"Der Umgang mit dem Holocaust ist OBERFLÄCHLICH"
"Die Blumen von gestern": Chris Kraus zu seinem respektlosen, aber wahrhaftigen Film über Erinnerungskultur zwei Generationen nach dem Ende der Schoa.
"Die Blumen von gestern": Chris Kraus zu seinem respektlosen, aber wahrhaftigen Film über Erinnerungskultur zwei Generationen nach dem Ende der Schoa.
Mit "Vier Minuten" (2007) und "Poll" (2011) feierte Chris Kraus bei Kritik und Publikum große Erfolge. Die FURCHE traf den Filmemacher anlässlich der Österreich-Premiere seines neuen Films "Die Blumen von gestern".
Die FUrche: Wie autobiografisch sind "Die Blumen von gestern"?
chris Kraus: Der Film ist nicht autobiografisch. Gleichzeitig hat er einen biografischen Hintergrund. Totila Blumen ist eine Kunstfigur, die sicher auch mit mir zu tun hat. Vor 15 Jahren habe ich herausbekommen, dass mein Großvater und seine Brüder ab 1941 bei den SS-Einsatzgruppen im Baltikum waren. Damit habe ich mich viele Jahre beschäftigt. Es bedeutet eine große Verstörung, wenn man über Menschen, die man gekannt hat und auch liebt, etwas erfährt, was mit dem Bild von ihnen überhaupt nicht übereinstimmt. Ich wollte diese Erfahrungen weitergeben. Eine davon war das Zusammentreffen von mir, dem Enkel eines Täters, mit Enkeln von Opfern. Das geschieht automatisch, wenn man in die Archive geht. Die jüdischen Nachfahren fragten mich: Warum bist du hier, was hat dein Großvater gemacht, interessant. Sie waren aber bemüht, eine gute Stimmung zu schaffen.
Die Furche: Das klingt sonderbar...
Kraus: ...und hat mich auch verstört. Ich habe mich abends immer gefragt: Was macht das mit mir? Es hat mich nicht losgelassen. Es war diese Tonart und nicht der Wunsch, etwas provokativ oder lustig zu erzählen. Das eigentlich Autobiografische am Film ist, wie meine Generation miteinander umgeht und Nähe sucht. Auch im Film sucht nicht der deutsche Holocaustforscher Toto die Begegnung, sondern die Jüdin Zazie , die sich richtig auf die Suche nach Toto macht, weil sie wissen will, wie der tickt. Hier habe ich für eine Kunstfigur das übernommen, was ich in der Realität vorgefunden habe.
Die Furche: Toto ist im Film eine Figur, die mit ihrem Schicksal hadert. Gibt es das in der Realität ebenso wie das komödiantische Aufeinanderzugehen von Täterund Opfernachfahren?
Kraus: Ja. Es war für mich wichtig, beide Aspekte in den Film zu bekommen, der keine Genreeinteilung ermöglicht: Am Anfang hat man das Gefühl, man befindet sich in einer Komödie und dann wird das enttäuscht, weil man in ein Drama rutscht.
Die FUrche: Wie haben Sie die Geschichte entwickelt?
Kraus: Über die Charaktere, die ja auch sehr zerrissen sind. Es ist ein zerrissene Geschichte, darum auch die zerrissenen Genres. Die Figuren waren mir sehr schnell klar. Ich wollte eine Figur wie den Toto haben, die weiß, dass sie genau das Richtige tut. In gewisser Weise gilt das auch für Zazie. Toto ist auch ein Wrack, weil er durch seine Gewaltausbrüche immer wieder damit konfrontiert wird, was er eigentlich bekämpft. Er bekämpft ja die Geschichte seines Großvaters und auch den Großvater selbst.
Die FUrche: Eine große Frage rund um die Schoa ist, ob und wie man die Vergangenheit bewältigen kann. "Die Blumen von gestern" sind da ein ungewöhnlicher Versuch.
Kraus: Der Anlass war ein extrem subjektiver. Aber ich bin in den zehn Jahren der Recherche auch auf Dinge gestoßen, die mir nicht gefallen oder die ich verlogen finde. Denn in Deutschland gibt es ja eine kultische Verhandlung des Holocaust, die ich zunehmend als Hülle empfand. Ich habe das über meine Kinder mitbekommen, die sich null Komma null dafür interessieren, was da passierte
Die FUrche: ...obwohl man schulklassenweise in die KZs fährt...
Kraus: ...und im Unterricht die Dinge mantraartig durchgeht: All das scheint mir in Ritualen erstarrt. Darum ironisiere ich im Film den Umgang mit dem Holocaust, denn der ist oberflächlich, starr und passt nicht mehr zu dem Land, das sich verändert, weil die Zeitzeugen aussterben, weil Deutschland durch die Migration sich vollkommen ändert. All das bedarf einer Neuausrichtung des Gedenkens. Ich möchte einen Fingerzeig geben, wie man es machen könnte.
Die Furche: Eine Gratwanderung zwischen heiterer Auseinandersetzung und der Frage, inwieweit man die Schoa ironisieren darf.
Kraus: Es ist natürlich eine Gratwanderung. Aber auf der einen Seite stört mich das Elegische und das Festgefahrene in der Erinnerungskultur. Auf der anderen Seite habe ich ja erlebt, mit welcher Offenheit die Juden damit umgehen. Und das habe ich im Film aufgegriffen. Warum gehört das Komödiantische nicht auch zum ernsten Erzählen? Es ist ja teilweise auch lächerlich: Die Institutionen, die von Subventionen leben, stehen im Wettbewerb untereinander. Ich möchte mich keinesfalls über sie lustig machen, aber es sind Institutionen, die kafkaesk sind. Und wenn das KZ Sachsenhausen auf das KZ Dachau sauer ist, weil dieses eine Million mehr an Subventionen kriegt, dann ist das genauso albern wie bei Filmsubventionen.
Die Furche: Eventisierte Schoa...
Kraus: ...ja, und ich habe auch keine klare Haltung dazu. Beim Holocaust-Mahnmal in Berlin gab es etwa eine groteske Diskussion darüber, ob man Toiletten hinbauen dürfe. Man bewegt sich da auf einem sehr unsicheren Feld -und wenn da etwas komödiantisch ist, soll man es auch thematisieren.
Die Furche: Dass das funktioniert, hängt auch stark von Ihren Schauspielern ab - hier allen voran von Lars Eidinger und Adèle Haenel.
Kraus: Das war ein völlig unerwartetes Geschenk. Mit Lars Eidinger, mit dem ich noch nie gearbeitet habe, hatte ich eine fast symbiotische Beziehung, er hat danach auch begonnen, selber über seine Familie zu forschen. Und Adèle Haenel nahm ihre Figur so ernst, dass sie deutsch lernte. Wir haben ihre eine Deutschlehrerin bezahlt und nach einem halben Jahr sprach sie tatsächlich perfekt. Das macht kein Schauspieler sonst - schon gar kein Star, sie hatte zu dem Zeitpunkt ja schon zwei Césars.
Die Blumen von gestern D/A 2016. Regie: Chris Kraus. Mit Lars Eidinger, Adèle Haenel, Jan Josef Liefers, Hannah Hertzsprung, Sigrid Marquart. Filmladen. 125 Min.
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