Der Unort Großflughafen

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Durch eigenes Verschulden habe ich mir in den letzten drei Monaten eine Lebensweise aufzwingen lassen, die mir denkbar unangemessen ist und mich nötigte, viel mit dem Flugzeug unterwegs zu sein, nur um irgendwo in Europa rechtzeitig zu diversen Konferenzen, Tagungen, Symposien einzutreffen.

Immerhin eines habe ich in dieser Zeit der Selbstentfremdung aber studieren können: den internationalen Großflughafen als einen für unsere Epoche repräsentativen Ort. Genau gesagt, ist der Großflughafen gar kein Ort, sondern der wahre Unort auf Erden, die Negation einer Stätte, an der ein Mensch sich vertraut fühlen und seiner selbst inne werden könnte. Keiner, der durch diesen Unort geschleust wurde, vermochte diesem auch nur die geringste Spur seiner Anwesenheit zu hinterlassen. Die billig gepolsterten Sitze der Wartehallen werden alle Tage ein wenig weiter eingedrückt, vom Gewicht unzähliger Namenloser, von denen nichts bleibt - als dieser Abdruck. Wer immer hier weggeflogen ist, war auch schon vergessen, und wer je hier ankommen wird, den verschluckt der Unort, um ihn möglichst rasch wieder auszuspeien. Wie viele sich hier auch aufgehalten haben, der Großflughafen hat nichts von deren Geschichte aufgenommen.

Je größer die Wartezeit ist, die mir beim Umsteigen zur Verfügung steht, umso mehr muss ich übrigens durch ein striktes Reglement der Selbstbeobachtung darauf achten, den Abflug meiner Maschine am Ende nicht doch zu versäumen. Denn keinen anderen Ort kenne ich, an dem man von einem so verführerischen Gefühl in ein seltsam leeres Träumen, in einen Zustand vegetativen Dämmerns verlockt wird wie den Großflughafen: es ist das Gefühl, zugleich völlig einsam und doch mit Abertausenden verbunden zu sein.

Der Autor ist Schriftsteller und Literaturkritiker in Salzburg.

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