Der Tag, als "der Himmel aufging"

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An diesem 19. August 1989 dachte ich, der Himmel geht auf und eine neue Zeit beginnt. Und so war es auch!" Der inzwischen 87-jährige Hans-Dietrich Genscher, legendärer deutscher Langzeit-Außenminister, weiß noch heute ganz genau, was sich an jenem Tag vor genau 25 Jahren an der burgenländischen Grenze zu Ungarn ereignet hat: Jenes "Paneuropa-Picknick", das letztlich den Eisernen Vorhang überwinden sollte.

Peinlicherweise erinnere ich mich kaum. Immerhin war ich damals Außenpolitik-Chef des KURIER und möglicherweise auf Urlaub. Jedenfalls bedrängt mich im Rückblick das Gefühl, den vielleicht wichtigsten Augenblick meiner Berufsjahre nicht ausreichend erkannt und richtig bewertet zu haben.

Ja, schon ab dem Frühjahr 1989 hatte es entlang der europäischen Scheidelinie zwischen Ost und West zu brodeln begonnen. Todbringende Grenzverhaue waren entschärft worden. Der sowjetische Koloss hatte unter Gorbatschow die eiserne Faust gelockert. Und die Prager KP-Führer rätselten, ob es gefahrloser wäre, den Volkshelden Václav Havel einzusperren oder frei reden zu lassen. Alles drängte zu einer neuen Weltordnung hin, die ich dann -nur Wochen später -aus großer Nähe miterleben konnte.

Aber jener 19. August, den 600 DDR-Bürger zur Flucht in die Freiheit nutzten, ist mir als Markstein seltsam blass im Gedächtnis geblieben.

Oft habe ich darüber nachgedacht, wie das geschehen konnte: War es, weil ich nicht selbst dabei gewesen war? War ich (und nicht nur ich) noch außerstande, den Zusammenbruch eines so riesigen Machtsystems als reale Möglichkeit zu akzeptieren? War es, weil ich jene raren Gesprächspartner aus dem Osten, die mir ihr "Hoffen gegen alle Hoffnung" über Jahre hinweg anvertraut hatten - unter ihnen auch der spätere polnische Papst -, für mutige, aber letztlich naive Randgestalten der Geschichte gehalten hatte?

Eine unvergessliche Nacht

Tatsache ist, dass ich dieses "wunderbare Ereignis der Menschheit", das der alte Genscher mit dem 19. August verbindet, erst in jener unvergesslichen Nacht im November 1989 akzeptieren konnte, als wir -eine Handvoll Österreicher -die wenigen Kilometer von Hainburg nach Bratislava hinübergefahren sind, erstmals ohne jede Trennlinie und Grenzsoldaten. Als wir in einem Kellertheater durch dunkle Kulissendepots in das Bühnenlicht geführt wurden. Als die Menschen im Publikum plötzlich zu weinen begannen und uns berühren wollten - um sicher zu sein, dass wir auch wirklich da sind. "Wir kennen euch alle", sagte einer von ihnen, "wir haben sogar dort Urlaub gemacht, wo wir ORF-Nachrichten empfangen konnten. Aber wer hätte je geglaubt, dass ihr einmal zu uns kommt ..."

Erst in dieser Stunde war für mich das Wunder grenzenloser Nachbarschaft geschehen. Mit einer enormen Euphorie - aber noch ohne jede Ahnung, wie sehr es auch ein Aufbruch ins Ungewisse sein würde.

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