Der Stachel des Zweifels

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Warum wir drauf und dran sind, den Klimaschutz aus der Hand zu geben und zu einem Spielball der Konzerne werden zu lassen und warum eine vielleicht antiquierte Form des Zweifelns wieder von hohem Nutzen wäre.

Der Zweifel ist ein wertvoller Gefährte der Menschheit. Dem Abendland schuf er über Sokrates und Platon das philosophische Fundament, der Aufklärung erhellte er die Sphären der Wissenschaft und vertrieb so die Dämonen, mit denen sich die Menschheit Jahrtausende lang herumgeplagt hatte. So diente er brav dem Fortschritt oder, wie es Goethe benannte: Der Widerspruch erst macht uns produktiv.

Einer der Auswüchse des übersättigten Abendlandes ist es nun, dass sich die Natur des Zweifels ändert. Man zweifelt neuerdings nicht mehr, um mehr zu wissen, sondern weil zu zweifeln leichter fällt als zu denken. Wenn dem einen oder anderen Wortakrobaten lustig ist, dann wird mit einem Federstrich in Abrede gestellt, was bisher gut und richtig erschien: die EU, das Miteinander der Religionen, die Gleichstellung von Mann und Frau et cetera. Das wäre nicht weiter tragisch, würde sich der Widerspruch in seiner geblähten Dummheit nicht als Waffe instrumentalisieren lassen.

Die gekaufte Kritik

Vorzugsweise passiert das in der geldgetriebensten Demokratien der Welt, den USA: Barack Obama machte diese Erfahrung bei seiner Gesundheitsreform, die ihm eine von republikanischen Scharfmachern aufgestachelte Horde vergiftete. Die Welt erlebt dem Wesen nach Deckungsgleiches beim Klimaschutz, der, wie sich nun herausstellt, einen offenbar von US-Kapitalgesellschaften gesteuerten Abgang erleben soll. Die Industrie kauft sich für mehr als 160 Millionen Dollar pro Jahr die Stimme von neokonservativen Thinktanks samt befreundeter Wissenschafter, die unter dem Deckmantel unabhängiger Kritik als „Panikmache“ verächtlich machen, was Wissenschafter zum Klimawandel herausgefunden haben.

Zu unfreiwilligen Handlangern werden dabei die Eiferer unter den Umweltschützern und Wissenschaftern, die Fakten überinterpretieren, um aus trockenen Daten die Optik der Katastrophe herauszuschälen. Damit spielen sie jenen in die Hände, die im Auftrag der Industrie wegen solcher Petitessen den gesamten Klimawandel infrage stellen. Kein Wunder, dass einer der „Skeptiker“ nach dem gescheiterten Gipfel in Kopenhagen frohlockte: „We will win the science battle.“ Und tatsächlich droht sich der gesellschaftliche Konsens aufzulösen, dass Klimaschutz ein Gebot der Stunde sei.

Die Medien hätten die Möglichkeit, in diesen Prozess als Korrektiv einzugreifen. Aber sie tun das weder in den USA noch in Europa. Mehr noch zeigt sich, dass sie selbst lüstern am Kampfring der Klimatologen stehen und sich über jede Schlagzeile, in der die Worte Klima-Streit und -Krieg vorkommen, freuen, bringt das doch ein paar lumpige Käufer mehr. Gibt es noch Herausgeber, die gutes Geld für gut ausgebildete Wissenschaftsjournalisten hinblättern? Geht nicht der Trend dahin, das Denken an sogenannte Experten auszulagern, deren finanziellen Hintergrund man vorzugsweise gar nicht kennen will? Verkommt nicht der Redakteur zum stumpfen „copy and paste“-Drücker?

Drill Baby, drill!

Desinformiert und in die Irre geführt, soll dann die „Zivilgesellschaft“ letzter Rückhalt der Unparteilichkeit sein. Das kann sie nicht, da ihr nun einmal das wichtigste Instrument fehlt: die Information. Die Politik aber strebt zielsicher in die falsche Richtung: Die Green-Energy-Strategie des US-Präsidenten gebar jüngst den Vorschlag, weitere Ölbohrinseln vor der US-Küste zu genehmigen. Europa kann sich von diesen Entwicklungen nicht abkoppeln. Längst stehen auch hier willfährige Publizisten und Zukunftsforscher zur Antithese um jeden Preis bereit. Mit Erfolg? Ein kleines Beispiel mit hoher Aussagekraft: Das britische Wissenschaftsmuseum benannte vor einer Woche seine neue, mit großem finanziellen Aufwand ins Leben gerufene „Klimawandel-Abteilung“ in „Klimawissenschafts-Abteilung“ um. Begründet wurde das mit dem „Gebot der Objektivität“. Einer der Hauptfinanciers der sechs Millionen Pfund teueren Abteilung: Shell Oil. Ob das nicht den Stachel des Zweifels in unseren Verstand senken sollte?

* oliver.tanzer@furche.at

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