Der Tod als ultimativer Kick

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"Don Giovanni" in hartem Neonlicht bei den diesjährigen Salzburger Festspielen.

Viva la libertà": Selten klangen diese Worte so bitter. Wenn die Gäste in Don Giovannis Trinkspruch einstimmen, so klingt das, als ob eine der gebeutelten Figuren Michel Houellebecqs gezwungen wäre, ein Loblied auf die sexuelle Befreiung zu singen. Des Lüstlings Hochzeitsgäste kennen mittlerweile die Schattenseiten der Freiheit. Und das hört man.

Salzburg hat seinen Jahrhundert-"Don Giovanni". Was Dirigent Nikolaus Harnoncourt, Regisseur Martin KuÇsej und einem perfekten Sängerensemble bei den diesjährigen Salzburger Festspielen mit der Mozart-Oper gelingt, ist die vollkommene Harmonie zwischen einer kühnen musikalischen Interpretation und einem ebenso kühnen szenischen Wurf. Obwohl diese Qualität der Aufführung unbestreitbar ist, wird dennoch nicht jeder seine Freude haben, der das Große Festspielhaus besucht: Zu sehr weicht dieser umwerfende "Don Giovanni" - musikalisch wie szenisch - von althergebrachten Vorstellungen ab.

Nicht Düsternis, sondern die Kälte des Neonlichtes; nicht Eros, sondern Thanatos; nicht Verführung, sondern schneller Sex beherrschen die Welt dieses Don Juan. Es ist eine Welt, die der unseren gleicht: die Menschen als Player auf dem gnadenlosen freien Markt der nur noch so genannten Liebe. Don Giovanni (Thomas Hampson) hat diese Freiheit voll ausgekostet und kann sich nur noch im Exzess Lust verschaffen. Wie seine abartige Sexualität im Detail beschaffen ist, das erfährt man nicht, schließlich misslingen im Stück alle seine Vorhaben, jedenfalls muss er dazu seinen Partnerinnen/Opfern die Augen verbinden.

Während der "Registerarie" zeigt KuÇsej dem Zuseher jene angeblich über 2.000 Frauen, die Don Giovanni gehabt hat: eine Masse enterotisierter weiblicher Körper in steriler weißer Unterwäsche, nicht unähnlich einer Installation von Vanessa Beecroft. Und dazu eine ganze Football-Damenmannschaft - schließlich ist es ein "heiteres Drama" -, Putzfrauen mit Besen und Eimern, ja sogar vor Kindern hat Don Giovannis Trieb nicht Halt gemacht. Den ultimativen Kick verspricht schließlich nur noch der Tod, den er zum Dinner lädt: Als ihn der Komtur (Kurt Moll) auffordert zu bereuen, bricht er nur in Lachen aus, denn die Hölle bedeutet ihm nicht Qual, sondern Erfüllung. Und tatsächlich: Don Giovanni versinkt nicht im düsteren Höllenschlund, sondern in himmlischen Wolken.

Auch die anderen Protagonisten bewohnen eine Welt, in der kein Platz ist für Romantik und Liebe: Donna Anna (großartig: Anna Netrebko) kreidet ihrem angeblichen Vergewaltiger nicht an, in ihr Zimmer eingedrungen zu sein, sondern es frühzeitig wieder zu verlassen. Hinter der biederen Oberfläche ihres Verlobten Don Ottavio (Michael Schade) verbirgt sich ein brutaler Kerl, Zerlina (Magdalena KoÇzená) und Masetto (Luca Pisaroni) prügeln sich schon am Hochzeitstag. Allein Donna Elvira (Melanie Diener) scheint so etwas wie echte Gefühle zu empfinden. Zwiespältig zu beurteilen ist Gehilfe Leporello (Ildebrando d'Arcangelo, der nach seiner Erkrankung in der zweiten Aufführung wieder auftreten konnte): ein wenig sympathisches Großmaul, das aber immerhin am Ende seinen Herrn erdolcht, entweder in einem finalen Akt der Loyalität oder im - vergeblichen - Versuch, ihm den vermeintlichen Höllentrip zu ersparen.

So erstaunlich das scheinen mag: die Musik unterstreicht diese Deutung: Nikolaus Harnoncourt hat nach Studium der Originalpartitur die Tempi gedrosselt, so dass die Musik kälter, nüchterner, geradezu modern klingt: Statt drei dauert dieser Don Giovanni" (mit Pause) ganze vier Stunden. Indem die Räume zwischen den Noten weiter werden, verschwindet auch die Dunkelheit aus der Partitur. Die höchst reduzierte Instrumentalbegleitung der Rezitative sorgt ebenfalls für Klarheit und Ernüchterung. Wie so oft stellt sich bei einem Harnoncourt-Dirigat der Eindruck ein, ein ganz neues Stück zu hören. So fragt man sich während der Ouvertüre, ob man nicht in der falschen Vorstellung gelandet ist. Es ist aber die richtige. Oder sagen wir: eine richtige.

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