftige Debatte um die asymmetrische Form der wiedererstandenen Kuppel. Landeskonservatorin Margarete Witternigg, die Tochter des sozialdemokratischen Politikers Josef Witternigg, verglich entsetzt die "hässliche Kuppel" mit einem "etwas verbeulten Sturmhelm".

Die Kritik war überzogen. Dombaumeister Karl Holey und sein Bauleiter Peter Zacherl scheinen aber die störende Wirkung der Ausbeulung unterschätzt zu haben. Da beide weder das Dombaukomitee mit Diözesanarchitekt Karl Pirich noch Landeskonservatorin Witternigg in die geplante Kuppellösung eingebunden hatten, war der Aufschrei umso größer. Zur Enttäuschung lokaler Architekten, die sich den Domauftrag erhofft hatten, kamen die skizzierten (kirchen)politischen Hintergründe. Holey hatte Ende der 1940er Jahre in Salzburg nichts zu lachen. Er soll aber auch gescherzt haben, symmetrische Kuppeln gäbe es auf der ganzen Welt, eine asymmetrische nur in Salzburg.

Einflussreicher Architekt

Holeys umstrittene Kuppellösung wurde in Salzburg immer wieder dramatisiert, sodass dies seine Verdienste überschattete. Schließlich hatte er sich einen Namen als renommierter Bauhistoriker, Denkmalpfleger und Dombaumeister, Lehrer und als Architekt gemacht, der überwiegend, aber nicht nur, Sakralbauten plante. In Holeys vielfältigem Lebenswerk steht dem Schief- viel Gutgelaufenes gegenüber. Allein sein positiver Einfluss auf mehrere Architektengenerationen ist nicht zu unterschätzen. Architekt Gerhard Garstenauer besuchte vor fast 60 Jahren Holeys Vorlesung an der Technischen Hochschule in Wien und ist ihm "noch heute" für die umfassende Bildung "dankbar". Wohl über 2000 Hörer in fünf Jahrzehnten hat Holey "mitformend herangebildet" und ihnen "eine durchaus undoktrinäre und lebendige Anschauung baukünstlerischer Probleme" vermittelt, hieß es 1954: "Immer wieder dokumentiert sich in seinem Wirken die Ehrfurcht vor dem geschichtlich Gewordenen."

Ins Herz getroffen. Zerstörung und Wiederaufbau des Salzburger Domes 1944-1959

Dommuseum Salzburg, bis 26. Oktober

Ein Symposium vom 20. bis 23. September widmet sich Erzbischof Andreas Rohracher und der Salzburger Kirche seiner Zeit.

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