Der tiefe Graben zwischen Lehre und Praxis

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Die Argumente für Geburtenkontrolle entstammen nicht unbedingt einem hedonisti-schen Weltbild. Erinnerungen eines Zeitzeugen an die katholische „Pillen“-Kontroverse nach 1968.

Die Geistigkeit des II. Vatikanums und vor allem auch der Jahre danach waren von der pastoralen Sorge geprägt, wie in einer mit noch nie dagewesener Geschwindigkeit differenzierter werdenden Welt den Christen die Umsetzung ihres Glaubens in das tägliche Leben möglich gemacht werden kann. Immer wieder drehten sich die Tischgespräche im Wiener Erzbischöflichen Palais zwischen Kardinal König, dem Erzbischof Koadjutor Franz Jachym und seinen Weihbischöfen um diese Thematik, die in einem Aspekt – unter vielen – auch das Problem der Empfängnisverhütung umfasste.

Argument Nächstenliebe

Von medizinhistorischer Sicht wurde die Geburtenkontrolle nicht aus einem hedonistischen Weltbild geboren, wie es nach 1968 fälschlicherweise auch manchen Kirchengelehrten erschien, sondern aus einem humanistisch getragenen emotionalen Reflex: Auf einer ihrer vielen Weltreisen war die amerikanische Industriellengattin Margaret Sanger mit der unvorstellbaren Armut und Kindersterblichkeit in dem übervölkerten Indonesien konfrontiert worden. Sie fasste dabei den Entschluss, in einem kurzfristigen Projekt diesem Skandalon entgegenzutreten – die Forschungsförderung für die Entwicklung der hormonalen Kontrazeption wurde durch sie initiiert.

In Europa und in den USA versuchte die Pille, einem anderen Problem entgegenzutreten: Die Emanzipation der Frau wurde erst möglich, als es der Frau gelang, das mitzuentscheiden, wofür sie oft alleine die Letztverantwortung, die Zeit und die Mühen übernehmen musste – nämlich Schwangerschaft und frühkindliche Aufzucht. Vorher hat das häufig der Mann in einer nur wenige Minuten dauernden Aktion determiniert – das Weitere wurde der Frau überlassen. Dass man ihr das Recht der Mitentscheidung nicht absprechen kann, wäre unter Umständen sogar theologisch begründbar, die Pille stellte dafür den Kompromiss dar.

Mit dem Gebot der Nächstenliebe im Einklang stünden auch andere Argumente, die für die Empfängnisregelung sprächen: Steigt die Kinderzahl zu hoch an, so ist vor allem in sozial schwächeren Familien die materielle Versorgung, die Ausbildung, aber auch die Zuwendung durch die Eltern nicht mehr gewährleistet.

Diesen berechtigten Sorgen, die eine Geburtenkontrolle nahelegen, steht ein theologisches Argument entgegen, das letztendlich zur Enzyklika „Humanae vitae“ von Papst Paul VI. geführt hat, nämlich die ultimative Absage an alles, was mit der Entstehung des Lebens interferieren könnte; ein Argument, das nur mit Mühe und nicht unbedingt schlüssig aus den Quellen der Offenbarung, nämlich aus der Bibel und der Tradition, deduziert werden kann. Vor allem aber der betroffenen Frau, die einfach keinen Wohnraum und auch kein Geld für ein weiteres Kind hätte, diese theologischen Reflexionen nahezubringen, erschien vielen, die tagtäglich in pastoraler Weise mit Menschen arbeiten mussten, als unmöglich. Zum Zeitpunkt der Pillenentwicklung war ja der soziale Zustand unserer Gesellschaft nicht mit der in der Zwischenzeit wohlhabend gewordenen Jetztzeit vergleichbar.

In diesem Argumentationskonflikt befanden und befinden sich viele Priester, die die Hitze der Seelsorgearbeit zu tragen haben, die oft täglich im Beichtstuhl sitzen und erleben mussten, wie gläubige und praktizierende Christen mit diesem Kontrazeptionsverbot eigentlich nicht mitkonnten. Und in dieser pastoralen Zerreißprobe überantworteten sie die Letztentscheidung jener inneren Mitte des Menschen, in der er alleine mit Gott ist und die das II. Vatikanum mit dem Wort „Gewissen“ bezeichnet, dessen Autorität, wie der Fall Jägerstätter zeigte, auch über dem Gesetz steht.

Autorität Gewissen

Aus dieser pastoralen Empathie heraus ist auch die „Mariatroster Erklärung“ der österreichischen Bischöfe entstanden, die in ähnlicher Weise von vielen anderen Bischofskonferenzen formuliert wurde und die in dem weitaus größeren Teil ihres Textes um Verständnis und Zustimmung mit der vatikanischen Argumentation bemüht war.

Woher stammt aber letztendlich dieses Argument, dass die Empfängnisverhütung Gottes Schöpfungsplan durcheinanderbringt und deshalb die Pille verboten bleiben sollte? Die Quelle stammt aus wissenschaftlichen Arbeiten, die der junge Theologe Karol WojtyBa in Krakau publizierte, in denen er eine Empfängnisverhütung mit dem Beseelungsprozess Gottes in einer nicht vereinbaren Interferenz darstellte – das gleiche Argument wurde von ihm später als Papst in der Enzyklika „Donum vitae“ gegen die Fortpflanzungshilfen formuliert. Als Konzilsvater brachte es WojtyBa zustande, dass nicht das Konzil – in dem die Pille wahrscheinlich eine Mehrheit gefunden hätte – über die Empfängnisverhütung abstimmte, sondern eine direkt dem Papst unterstellte Kommission, in der er nicht nur die rote, sondern auch die graue Eminenz war.

Möglicherweise hatte WojtyBa grundsätzlich recht: Sich zur ultimativen Anwältin des Lebens vom Anfang bis zu dessen Ende zu machen, wäre ein unglaubliches, weitsichtiges Verdienst der Christen gewesen – allerdings als ein für diese Welt nur als Zielgebot geltendes Postulat, das in der Widersprüchlichkeit der menschlichen Existenz immer wieder auf Güte und Toleranz ausweichen muss.

Der Autor ist Gynäkologe, Hormonspezialist und Reproduktionsmediziner an der Medizinuniversität Wien. In den 70er Jahren war der promovierte Theologe Sekretär von Kardinal König.

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