Hinter der Farce der Koalitionsverhandlungen wird deutlich wie nie zuvor sichtbar, dass das gegenwärtige politische System unweigerlich auf sein Ende zusteuert.
Was soll das eigentlich alles? Die immer gleichen Bilder von nächtens hell erleuchteten Fenstern auf dem Ballhausplatz, von hastig an Mikrofonen vorbeieilenden und in diese ein paar Wortfetzen sprechenden Politikern, die wechselnden Phrasen von "Spitz auf Knopf“, "gut unterwegs“ und dergleichen mehr? Nimmt dieses Koalitionsverhandlungstheater noch irgendjemand außerhalb des politmedialen Paralleluniversums ernst? Man könnte glauben, hier werde Großes, Neues, Visionäres gar ausprobiert - dabei geht es nur um fünf Jahre more of the same. Zwei schrumpfende Parteien, personell wie ideologisch ausgelaugt, raffen sich, in ihren systembedingten Illusionen gefangen, noch einmal zur Zusammenarbeit auf. Verzweifelt wie der den Stein wieder und wieder hinaufrollende Sisyphos - aber gänzlich ohne dessen heroische Größe.
Schon klar, Politik ist ein zähes Geschäft, und die "Mühen der (Verhandlungs-)Ebenen“ sollen gewiss nicht populistisch kleingeredet werden. Aber das Missverhältnis zwischen Inszenierung und Substanz ist doch diesfalls besonders eklatant.
Wohl wahr, es fliegen noch ein paar ideologische Versatzstücke durch die Luft. Man muss auch sagen, dass es Abstufungen in der Realitätsverweigerung der beiden Verhandlungspartner gibt. Während es der SPÖ offenkundig nur noch um eine mit Sozialrhetorik unterfütterte Fortschreibung des ungeschriebenen Gesetzes, wonach die Partei den Bundeskanzler stellt, zu tun ist, blitzen bei der ÖVP doch da und dort Ansätze zur Einsicht in das Notwendige und Sinnvolle auf.
Einmal geht ’s noch - obwohl es nicht mehr geht
Freilich kann sich auch der wohlwollendste Beobachter die Frage nicht verkneifen, was die Partei denn so all die Jahre ihrer diversen Regierungsbeteiligungen getan hat. Aber da ist man dann sehr schnell bei der grundsätzlichen Frage, ob es gut und sinnvoll war, dass es - mit Ausnahme der Jahre 2000 bis 2007 - seit 1987 stets zur Bildung einer Koalition aus SPÖ und ÖVP gekommen ist. Und dann wird man feststellen, dass sich diese Frage zunehmend drängender gestellt hat - und dass wir nun wieder an einem Punkt angelangt sind, an dem es eigentlich nicht mehr weitergeht, obwohl es - siehe oben - wohl noch einmal gehen wird.
Gescheiterte Versuche der Systembelebung
Der "Topfen“ ist also, frei nach Christoph Leitl, "komplett“. Danach aber kommt dann was? Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, und so wird es auch nicht zu Spindelegger-Strache analog zu Schüssel-Haider kommen. Viel deutlicher noch als Ende der Neunzigerjahre stellt sich die Systemfrage: Nicht nur die "Große Koalition“, das System der repräsentativen Parteiendemokratie selbst steht zur Disposition, ob es einem gefällt oder nicht.
Vor allem SPÖ und ÖVP haben es gegen die Wand gefahren, erstere aus Überheblichkeit, zweitere aus Feigheit. Versuche, es durch neue Bewegungen zu beleben, sind gescheitert. So gesehen verdient auch die Misere des Team Stronach, "nicht Häme, sondern Bedauern“, wie Hubert Patterer in der Kleinen Zeitung zu Recht schreibt. Mit der endgültigen Fusion von Neos und LIF ist wohl auch deren Schicksal besiegelt. Als Grüne ohne Greenpeace- oder Caritas-Touch werden sie so wenig wie weiland das Liberale Forum reüssieren. Die vermutete Zielgruppe nimmt gerne das Original mit Greenpeace/Caritas-Touch. (Falls es doch anders kommen sollte, werden wir nicht anstehen, dies hinreichend zu würdigen.)
Man muss das alles nicht so schlimm finden und kann auf neue Formen politischer Aktivität und Artikulation setzen: mehr social media, mehr direkte Demokratie - was auch immer. Etwas wirklich Greifbares, ein neues System, welches die Aufgaben des bisherigen übernehmen könnte, zeichnet sich indes noch nicht ab.
rudolf.mitloehner@furche.at
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