Der skeptische Blick auf die Welt

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Die vielen Distanzierungsversuche wecken den Verdacht, daß die politische Unterscheidung in rechts und links doch noch nicht überholt sein könnte. Und in der Tat, es gibt essentielle Wesenszüge, die rechts von links abgrenzen.

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Die vielen Distanzierungsversuche wecken den Verdacht, daß die politische Unterscheidung in rechts und links doch noch nicht überholt sein könnte. Und in der Tat, es gibt essentielle Wesenszüge, die rechts von links abgrenzen.

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In der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzung verkommt die Unterscheidung zwischen rechts und links anscheinend immer mehr zu einem Anachronismus, den es nach Meinung vieler möglichst schnell ad acta zu legen gilt.

Selbst Politiker scheinen mit den beiden Begriffen nur noch wenig anfangen zu können - oder zumindest wollen sie es nicht. Lieber bastelt man an der neuen Mitte jenseits von rechts und links oder macht sich - ganz im Trend postmoderner Beliebigkeit - für eine befreite Zukunft von rechts und links stark. Bei so vielen Distanzierungsversuchen kann man sich des Verdachts nicht erwehren, daß die Unterscheidung zwischen links und rechts doch nicht so überholt sein könnte, wie das so gerne behauptet wird. Man könnte sogar vermuten, daß der Rekurs auf die neue Mitte und andere Modewörter nur davon ablenken soll, wie dramatisch der weltweite Siegeszug der Kapitalistischen Weltrevolution im Zeichen forcierter Globalisierung den Raum für eine Wahl zwischen Alternativen beschränkt hat.

Doch was ist heute überhaupt noch rechts? Eine Antwort auf diese Frage zu finden ist schon deshalb kein leichtes Unterfangen, da der Begriff nicht nur vielschichtig und in seiner Bedeutung umstritten ist, sondern auch weil mit ihm nicht überall dasselbe verbunden wird. In den Vereinigten Staaten verbindet man mit rechts andere Vorstellungen und Werte als in Deutschland, und in Deutschland andere als zum Beispiel in Frankreich oder Großbritannien.

Trotzdem gibt es essentielle Wesenszüge, die rechts von links unterscheiden. Einer davon ist die Art, die Welt, die Geschichte und den Menschen zu sehen. Die rechte Sicht war immer eine skeptische, vielleicht sogar pessimistische Sicht, vor allem im Bezug auf den Menschen und die Geschichte. Aus rechter Sicht ist die menschliche Natur zutiefst problematisch und bedarf deshalb einer straffen Ordnung zu ihrer Eingrenzung. Diese soll durch Institutionen und vor allem einen starken Staat gewährleistet werden.

Ein weiterer rechter Wesenszug ist die anti-egalitäre Ausrichtung, wie dies unlängst von dem italienischen Philosophen Norberto Bobbio eindrucksvoll aufgezeigt wurde. Aus rechter Sicht gibt es eine natürliche, hierarchisch gegliederte, organische Ordnung, deren Störung durch den einzelnen notwendigerweise katastrophale Folgen für die Gemeinschaft haben muß. Rechts zu sein heißt deshalb auch immer Ablehnung der Werte der Aufklärung und der Französischen Revolution, heißt Anti-Individualismus und vor allem Anti-Liberalismus. Aus rechter Sicht führt der Liberalismus mit seiner Forderung nach individueller Freiheit und Selbstverwirklichung zur Zerstörung der gewachsenen Ordnung und traditionellen Werte und damit unweigerlich in die Anarchie. Heute richtet sich der rechte Anti-Egalitarismus vor allem gegen das Recht auf Gleichberechtigung und Selbstbestimmung und Selbstentfaltung der Frau, das auf der Rechten als eine grundlegende Herausforderung an die natürliche Ordnung und vor allem als eine Bedrohung der Familie und damit des Fortbestands des eigenen Volkes gesehen wird.

Angesichtes der klaren weltanschaulichen Prinzipien der rechten Position erscheint die gegenwärtige Begriffsverwässerung zwischen links und rechts etwas erstaunlich. Doch dafür gibt es gute Gründe. Der vielleicht wichtigste ist die Auflösung weltanschaulicher Grundpositionen infolge deren rechts immer mehr banalisiert worden ist. So hat sich spätestens seit Margaret Thatcher und Ronald Reagan rechts auf eine Kombination von starkem Staat und Wirtschaftsliberalismus reduziert.

Dagegen werden traditionell rechte Positionen nur noch von einer Minderheit am äußersten Rand des weltanschaulichen Spektrums vertreten, wie zum Beispiel von der intellektuellen Neuen Rechten und einigen rechtspopulistischen Parteien in Europa, von christlich-fundamentalistischen Strömungen in den Vereinigten Staaten oder Kanada, und von rassistischen und neo-nazistischen Gruppen im Internet. Ihr Einfluß auf die Politik im Mainstream, das hat gerade das Beispiel der amerikanischen Christian Right in den letzten Jahren gezeigt, ist ziemlich begrenzt.

Nicht nur in den Vereinigten Staaten war in den achtziger und neunziger Jahren rechts einzustufen, wer für einen starken Staat als Garant von Law and Order eintrat, ihm jedoch eine Rolle in der Verteilung von finanziellen Ressourcen und Macht nach unten und als Garant von mehr sozialer Gerechtigkeit absprach. Ende der achtziger Jahre kam dann mit der Ausländerfrage ein weiteres Thema dazu, das rechts und links mehr oder minder bemerkbar spaltete. Im Zuge der jüngsten Kontroversen um Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und Wohlfahrtsstaat scheint eine weitere Reduzierung des weltanschaulichen Raums auf das "positive oder negative Verhältnis zum Sozialstaat" (Joschka Fischer) als zentrales Abgrenzungskriterium zwischen links und rechts nicht ausgeschlossen.

Damit stellt sich jedoch die Frage, ob in der gegenwärtigen Situation "rechts" überhaupt noch eine konkrete Bedeutung hat und somit auch weiterhin einen klar abgegrenzten und definierbaren Orientierungspunkt für die politische Diskussion bieten kann. Man kann dies mit gutem Grund bezweifeln. Zwar hat sich mit dem Übergang vom Sozialstaat zum "globalisierten Wettbewerbsstaat" der politische Schwerpunkt von links nach rechts verlagert. Doch die politische Rechte scheint es nicht zu verstehen, daraus politisches Kapital zu schlagen. Im Gegenteil. Heute sind es gerade die Vertreter der traditionellen Linken, die vormals rechte Positionen im Kampf um mehr Wettbewerbsfähigkeit im globalen wirtschaftlichen Konkurrenzkampf propagieren.

Rechts bleibt nicht viel mehr als entweder gute Miene zum bösen Spiel zu machen, nur eben mit stärkeren Forderungen - noch weniger Steuern, noch mehr Selbstverantwortung, Null-Einwanderung - oder aber eine Kehrtwendung zu machen und traditionell linke Positionen gegen Globalisierung und für soziale Sicherheit aufzunehmen. Das wäre zwar nicht mehr rechts, aber zumindest eine politische Alternative.

Der Autor ist Politikwissenschaftler am Center for European Studies der New York University.

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