Der Trommler im Orient

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Hubert Lyautey war Marschall und Kriegsminister Frankreichs. Einst hat er Marokko der Trikolore unterworfen. Geblieben sind seine Kriegstagebücher, sein Ehrengrab im Pariser Invalidendom und ein inhaltsschweres Wort: "Es gibt einen Tambour im Orient“, schrieb er 1914, "und wenn der seine Trommel schlägt, so hört man den Schlag vom Atlantik bis zum Hindukusch und die Völker fallen in seinen Schritt.“ Lyauteys "Trommler“ - das war der Islam; als Glaube, Lebensform und als Emotion, die alle Völker des Nahen und Mittleren Ostens verbindet.

Die Geschehnisse dieser Tage scheinen dem Marschall recht zu geben: Da genügte ein unsäglich primitives Schmäh-Video gegen den Propheten Mohammed, um Muslime in mehr als zwanzig Ländern in Aufruhr zu versetzen - mit Toten und wütenden Protesten von Libyen bis Afghanistan. US-Experten rechnen mit langfristigen politischen Schäden.

Vielfalt und Zerrissenheit

Lyauteys Worte sind richtig und falsch zugleich: Richtig, weil jene, die gerade jetzt im Kampf um die Zukunft des Orients auf die politische Macht des Religiösen setzen, wieder Unterluft bekommen haben. Und falsch, weil alles Reden über "den“ Islam ebenso irreführend ist, wie der Begriff "Westen“ seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Nichts gilt heute für alle Muslime: keine religiöse Autorität, keine politische Vision, kein Aufruf zum "Heiligen Krieg“. Vielmehr herrscht Vielfalt, ja Zerrissenheit - auch zwischen der Sehnsucht nach Modernität und dem Traum von alter Größe. Was Muslime aber noch immer zu einen vermag, ist brisant genug: der ungelöste Nahostkonflikt (samt Solidarität mit den Palästinensern) - und jede Beleidigung des Islam und seines Propheten. Für beides werden die USA (plus Israel) stärker haftbar gemacht als Europa.

Hinter solcher Empörung verbirgt sich manch tatsächliches Unrecht. Verbirgt sich aber auch viel akute Hoffnungslosigkeit und Entfremdung - angesichts einer für Muslime unmoralischen und doch so erfolgreichen, westlich geprägten Globalisierung. Sie gilt ihnen als ein Spiel um Macht und Geld, das sie zugleich bewundern und hassen. Sich ihm entziehen hieße aber, den Anschluss an die Welt ganz zu verlieren.

Muslimische Schicksalsfragen

Es geht also nicht nur um den Anspruch auf Würde, Respekt und gleiche Augenhöhe mit anderen Zivilisationen. Es geht auch um ungelöste eigene Schicksalsfragen: um eine Zukunft ohne ungerechte Herrscher und gestohlene Lebenschancen. Um das Verhältnis Religion-Staat. Um die zeitgemäße Interpretierbarkeit des Koran. Um mehr Demokratie und Menschenrechte - zwischen Mann und Frau, zwischen Muslimen und Andersgläubigen. Um freies Denken und Forschen. Um eine Heimkehr in die Wissensgesellschaft …

Wie aber lässt sich bei so viel Ungeklärtem das Spannungspotenzial zwischen muslimischer Verbitterung und globaler Sicherheit lösen? Wie lassen sich Provokationen vermeiden? Wie Komplexe und Misstrauen abbauen? Und wer findet die richtigen Worte und Taten? Muslime und Christen stellen über fünfzig Prozent der Weltbevölkerung. Es geht also um den Weltfrieden.

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