Der Todesmut der Schreibenden

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Schriftsteller bringen sich in Diktaturen mit ihrer Arbeit nicht selten in Lebensgefahr. In Österreich hat die Autorengefährdung andere und dennoch (tod)ernste Gründe.

Kürzlich habe ich in der Samstagsbeilage einer Wiener Tageszeitung eine Aufsatz-Studie eines Innsbrucker Sozialwissenschaftlers gelesen, die mir nicht unbedingt Angst gemacht, mich aber doch so weit beunruhigt hat, dass ich mir meine Aufgeregtheit, wie man so schön sagt, "vom Leib schreiben“ muss …

In der Zeitung, die ich gelesen habe, hieß es im sogenannten Vorspann wortwörtlich: "Die Lebenserwartung österreichischer Schriftsteller ist mit 63,69 Jahren - zumindest unter Mitgliedern der Grazer Autorenversammlung - erstaunlich niedrig.“ Und weiter: "Prekäre Lebensverhältnisse dürften einer der Gründe dafür sein.“

Lebenserwartung unterm Schnitt

Im ersten Versuch einer Beruhigungsreflexion habe ich sofort daran gedacht, dass sowohl mein Vater als auch einer meiner Großväter dreiundachtzig Jahre alt geworden sind. Zwar waren sie keine Mitglieder der Grazer Autorenversammlung, aber doch Männer, die gern ein Buch in die Hand genommen haben, obwohl ich nicht annehme, dass sie gerade deswegen zwanzig Jahre älter geworden sind als meine schreibenden Kolleginnen und Kollegen.

Im zweiten Beruhigungsanlauf habe ich mir dann noch gedacht, dass es mir in dreiundsechzig Jahren nicht einfallen würde, meine Lebensverhältnisse als prekär, was soviel heißen kann wie misslich, schwierig oder unerfreulich, zu apostrophieren. Ich bin überzeugt, dass ich eher vom Gegenteil ausgehen darf.

Bernhard Kathan, der zitierte sechzigjährige Wissenschaftler, der im Übrigen in der Grazer Autorenversammlung mein Kollege ist, meint, dass sich in letzter Zeit die Tode von Freunden, unter ihnen viele Schriftsteller und Künstler, häufen würden. Wegen seiner langjährigen Zugehörigkeit zum Verein, der gleichsam unser gemeinsamer ist, habe er sich die Mühe gemacht, mit der Liste der verstorbenen Mitglieder die durchschnittliche Lebenserwartung von Autorinnen und Autoren auszurechnen. Seine Akribie hat das bereits erwähnte derzeitige Durchschnittsalter von 63,69 Jahren ergeben. Das heißt in puren Zahlen, dass es deutlich unter jenem der Gesamtbevölkerung, zu der in Österreich ungefähr viertausend Schriftstellerinnen und Schriftsteller gehören, liegt. Männer werden in Österreich gegenwärtig 75,5 und Frauen 81,5 Jahre alt.

Das verwendbare Zahlenmaterial für die Kathan-Studie stammt aus 39 Jahren - die Grazer Autorenversammlung wurde im Jahr 1973 als progressiver Gegenpol zum angeblich verstaubten P.E.N.-Club gegründet, und zwar von großen Könnern ihrer Zunft, beispielsweise von Helmut Eisendle, Ernst Jandl und anderen bereits verstorbenen Damen und Herren. Nebenbei sei erwähnt, dass Helmut Eisendle vierundsechzig und Ernst Jandl fünfundsiebzig Jahre alt geworden sind. Sie waren aber auch sonst beileibe kein Durchschnitt. Natürlich wäre es interessant, auszurechnen, wie alt die österreichischen P.E.N.-Brüder und -Schwestern werden. Ich vermute - freilich ohne jede empirische Grundlage -, dass die Unterschiede nicht allzu groß sind. Wegen der Kongruenz müsste man für die Studie wohl ebenso die Jahre nach 1973 zur Grundlage machen.

Prekäre Verhältnisse

Der Wissenschaftler konstatiert, dass die niedrige Lebenserwartung erstaunt, zumal der Autor bei keinem Arbeitsunfall verunglücken könne, sondern einen geschützten Arbeitsplatz hinter seinem Schreibtisch oder sogar im Bett habe, wobei er bei letzterem Wirkungsbereich offensichtlich Carl Spitzwegs "Armen Dichter“ vor Augen gehabt haben dürfte. Außerdem seien sie Freiberufler, die kein Chef drangsaliere.

Und das, so behaupte wiederum ich, dürfte das Grundproblem sein. Keinen Vorgesetzten zu haben, klingt zwar in der Theorie angenehm, heißt freilich in der täglichen Praxis, dass man über keine geregelten oder gesicherten Einkünfte verfügt. Unter den schreibenden Herren und Damen wird es wohl sehr wenige geben, die sich als Herr Sohn oder Fräulein Tochter oder mit einem großen Erbe das freie Autorentum leisten können. Und es ist mir nur ein dichtender Lotto-6-aus-45-Sieger bekannt.

Mit dem Schreiben erwirtschaften die Autoren selten so etwas wie einen Durchschnittslohn. Hier fangen die Schwierigkeiten an. Es gibt in Österreich nur wenige Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die vom Erschriebenen in Würde, oder anders gesagt, wie ein mittlerer Beamter, leben können. Ad hoc fielen mir keine zehn Namen ein und Peter Handke lebt sowieso im Ausland.

Dabei ist Schreiben selbstredend keine Liebhaberei, sondern ein ernst zu nehmender Beruf (und Zustand), dem jedoch sehr oft kein angemessenes Prestige zukommt, weshalb die Feststellung über die "prekären Lebensverhältnisse“ nicht unrichtig ist. Daraus resultiert ein Dauerstress, dem die meisten nicht gewachsen sind, was einleuchtend und verständlich ist. Die Frage des Selbstwertgefühls beispielsweise eines Autors, der es auch mit sechzig noch zu keinem Buch in einem ordentlichen Verlag gebracht hat, möchte ich nicht einmal anschneiden. Und Bernhard Kathan zitiert passend einen schreibenden Freund, der wegen seines anhaltenden Erschöpfungszustands einen Arzt konsultierte. Der Heilkünstler meinte, wenn man so lebe, könne man nur krank sein. Das sei ja, schreibt Kathan nacherzählend, als brächte man Tag und Nacht auf einem Hochseil zu. Irgendwie hatte der Doktor, obwohl es traurig ist, nicht unrecht, denn, so frage ich, was ist denn Schreiben anderes als Artistik. Dabei darf man der Wahrheit halber nicht verhehlen, dass die österreichische Bundesförderung für die Literatur sowie die Schriftsteller bei Weitem nicht die schlechteste in Europa ist, um nicht von der Welt zu sprechen, in der die Literatur sowieso viel weniger gilt als in Österreich.

Noch beim Frühstückstisch habe ich den Artikel meiner lieben Partnerin referiert und sie - mit der Bemerkung, dass ich gern zumindest das Lebensalter meiner männlichen Vorfahren erreichen würde - um Rat gefragt, worauf sie ansatzlos gemeint hat, mir bliebe wohl nichts anderes übrig, als schleunigst aus der Grazer Autorinnen- und Autorenversammlung auszutreten. Ich überlege seither ernsthaft, dem Verein einen Brief zu schicken.

Der Autor ist Schriftsteller, Jurist und lehrt an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/ Univerza v Celovcu

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