Der Seher der Terror-Jahre

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In den letzten Jahren seines Lebens hat sich Samuel P. Huntington oft darüber beschwert, von der Welt nicht verstanden worden zu sein. Diese Enttäuschung ist nachvollziehbar: Wer wird schon gerne nach einem 60-jährigen Berufsleben, der Verfassung von 17 Büchern und hunderten Kommentaren zum Zeitgeschehen auf drei Worte reduziert? Welcher Demokrat ist schon gerne der Lieblingsautor rechtspopulistischer Politiker in ganz Europa? Wer will schon gerne Applaus von Osama Bin Laden und anderen Vertretern der Al Kaida erhalten?

Tatsächlich hat Samuel Huntington unter seinem Hauptwerk über den "Clash of Civilizations" gelitten, weil seine Warnung vor einem Zusammenprall von Kulturen jahrelang als ideologische Rampe benutzt wurde, um den "Clash" des sogenannten Westens mit anderen Völkern und dem Islam erst Wirklichkeit werden zu lassen.

Der schmächtige Gelehrte, der sich nur selten über die Grenzen des Universitätsgeländes von Harvard hinauswagte, war plötzlich Stichwortgeber für George W. Bushs globalen Krieg geworden und in Europa zum Idol eines xenophoben Sammelsuriums aus Vlaams Belang, Front National und der FPÖ/BZÖ.

Überrascht musste Huntington darüber nicht sein - hatte er doch selbst tatkräftig zu seinem Missbrauch durch die Politik beigetragen. Gleich am Beginn seines Bestsellers über die neue Weltordnung, in der Konflikte zwischen Kulturen den Kalten Krieg der Ideologien ablösen, finden sich etwa folgende Sätze: "Ohne wahre Feinde kann es keine wahren Freunde geben. Wir können nicht lieben, was wir sind, solange wir nicht hassen, was wir nicht sind." Plattitüden dieser Art, die Huntington ohne Bedenken einem zweitklassigen Krimi entnahm, um sie als Axiom über die Weltpolitik zu stülpen, wurden zum Verkaufsschlager von Demagogen und Kriegstreibern. Dabei war der Professor seinen politischen Anbetern in gewisser Hinsicht durchaus ähnlich. Er beschnitt und verkürzte die Welt gnadenlos, bis sie in das plakative Schema seiner Werke passte.

Differenzierungen innerhalb des Islam oder der "westlichen Zivilisation" ließ er ebenso aus wie die wichtigste Eigenschaft erfolgreicher "Zivilisationen": sich dynamisch zu entwickeln, also lern- und anpassungsfähig zu sein. Bei Huntington aber prallen "Kulturen" als starre Systeme aufeinander. Dass die Weltgeschichte am laufenden Band Gegenbeispiele liefert, bei denen kulturelle Vermischungen und Toleranzprozesse Konflikte verhindern, verschweigt Huntington.

Diese Art der Vereinfachung passte perfekt zum System George Bushs nach den Anschlägen des 11. September 2001. Die PR-Maschinerie des Weißen Hauses inhalierte die Prophezeiungen Huntingtons und spuckte sie als reale Kriege der Guten und Willigen gegen die Achse des Bösen wieder aus. Auch in Wien steht der Kampf der Kulturen seit Jahren flächendeckend zur Wahl: "Pummerin statt Muezzin", "Daham satt Islam". Huntington versuchte später, seine Thesen zu relativieren.

Doch als er es tat, hatte sich ihr Missbrauch längst verselbstständigt. Es half nicht viel, dass sich der Wissenschafter zum lautstarken Gegner des Irakkriegs aufschwang. Die Geschichte rollte über die guten Absichten Huntingtons hinweg und ließ jenen entscheidenden Satz unbeachtet, der sich in der Präambel seines Werkes findet: "Schlussendlich werden alle Kulturen lernen müssen, einander in Toleranz zu begegnen." Samuel P. Huntington ist am 24. Dezember gestorben.

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