Der Teufel filmt immer und überall mit

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Igor Strawinski war vom Kupferstichzyklus „The Rake’s Progress“ des englischen Malers William Hogarth derart begeistert, dass er daraus eine Oper machte. Nikolaus Harnoncourt und Martin KuÇsej präsentieren das einzige abendfüllende Musiktheaterwerk Strawinskis nun im Theater an der Wien.

Bei seinem durch die Jahre sorgfältig geplanten interpretatorischen Gang durch die Musikgeschichte ist Nikolaus Harnoncourt bei der Oper des 20. Jahrhunderts angelangt. Ein erstes Ergebnis präsentierte er vergangene Woche im Theater an der Wien: Igor Strawinskis einzige abendfüllende Oper, „The Rake’s Progress“. Mit Gershwins „Porgy and Bess“ bei der kommenden „Styriarte“ und Alban Bergs „Lulu“ bei den Salzburger Festspielen in der Regie Jürgen Flimms wird er diesen Weg auch in Zukunft fortsetzen. Auch bei Strawinski setzte der Dirigent auf einen bewährten Regisseur, Martin KuÇsej, der damit zum fünften Mal mit ihm zusammenarbeitete.

Im Vorfeld kam es beinahe zum Skandal, weil nach Ansicht der Behörden KuÇsej die Bordellszene so exzessiv gestaltet habe, dass man schließlich die Vorstellung für Besucher unter 18 Jahren verbot. Überrascht waren nicht nur die Protagonisten, sondern auch die Premierenbesucher. Was KuÇsej vorführt, ist eine ziemlich müde Hommage an einen vor Langeweile berstenden Swingerclub. Ihm wird nur insofern etwas Leben eingehaucht, als der mit distanzierter Diabolik agierende Nick Shadow (der vokal ziemlich verbrauchte Alastair Miles) die Szenen live mitfilmt.

Blickfang für Fernsehapparate

KuÇsej verlegt die im Original in London um die Mitte des 18. Jahrhunderts angesiedelte Szenerie in das Wien der Gegenwart. Die Erich Wonder-Schülerin Annette Murschetz baute einen schmucklosen weißen Raum, den man auch überall sonst wo ansiedeln könnte. Er bietet Platz für verschiedenste Versatzstücke, vor allem einen idealen Blickfang für Fernsehapparate. Parallel zu den einzelnen Bildern werden nämlich Teile aus Societysendungen eingeblendet. KuÇsejs Botschaft: So wie Nick Shadow einst Tom Rakewell (blendend und mit jugendlichem Elan gespielt und gesungen von Toby Spence) verführte und in den Irrsinn trieb, machen es heute die Medien. Sie versprechen und gaukeln vor, was in der Realität nicht zu halten ist. Selbst dort, wo man sie nicht vermeint, sind sie dabei, filmen mit.

Adriana KuÇcerovás frische, engelsgleiche, ihrem Tom bis zuletzt die Treue haltende Anne Trulove und die ohne Bart, dafür mit einem überdimensionalen Penis auftretende, sich mit ihrer Bühnenpersönlichkeit und hinreißender Komödiantik in den Mittelpunkt spielende Anne Sofie von Otter als verführerische Türken-Baba sind die Atouts dieser Produktion, die weiter ans Zürcher Opernhaus geht. Vorzüglich der Arnold Schönberg Chor.

Nicht allein spritzigen Akzenten, sondern vor allem den wehmütigen Momenten dieser mit ironischen Zitaten von der barocken Oper bis zu Verdi gespickten, kammermusikalisch konzipierten Partitur gehörte das Interesse von Nikolaus Harnoncourt. Selbstverständlich, akkurat und voll konzentriert folgten die Wiener Symphoniker seinen elegischen Intentionen.

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