Der Skandal im Skandal

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Bisher galt Tiermehl als der unbestrittene Auslöser von BSE. Mit dem zweiten Erkrankungsfall in Österreich werden immer mehr Stimmen laut, dass es sich dabei um einen Irrtum handelt.

Wie die Feuerwehr waren sie zur Stelle, die Experten und Landwirtschaftsminister Josef Pröll. Kein Wunder: Es galt einen neuerlichen Flächenbrand zu verhindern. Als 2001 der erste Fall von bse (Bovine Spongiforme Enzephalopathie) Österreichs bekannt geworden war, brach hierzulande der Rindfleischkonsum nachhaltig ein.

Schnell wurde in der betroffenen Gemeinde Riezlern im Kleinwalsertal eine Pressekonferenz einberufen und beteuert, wie sicher sich der Konsument jetzt fühlen könne: Das Tier war gar nicht für den Verzehr, sondern für die Entsorgung vorgesehen, war vor dem Tod auch nicht verhaltensauffällig, wurde dennoch getestet und als positiv erkannt. Als Sofortmaßnahme wurden alle restlichen vier Kühe und vier Kälber des Nebenerwerbsbauern getötet. Weniger Sicherheit herrschte, als es um die Frage der Ursache der festgestellten Erkrankung ging: Entweder Tiermehl im Kraftfutter oder das spontane Auftreten von bse wurden als Gründe angegeben. Der Bauer hätte nach der Geburt von "Brüna" 1994 auch Kraftfutter mit Tiermehl - im Gegensatz zu Österreich - legal aus Deutschland beziehen und seine Kuh damit füttern können, lautete eine Erklärung und damit auch eine indirekte Anschuldigung gegen den Kleinbauern.

Für den österreichischen bse-Experten Herbert Budka, Vorstand des Instituts für Neurologie an der Medizinischen Universität Wien, ist die Ursache aufgrund der Grenzlage des Kleinwalsertales im Tiermehl zu suchen: "Ich halte es für gegeben, dass es sich hier um einen unter Anführungszeichen bayrischen' bse-Fall handelt." Schließlich habe es in Bayern eine Reihe solcher Fälle zu beklagen gegeben. Bereits geringe Mengen von infiziertem Tiermehl würden ausreichen, um eine Erkrankung herbeiführen zu können.

Zweifel an Tiermehl

Doch ein soeben erschienenes Buch "Phantom bse-Gefahr" der beiden deutschen Universitätsprofessoren Roland Scholz vom Institut für Physiologische Chemie, Physikalische Biochemie und Zellbiologie der Universität München und Sievert Lorenzen vom Zoologischen Institut in Kiel macht sich daran, die Theorie zu widerlegen, dass Tiermehl schuld an bse sei. Sie bestreiten, dass eiweißartige Partikel mit einer krankhaft veränderten Struktur, Prionen genannt, Artgrenzen überwinden können - also mittels Nahrungsaufnahme von Schafen auf Kühe und letztlich auch auf Menschen übertragen werden können - und so auch imstande sind, zur neuen Variante der Creutzfeld-Jacob-Krankheit (cjk) zu führen.

So gibt es beispielsweise weltweit kein einziges seriöses Fütterungsexperiment mit Tiermehl. Stattdessen stütze sich die gängige wissenschaftliche Argumentation vor allem darauf, dass bse nach dem Verfütterungsverbot von Tiermehl, das 1988 in England erlassen wurde, weitgehend verschwunden sei, sowie auf zahlreiche, aufwändige Experimente im Labor. Das Verfütterungsverbot von Tiermehl sei insofern kein Beweis, weil es auch nach 1996, als so gut wie kein vor dem Erlass des Verfütterungsverbotes geborenes Rind mehr gelebt habe, bis 2003 immer noch mehr als 1.000 Fälle pro Jahr in Großbritannien gab. Der Wiener Prionen-Experte Budka antwortet auf diese Vorwürfe damit, dass ein Fütterungsversuch mit Tiermehl sehr teuer gewesen wäre und man so den Nachweis für die Infektion über Tiermehl epidemiologisch über die Verfütterung von bse-haltigem Hirn geführt habe. Doch auch diesen Experimenten sprechen die beiden Buchautoren jegliche wissenschaftliche Relevanz ab: Die Verfütterung von rohem Hirn aus Tieren mit nachgewiesener Spongiformer Enzephalopathie sei nicht dem Tiermehl äquivalent, da sich die Ergebnisse "auch als Folge von Immunreaktionen (Abwehr von Fremdeiweiß) interpretieren" ließen.

BSE-Gen

Es sei auch bisher noch nie gelungen nachzuweisen, dass das Prion aus dem Gehirn von an Scrapie erkrankten Schafen im Gehirn eines Rindes bse auslösen könne - denn dazu müssten mehrere Forderungen erfüllt sein: Eine absolute Stabilität der Prionen-Raumstruktur gegenüber Hitze, Säure sowie Verdauungsenzymen, ein Passieren mit intakter Struktur durch die Darmwand, keine Entdeckung durch das Immunsystem im Blut, eine Passage durch die Blut-Hirn-Schranke und eine areal-spezifische Anlagerung an Nervenzellen. Zwar gebe es im weiten Feld der lebendigen Natur etliche Raritäten, die einzelne dieser Bedingungen erfüllen, wie zum Beispiel thermophile Bakterien, die im heißen Wasser der Geysire leben. "Dass jedoch alle Forderungen zusammen erfüllt sind, das scheint im hohen Maß unwahrscheinlich. Es ist deshalb unverständlich, warum man die Prion-im-Tiermehl-Hypothese favorisierte, statt nach anderen Erklärungen zu suchen", drückt der Zellbiologe Scholz sein Unverständnis über die Herangehensweise an das bse-Thema aus. Die Autoren bieten auch eine Reihe von Erklärungsmöglichkeiten für die ihrer Meinung nach wahren Gründe der bse-Erkrankung an: Am plausibelsten erscheint Scholz eine genetische Disposition - als Ursache sieht er die exzessive Züchtung, in deren Rahmen in einigen Herden eine erhöhte Disposition, an bse zu erkranken, mitherangezüchtet worden sei. Als eine mögliche andere Ursache wird eine chronische Vergiftung durch Insektizide bei der Bekämpfung der Dasselfliege genannt. Eines ist für die Autoren jedoch klar: bse ist keine Infektionskrankheit.

Gefahr: Insektizide

Besonders interessant erscheint der Zusammenhang zwischen bse und der Anwendung von Insektiziden zur Bekämpfung der Dasselfliege. Die Larven bohren sich unter die Haut der Rinder und sind als Beulen zu sehen. Für die Tiere ungefährlich, hinterlassen sie aber Narben in der Haut. In den 1980er-Jahren ordnete die britische Regierung die großflächige Bekämpfung der Dasselfliege unter anderem mit dem Organophosphat Phosmet, einem Insektizid und Nervengift, an. Der britische Bauer Marc Purdey wehrte sich jedoch mit Hilfe von Anwälten gegen die Zwangsbehandlung seiner Kühe und stellte fest, dass bis 1991 keine seiner Kühe an bse erkrankt war, obwohl er Fleischmehl verfüttert hatte. Ab 1991 traten auch bei ihm bse-Fälle auf, jedoch nur bei zugekauften, in deren Jugend mit Organophosphaten behandelten Tieren.

1998 veröffentlichte der britische Wissenschafter Stephen Whatley eine Studie an Hirnzellen, die aufzeigte, dass Phosmet eine Aufregulierung des Ausgangsmoleküls für die Prionen hervorruft. Das bestätige die Möglichkeit, dass sich durch die Anwendung von Phosmet das Risiko von Prionen-Krankheiten erhöhen könnte, lautete Whatleys Schlussfolgerung. Weitere Forschung auf diesem Gebiet sei jedoch dringend nötig. Für den Neurologen Budka sind diese Ergebnisse keine Sensation: "Alles was zellulären Stress hervorruft ist imstande, dieses Protein aufzuregulieren. Es wundert mich überhaupt nicht, dass das auch durch ein Gift wie den Organophosphaten möglich ist." Es existierten jedoch hunderte anderer Zellkulturuntersuchungen mit ähnlichen Ergebnissen. Ein unterstützender Zusammenhang solcher Organophosphate für die Entstehung von bse sei zwar nicht auszuschließen, aber es "gibt überhaupt keinen Anhaltspunkt, dass die Organophosphate dafür eine ursächliche Rolle spielen".

Ein zweites Land, in dem derartige Mittel zur Bekämpfung der Dasselfliege eingesetzt wurden, ist die Schweiz, wo es weltweit nach Großbritannien die zweitmeisten bse-Fälle gab. Einer, der sich ebenfalls gegen die mit großem Druck vorangetriebene Behandlung der Tiere mit einem Organophosphat - wie beispielsweise "Neguvon" von Bayer - wehrte, war der im Kanton Zürich lebende Bauer Urs Hans. Es gelang ihm jedoch nicht nur, diese schwere Zeit durchzustehen, sondern auch ein natürliches Mittel (ein Zitruskernextrakt) zu finden, mit dem er innerhalb kurzer Zeit die "Dasselfliegen-Seuche" ganz ausrotten konnte. "Dennoch hat sich bis heute niemand dafür interessiert, denn kein Tierarzt, kein Forscher und kein Beamter würde daran etwas verdienen", lautet sein Resümee. Dass in der Schweiz die Zahl der bse-Fälle 2004 erstmals von meist jährlich über 20 auf drei deutlich zurückging, führt Urs Hans nicht auf das seit 1996 auch im Hühnerfutter verbotene Tiermehl zurück, sondern darauf, dass Neguvon Ende der 1990er Jahre vom Markt genommen wurde.

BSE als Alterserscheinung

Haben wir also einen Skandal im bse-Skandal vorliegen? Viele Argumente sprechen dafür - ebenso wie es Argumente dafür gibt, dass der bse-Test der Kuh des Vorarlberger Bauern etwas "ganz Normales" ans Tageslicht brachte: Vor vielen Jahrzehnten, als die Rinder noch weit länger als heute lebten und leben durften, waren in allen Regionen - selten aber doch - Fälle von "wahnsinnigen Rindern" bekannt. Der bse-Test zeige lediglich auch diesen seit Ewigkeiten bekannten genetischen Defekt auf, erklären die Autoren Scholz und Lorenzen.

Buchtipp:

Phantom BSE-Gefahr

Irrwege von Wissenschaft und Politik im BSE-Skandal.

Von Roland Scholz und Sievert Lorenzen. Berenkamp, Innsbruck 2005.

127 Seiten, geb., e 27,90

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