Der Starautor starb als Journalist ohne Zeitung

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In Richard A. Bermanns Feuilletons und Reportagen wird Versunkenes frisch und lebendig.

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In Richard A. Bermanns Feuilletons und Reportagen wird Versunkenes frisch und lebendig.

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Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Was für Zeitungen gilt, muss jedoch nicht für einzelne Artikel gelten, vor allem dann, wenn sie von einem Berufenen wie Richard A. Bermann alias Arnold Höllriegel stammen. Nach seiner Autobiographie "Die Fahrt auf dem Katarakt", in der er sein Leben als Journalist und seine Begegnungen mit Sigmund Freud, Arthur Schnitzler, Albert Einstein und Victor Adler, um nur einige zu nennen, schilderte, liegt nun ein Band seiner Reportagen vor, die er für deutsche und österreichische Zeitungen vom "Berliner Tagblatt" bis zum Wiener "Tag" geschrieben hat.

Diese Sammlung von Feuilletons aus den Jahren 1911 bis 1938 erlaubt eine der ungewöhnlichsten Zeitreisen seit langem. Unprätentiös, ohne Vorwarnung und ohne langes Vorwort steigt man lesend in den Zug im alten Prag zu einem Zeitpunkt ein, wo Egon Erwin Kisch gerade noch ein Geheimtip ist. Was es in der Folge zu lesen gibt, das wirkt so unmittelbar, wie es damals aktuell war. Momentaufnahmen, so frisch, als würden wir in einem Kaffeehaus sitzen und über einen Peter Altenberg lesen, der schon ein Unikum geworden, aber dessen literarische Qualität noch unerkannt ist. "Wenn glanzvolle Kulturen alt und müde werden, dann treten solche Künstlermenschen auf, deren Kraft nur noch äußerste Verfeinerung ist, denen nicht großes episches Gestalten gegeben ward, nur unendliche Zartheit, die Meister des Mosaikstils, des Epigramms" schreibt Bermann 1919.

Natürlich wissen wir, was in der Zwischenzeit geschah, wer berühmt wurde und was die Nachwelt sagte, und gerade dieses Wissen macht den Reiz dieses Abenteuers Zeitreise aus. Denn zwei Filme laufen nebeneinander ab, jener mit den Einschätzungen, dem Wissen um das Geschehene drängt sich in den Vordergrund. Jener, dessen Strahlkraft die Aktualität der Vergangenheit, gebündelt in Feuilletons, ausmacht, hat es jedoch nur auf den ersten Blick schwer. In diesem Wettkampf um die Aufmerksamkeit gibt es einen eindeutigen Gewinner, die historische Aktualität. Der Sieger heißt Richard A. Bermann.

Seine Leichtigkeit, die Gewandtheit seiner Sprache, die Treffsicherheit seines Urteils erfreuen das Herz. Wer hätte gedacht, dass man auch aus einem Bericht über den 60. Geburtstag von Hermann Bahr heute noch schöpfen kann: "Alle Leute, die ihr Leben lang keine Meinung gehabt haben, oder, was ärger ist, immer nur eine, freuen sich so sehr, dass Hermann Bahr seine Meinung, das meinen sie, so oft gewechselt habe ... Nur Gott, die großen Propheten und die kleinen Spießer irren sich nie. Das gibt den Spießern die göttliche Überlegenheit."

Richard Bermann ist viel in der Welt herumgekommen, er war einer der wenigen Korrespondenten, die zu den Friedensverhandlungen in St. Germain zugelassen wurden, er bereiste die Südsee auf einem Luxusdampfer, bereits 1926 ist er in Hollywood und trinkt Tee mit Charlie Chaplin. Er nimmt an der riskanten Wüstenexpedition des ungarischen Grafen Almassy in der libyschen Wüste teil, die durch den Film "Der englische Patient" Popularität erlangte. Vor den Nazis flieht er über Paris und London nach New York, wo er als "Journalist ohne Zeitung" arbeitet und an seinem Roman über den Schriftsteller Robert Louis Stevenson schreibt. Den Nachruf auf diesen romantischen Reisenden schrieb Alfred Polgar 1939: "Er war ein grundgescheiter, umfassend gebildeter Mann, ein begabter Schriftsteller und glänzender Journalist, der interessant, farbig, witzig zu schildern und zu erzählen wusste, ein mutiger Schreiber, der der Wahrheit auch die Ehre gab, wenn es gefährlich war so zu tun."

Für Hermann Broch war er einer der führenden Journalisten Deutschlands. Die Annäherung an diesen vergessenen Großen kann heute in kleinen Schritten in 50 Reportagen erfolgen, keineswegs kann diese Begegnung jedoch die Autobiographie "Die Fahrt auf dem Katarakt" ersetzen, eines der großen Erinnerungsbücher des alten Europa. Zum Schluss bleibt nur eine Empfehlung: Nehmt Urlaub von der Realität, gönnt euch diese Zeitreise.

Denn sie ist keine Flucht und nicht nur Nostalgie, sondern sie kann auch zu einer Selbstvergewisserung beitragen, zum Beispiel über unsere Republik und das Werden derselben: "Die republikanischen Flecke auf der vaterländischen Karte, die ich rot illuminiert sehen will, sind jene Kindergärten, Schulen, in denen Kinder ohne Angst und Scheu aufwachsen, und die Siedlungen, in denen Erwachsene eine freie und verantwortliche Gemeinsamkeit lernen. Zur Republik erzieht bei uns nicht die Republik, sondern die Gemeinschaftsküche und der Touristenverein und der Volksbildungsverein ... jede Veranstaltung, die Menschen ohne Zwang zusammenführt und ohne Zwang als Gleichberechtigte und gleichmäßig Zahlende miteinander auskommen heißt."

Hollywood - Wien und zurück. Feuilletons und Reportagen von Richard A. Bermann alias Arnold Höllriegel. Picus Verlag, Wien 1999, 270 Seiten, geb., öS 291,-/e 21,15.

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