Der Seewolf: Körperkraft gegen Intelligenz

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Kurz vor seinem 28. Geburtstag beendete Jack London im Jahr 1904 die Arbeit an seinem Roman "Der Seewolf“. Zu dieser Zeit war er bereits hoch angesehen. Im Jahr zuvor war "Der Ruf der Wildnis“ erschienen, der die Schriftstellerkarriere schlagartig auf Erfolgskurs gebracht hatte. Von jetzt an wollte die Öffentlichkeit genauer wissen, was diesem tollkühnen Erzähler noch einfallen würde. Dabei waren die Bedingungen in einem mitunter recht prüden Amerika nicht ideal. Die konservative Monatsschrift Century bestand für einen Vorabdruck von "Der Seewolf“ auf Abschwächungen, um ihre Leser durch nichts "Unanständiges“ zu verunsichern. Für die Buchausgabe sollten die Änderungen rückgängig gemacht werden. Übersetzer Lutz-W. Wolff schreibt in seinem Nachwort zur Neuübersetzung, dass Jack Londons Eingriffe in die Druckfahnen derart umfassend waren, "dass er die Korrekturkosten am Ende aus eigener Tasche bezahlen musste.“

So genau wie jetzt konnte man sich auf deutsch über diesen Roman bislang kein Bild machen. Er ist mehr als eine Abenteuergeschichte für Jugendliche gehandelt worden. Es handelt sich hier jedoch um eine Studie über Macht und Willkür. Ein Crash der Kulturen findet statt, der am Beispiel eines rücksichtslosen Kapitäns und eines feinsinnigen Literaturkritikers ausgetragen wird. Die beiden passen nicht zusammen, sie stehen einander als antagonistische Kräfte auf hoher See gegenüber, von wo es kein Entrinnen gibt. Der Zufall führt sie zusammen, als Humphrey van Weyden nach einem Schiffsunglück von der Besatzung des Robbenfängers "Ghost“ gerettet wird.

Konflikt zwischen Toleranz und roher Autorität

Der Kampf zweier Prinzipien tobt von nun an an Bord. Der eine ist durch die Schule der Aufklärung gegangen und vom Toleranzgedanken geprägt, der andere verkörpert die rohe Autorität, die keinen Widerspruch duldet und Menschen allenfalls als Arbeitskraft akzeptiert. Körperkraft gegen Intelligenz, den Konflikt spielt Jack London mit psychologischer Spitzfindigkeit durch. Und weil er ein zupackender Erzähler ist, braucht er nicht Theorie, um die Charaktere plausibel erscheinen zu lassen, sondern er führt sie uns kraft ihres Wirkens vor. Der Roman ist derart handlungsintensiv und geladen mit Spannung, dass er den Leser bei seiner Neugier packt, der wissen will, wo das Ganze enden wird. Die Dialoge sind kraftvoll und lebendig, sie sind ebenso Kampfgebiet der verschiedenen Haltungen wie das Schiff, das zur Arena für Schaukämpfe der Gegensätze wird.

Der Autor meinte, dass "mastery“ das Thema des Buches sei. "Das kann vieles bedeuten“, so der Übersetzer: "Herrschaft, Meisterschaft, Selbstbeherrschung, Zucht, Kontrolle, aber auch Gewalt, Unterdrückung, Grausamkeit und Sadismus.“ Ein vielschichtiges Buch, mit dem man so schnell nicht an ein Ende kommt.

Der Seewolf

Roman von Jack London. Aus dem Amerikan. von Lutz-W. Wolff. dtv 2014. 407 S., kart., E 10,20

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