Der Teufel kommt durchs Backrohr

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Reinhard Göber inszeniert #Urfaust# am Tiroler Landestheater und will das Zeitgeiststück von 1775 als ebensolches herüberretten. Der junge Goethe hilft ihm entscheidend mit dem Kerndialog über Margarethes Frage: #Nun sag#, wie hast du#s mit der Religion?# Faust weicht aus: #Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.# #Man muss dran glauben!#, ereifert sich Margarethe #

So gut, so bekannt. Wie sehr der Zuschauer seinen #Faust# drauf hat, erkundet Mephistopheles eingangs beim Publikum, weil der Doktor in seinem Büro vor Laptop und Videowall den Monolog verweigert. Was hat er studiert, der Reihe nach? Wenn es Faust kollektiv entgegentönt #Da steh# ich nun, ich armer Tor # und bin so klug als wie zuvor#, wirkt die Gruppentherapie und er steigt wieder ein ins Leben. Was aber braucht ein Professor tief in der Midlife-Crisis? Wissenschaftsabstinenz und junges Blut! Statt ins Auerbachs Keller hinab steigen Faust und Mephistopheles, der sich fürderhin ums Praktische kümmert, zur Eisbar in die Alpen hinauf. Dort steckt der Teufel in der Bull-Dose und covert man den Nirvana-Song #Rape Me#, bis das schöne Fräulein Margarethe erscheint und Faust sich unerwartet vitalisiert fühlt.

Männlich-eindimensionales Denken

Welche junge Frau glaubt noch innig an ihren Gott, gehorcht der Mutter, fürchtet den Bruder, kennt das Wort Ehre und zerbricht an einem unehelichen Kind? Eben, also wird Gretchen in den Kammerspielen am Innsbrucker Rennweg zur Muslima. Faust stört das nicht in seinem Eroberungstrieb, er hat den männlichen Grad eindimensionalen Denkens erreicht, und Mephistopheles wird#s schon richten. Aber der Teufel ist weniger begabt als die Ausstatter (Bühne: Helfried Lauckner, Kostüme: Andrea Kuprian), in die Einbauküche von Margarethes Familie zwängt er sich und den Doktor durchs Backrohr, den Schmuck findet statt des Mädchens der Bruder, aber irgendwann gelingt#s, Mephistopheles wälzt sich auf dem Sofa samt Nachbarin Marthe, und Faust zettelt die Tragödie an.

Göber hat den #Urfaust# scharf auf 90 Minuten gekürzt, die Sprache aber nicht angegriffen. Und sie funktioniert auch ohne blonden Zopf und Gehrock. Der Geschichte sind im muslimischen Umfeld die banalen Züge ausgetrieben, Witz und Tiefgang schließen einander nicht aus, bekannte Pointen leuchten neu auf. Goethes Plot trifft auf eine kulturelle Parallelgesellschaft, heikel und wirksam. Allmählich belastet sich die Szene. Margarethes Bruder und Liesgen, seine Frau, schneiden auf dem Küchenblock Gemüse, dann treffen die Messer Margarethe.

Die Schauspieler lassen sich intensiv, ohne der Verlockung zur Überzeichnung nachzugeben, auf die neue Sicht ein. Helmuth A. Häusler großartig als viriler, intellektuell kriselnder Faust, der teuflisch gute Ideen bräuchte, aber nicht kriegt. Burkhard Wolf als Mephistopheles, der einer von nebenan sein könnte, weil er auch so seine Depressionen und Missgeschicke hat. Und Julia Rosa Stöckl schlicht als Margarethe, die am Konflikt zwischen engen Kulturtraditionen und ihrer beginnenden Emanzipation zerbricht.

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