Der Theologe der Armen: Hoffnung - trotz allem

Werbung
Werbung
Werbung

Er war wichtigster theologischer Berater von Oscar Romero, dem 1980 ermordeten Erzbischof von San Salvador. 1989 entging er selber einem Mordanschlag. Nun wurde Jon Sobrino 70.

Eigentlich hätte Jon Sobrino seinen 70er, den er am 27. Dezember begangen hat, nie erleben sollen: Vor 19 Jahren, noch keine 51, stand er, ganz buchstäblich, auf der "Abschussliste" der Armee. Doch er befand sich auf einer Vortragsreise im Ausland, als eine Eliteeinheit in der Nacht des 16. November 1989 auf den Campus der 1965 gegründeten Zentralamerikanischen Universität José Simeón Cañas (UCA) der Jesuiten in San Salvador einbrach. Die Soldaten erschossen und verstümmelten sechs seiner Mitbrüder, darunter den Rektor und Vizerektor, sowie - es sollte keine Zeugen geben - die Köchin der Kommunität und deren 15-jährige Tochter.

Seither ist nichts mehr so, wie es einmal war. Mit dem Buch "Sterben muss, wer an Götzen rührt" (Edition Exodus, Fribourg/Brig 1990), hat Sobrino versucht, die traumatischen Ereignisse zu verarbeiten. Um ihm unmissverständlich zu zeigen, dass auch er auf der Todesliste steht, schleiften die Soldaten seinerzeit die Leiche des Novizenmeisters und Theologieprofessors Juan Ramon Moreno in das Zimmer Sobrinos. Dabei fiel aus dem Regal ein Buch des Tübinger Theologen Jürgen Moltmann auf den Boden und saugte das Blut des Ermordeten auf: El Dios Crucificado - Der gekreuzigte Gott. Welches Symbol!

1938 in Barcelona geboren - die Eltern hatten aus politischen Gründen das Baskenland verlassen müssen -, wurde Sobrino 1956 Jesuit. Schon nach dem ersten Noviziatsjahr wurde er nach El Salvador "in die Mission" geschickt. Die ordensinterne Ausbildung führte ihn nach Kuba und nach Saint Louis (Missouri), wo er Philosophie und Ingenieurswissenschaften studierte. Für kurze Zeit unterrichtete er in El Salvador Philosophie und Mathematik, bevor er 1967 nach Frankfurt am Main kam. An der dortigen Jesuitenhochschule St. Georgen absolvierte er sein Theologiestudium, wurde 1969 zum Priester geweiht und schloss sofort das Doktoratsstudium über die Bedeutung von Kreuz und Auferstehung in den Christologien der evangelischen Theologen Wolfhart Pannenberg und Jürgen Moltmann an.

Erwachen aus "dogmatischem Schlummer"

1974 kehrte Sobrino nach El Salvador zurück, um zusammen mit Ignacio Ellacuría das "Zentrum für theologische Reflexion" zu gründen, die jetzige theologische Fakultät, an der er bis heute lehrt. Für seine Verdienste um die Theologie der Befreiung und seinen Einsatz für die Gerechtigkeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Ehrendoktorate, unter anderem 1992 den Menschenrechtspreis der Universität Graz (die Verleihung eines Ehrendoktorats scheiterte an einem vatikanischen Einspruch) und 1998 die Ehrendoktorwürde der Universität Münster. Seit 1997 gehört er zum Direktionskommitee der internationalen theologischen Zeitschrift Concilium.

Als Sobrino 1974 nach Mittelamerika zurückkehrte, war die salvadorianische Kirche dabei, die Impulse der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz von Medellín (1968) umzusetzen. Der "Option für die Armen" hatten sich 1974/75 auch die Jesuiten auf ihrer 32. Generalkongregation verpflichtet. Erst jetzt begann für Sobrino, der 1957 völlig unvorbereitet in El Salvador eingetroffen war, das allmähliche "Erwachen aus dem dogmatischen Schlummer", das mit dem "Erwachen aus dem Schlummer grausamer Unmenschlichkeiten" einherging: Ohne den Einsatz für Gerechtigkeit gibt es keinen glaubwürdigen Einsatz für den Glauben.

Im März 1977 wurde der erste Priester in El Salvador von Armeesoldaten ermordet: der Jesuit Rutilio Grande, Pfarrer in Aguilares. Er war ein enger Freund von Erzbischof Oscar Arnulf Romero gewesen, der daraufhin eine "Bekehrung zu den Armen" durchmachte. War Romero Sobrino zunächst distanziert gegenübergestanden und hatte in einem Dossier für den Vatikan vor dessen Christologie gewarnt, wurde Sobrino nun zusammen mit Ignacio Ellacuría SJ zum engsten theologischen Berater des Erzbischofs. Einer von vier Pastoralbriefen Romeros stammt aus Sobrinos Feder. Im März 1980 wurde Romero während einer Messe erschossen. Der erst 1992 beendete Bürgerkrieg, der über 70.000 Menschen das Leben kostete, eskalierte. Waren die Jesuiten bereits 1977 ultimativ aufgefordert worden, das Land zu verlassen, gehörten Bombenanschläge auf die UCA fortan zum Alltag. Das Massaker von 1989 war der (misslungene) Versuch, die Jesuitenuniversität mundtot zu machen. Der Armee wie der ultrarechten Regierungspartei Arena galt sie als das intellektuelle Zentrum des Rebellenbündnisses bzw. der Befreiungsbewegung FMLN.

Sobrinos Lebensweg ist von Toten geprägt. Er ist ein Überlebender. Wie sehr ihn dies prägt, zeigen seine Briefe an den ermordeten Mitbruder Ellacuría, die er seit 1990 jährlich zu dessen Todestag veröffentlicht und die seit 2007 auch auf Deutsch vorliegen. Es sind berührende Zeugnisse des Vermissens eines Freundes, dessen Vermächtnis Sobrino als theologischer Lehrer, als Herausgeber der Zeitschriften Revista Latinoamericana de Teología und Carta a las Iglesias wie auch als Seelsorger weiterführt. Sobrino hat nicht die Armen bekehrt, die Armen haben ihn bekehrt, ihm die Augen geöffnet und seine europäisch geprägte Theologie verändert und lateinamerikanisch "inkarniert": "Außerhalb der Armen", so Sobrinos theologisches Credo, "kein Heil." Dies ist auch der Titel seines jüngsten Buches (Fuera de los pobres no hay salvación, Madrid 2007).

Vatikanische Warnungen vor Sobrino

Man sieht ihm den Siebziger nicht wirklich an. Als ich Sobrino im vergangenen August eine Woche lang an der UCA besuchte, traf ich auf einen liebenswürdigen, aufgeschlossenen Mitbruder, der täglich in sein Büro kommt, Artikel redigiert, Vorlesungen und Vorträge vorbereitet, Bücher liest. Auch wenn er mit mir Englisch spricht, ist sein Deutsch immer noch sehr gut. Zu schaffen macht ihm einzig sein Alterszucker. Nach einem Glas Wein ist deswegen Schluss, auch wenn ein abendliches Gespräch länger dauert.

Das Erstaunliche, ja ungemein Berührende ist: Sobrino strahlt Hoffnung aus - trotz allem. Es ist eine Zuversicht, die einen angesichts seines Schicksals betroffen macht. Er ist kein Zyniker geworden, sein Leben hat ihn nicht bitter gemacht. Daran konnte nicht einmal die römische Glaubenskongregation etwas ändern, die im März 2007 eine "Notifikation" veröffentlichte, mit der sie vor "einzelnen Thesen" in seinen beiden christologischen Büchern "Jesucristo liberador. Lectura histórico-teológica de Jesús de Nazaret (dt.: "Christologie der Befreiung") und "La fe en Jesucristo. Ensayo desde las víctimas " (dt.: "Der Glaube an Jesus Christus. Eine Christologie aus der perspektive der Opfer", 2008, Grünewald-Verlag) warnte.

* Der Autor ist stv. Chefredakteur der "Stimmen der Zeit" in München und Leiter des Karl-Rahner-Archivs

Der Preis der Gerechtigkeit Briefe an einen ermordeten Freund

Von Jon Sobrino. Echter Verlag, Würzburg 2007. 111 S., geb., e 9,20

Die Freiheit der Theologie. Die Debatte um die Notifikation gegen Jon Sobrino

Hg. von Knut Wenzel. Grünewald Verlag, Ostfildern 2008. 96 S., kt., e 13,30,- Im Band findet sich auch der FURCHE-Artikel von Andreas R. Batlogg zur Causa vom 22.3.2007.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung