Der Teufel im Computer

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Ich kenne Leute, die glauben zwar nicht mehr an Gott, aber an den Teufel. Theologisch ist das wahrscheinlich Unsinn, aber manchmal möchte ich ihnen darin trotzdem nicht widersprechen. Vor zwei Jahren erhielt ich eine E-Mail des von mir sehr geschätzten Vorarlberger Dichters Wolfgang Hermann. Nach meiner Gewohnheit habe ich die Nachricht auf Papier ausgedruckt und dann aus dem Computer gelöscht. Mittlerweile ist dieser Computer längst auf die Größe einer Streichholzschachtel zerdrückt, denn rasch, wie sich die Dinge in dieser Branche entwickeln, habe ich mir einen neuen anschaffen müssen. Auch Wolfgang Hermann hat den Brief nur in seiner Mappe mit Korrespondenzen, nicht aber im elektronischen Archiv abgelegt.

Seit zwei Wochen erreichen mich nun tatsächlich hunderte amüsierte, verärgerte, befremdete Mails aus allen Teilen der Welt, von Leuten, mit denen ich oft kommuniziere, und anderen, die mir gänzlich unbekannt sind. Sie alle finden in Wien, Berlin, Bogota, Lunz am See die Nachricht auf ihren Bildschirmen vor, in der mir vor 24 Monaten Wolfgang Hermann zwar nichts Ehrenrühriges berichtete, aber doch etwas, das nur uns zwei anging. Und alle wollen von mir nun wissen, warum sie das von mir wissen sollen. Was tun? Selbstmord verüben? Würde nichts nützen, denn er brächte nur mich, nicht aber die Nachricht aus der Welt, die über mich durch diese geht. Ein Experte hat es mir erschreckend so erklärt: Nichts, was in die virtuelle Welt gesetzt wurde, kann aus dieser je wieder verschwinden. Irgendwo an einem Server in Bludenz oder Shanghai hat sich diese Nachricht festgesetzt und ruht sich dort aus, bis es ihr gefällt, sich neuerdings zu aktivieren und mir Kummer zu bereiten. Jetzt frage ich Sie: Ist das Virtuelle womöglich Gott, den es gelegentlich langweilt? Ich tippe doch eher auf den Teufel.

Der Autor ist Schriftsteller und Literaturkritiker in Salzburg.

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