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Mit Details, ob Carlos nun Zigaretten- oder Zigarrenraucher oder doch kein Goldketterltyp war, gibt sich Olivier Assayas nicht ab. Der Regisseur will aber Hintergründe des Terrors aufzeigen.

"Carlos" des französischen Regisseurs Olivier Assayas erzählt in fünf Stunden und 33 Minuten die Lebensgeschichte des meistgefürchteten Terroristen der 70er- und 80er-Jahre nach: Ilich Ramírez Sánchez, genannt Carlos. Der Film war ursprünglich als Dreiteiler fürs Fernsehen konzipiert, kommt wegen seines großen Erfolges bei den Filmfestspielen von Cannes nun aber auch in einer gekürzten Fassung in die Kinos. DIE FURCHE traf Assayas zum Gespräch.

Die Furche: Monsieur Assayas, was hat Sie dazu bewogen, einen mehr als fünfstündigen Film über das Leben des Terroristen Carlos zu drehen?

Olivier Assayas: Ich fragte mich, warum noch niemand auf die Idee gekommen ist, einen Film über Carlos zu machen. Carlos gehört den modernen Mythen und Legenden, dessen Leben unglaublich abenteuerlich war. Natürlich, er ist ein Böser, doch mit dem Bösen hatte das Kino ja noch nie Berührungsängste - was hat man nicht alles für Bösewichte gesehen, einschließlich Adolf Hitler.

Die Furche: Dennoch ist "Carlos" kein typischer Stoff für Sie.

Assayas: Das stimmt. Deshalb war ich zunächst zurückhaltend, was die Verfilmung anging. Als ich anfing, über Carlos zu lesen und mich mit der Recherche befasste, war ich absolut fasziniert von diesem Mann. Zuerst, weil es auch die persönliche Geschichte eines Menschen ist und nicht nur die eines Terror-Phantoms. Außerdem war das Timing gerade richtig. Carlos' Taten liegen 30 Jahre zurück, was es uns erlaubt, sie mit der nötigen Distanz zu betrachten. Terrorismus ist immer Terrorismus, aber die Distanz ist nötig, um die Gründe für Terrorakte zu erkennen. Wann immer auf der Welt irgendwo ein Koffer explodiert, sind die Menschen und die Medien tagelang aufgescheucht, die Hintergründe herauszufinden und die Drahtzieher. Die Frage nach dem Warum kann aber fast nie beantwortet werden. Das gelingt erst Jahrzehnte später, wenn manche Terroristen zu reden beginnen, Bücher schreiben und Hintergründe erklären. Doch dann machen sie keine Schlagzeilen mehr.

Die Furche: Wie viel wussten Sie vor dem Projekt über Carlos?

Assayas: Anfangs hatte ich eine sehr naive Vorstellung von Carlos und seinen Verbrechen. Aber mit der Recherche fand ich plötzlich die Antworten auf all die Fragen, die man sich damals in der Öffentlichkeit stellte. Das faszinierte mich. Ich wollte also einen Film machen, der nicht nur die persönliche Geschichte von Carlos erzählte, sondern auch als Dekonstruktion der Logik von Staatsterrorismus funktioniert. Dazu wollte ich die Geschichte des Terrorismus in Beziehung zur Geschichte Europas setzen.

Die Furche: Warum haben Sie Carlos nicht persönlich aufgesucht?

Assayas: Eine verrückte Person, die seit Jahren im Gefängnis sitzt, ist nicht mehr dieselbe Person, die ich zu porträtieren versuchte. Außerdem hätte ein Treffen sicher eine seltsame Aura gehabt, zumal ich Wert darauf lege, mich kreativ genau vorbereiten zu können. "Carlos" ist ja kein Biopic, sondern ein fiktionaler Film, und dazu braucht es auch kreative Freiheit. Auch ein Grund für meine Weigerung war, dass ich mir nicht vorstellen könnte, warum mir Carlos die Wahrheit über sein Leben erzählen sollte. In einem Interview beschwerte sich Carlos darüber, dass wir ihn in einer Szene mit einer Goldkette zeigen, denn er habe niemals eine Goldkette getragen. Aber ich bitte Sie, ich war nicht dabei und bin kein Augenzeuge der exakten Historie gewesen. Ich habe die Ereignisse von damals mit Akribie als fiktionalen Film zu erzählen versucht. Carlos regte sich auch darüber auf, dass er im Film als Zigarettenraucher dargestellt wird, wo er doch viel lieber Zigarren mag. Ich bitte Sie, Carlos-Darsteller Édgar Ramírez mag eben lieber Zigaretten.

Die Furche: Wie konnten Sie schließlich trotz ihrer "fiktionalen" Handlung die Tatsachen möglichst getreu rekonstruieren?

Assayas: Ich verwendete viele Abschriften aus Stasi-Akten und von der ungarischen Staatssicherheit. Ich habe teilweise Dialoge aus diesen Akten übernommen und meine Schauspieler damit rumspielen lassen. Hätte ich selbst je mit Carlos gesprochen, dann hätte sich in meinem Kopf wohl ein festes Bild eingebrannt, das ich so erst kreieren musste. Das war mir lieber. Außerdem wollte Carlos damals gar nicht mit uns sprechen, und jetzt, wo der Film fertig ist, beschwert er sich, dass wir ihn gar nicht kontaktierten.

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