Der unsichtbare Dritte

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Fixe Ideen aufzulösen - das sei die wichtigste Aufgabe der Philosophie, meint Robert Pfaller. Ein Gespräch über Höflichkeit, Einbildungen und das kleine Glück, eine Katze zu streicheln.

* Das Gespräch führte Christian Fischill

Soeben ist das neue Buch des Philosophen Robert Pfaller "Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie“ erschienen. Es steht in guter alter Denktradition: Philosophie als Reflektieren über die Frage nach gelingendem, gutem, glückseligem Leben …

Die Furche: Herr Professor Pfaller, beim Titel Ihres neuen Buches denkt man vielleicht gleich an die große Sinnfrage. Diese haben Sie aber bewusst nicht so erörtert …

Robert Pfaller: Das gute Leben ist im Moment von der anderen Seite her bedroht. Ich glaube, dass die Menschen im Moment gar nicht zu wenig Sinn erleben. Im Gegenteil: Die ökologische Katastrophe macht das Leben von unglaublich vielen Menschen im Moment sinnvoll. "Wofür es sich zu leben lohnt“ ist eine andere Frage als "Wozu es sich zu leben lohnt“ - und das wäre die Sinnfrage. Wir brauchen nicht unbedingt ein großes Projekt, dem wir das Leben unterordnen. Es gibt ein Leben, das sich zu leben lohnt, ohne dass es für etwas anderes da sein muss. Man sollte, etwa mit Montaigne, sagen: Unsere vornehmste Aufgabe ist es zu leben. Und auch wenn das ganz müßig ist und wenn wir gar nichts auf die Reihe kriegen und einfach nur in der Sonne sitzen und uns freuen, dass die Blätter interessante Schatten werfen …

Die Furche: Michel de Montaigne wollte ja auch, dass ihn der Tod beim Kohlpflanzen ereile …

Pfaller: Genau, auch dieser Möglichkeit müssen wir ins Auge sehen können. Wir müssen das Glück ertragen können. Nur dann sind unsere Projekte überhaupt ehrenhaft. Sonst sind unsere Projekte Fluchten vor dem Glück. Wir können dem müßigen, dem nicht-projektorientierten Leben dann am ehesten ins Auge schauen, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir eigentlich bei sehr kleinen, überschaubaren Anlässen das vollkommen perfekte Gefühl haben, dass sich das Leben lohnt. Wir stehen auf einer Anhöhe, blicken hinunter, sehen eine schöne Aussicht und denken, jetzt lohnt sich das Leben. Oder wir küssen eine geliebte Person und sind vollkommen froh, ohne etwas Produktives zu leisten. Oder wir trinken mit Freunden ein Glas Wein und sind restlos zufrieden, oder wir streicheln eine Katze und freuen uns und sehen in der Katze sozusagen das perfekte Vorbild Montaigne’scher Philosophie.

Die Furche: Wie halten Sie’s mit der Philosophie?

Pfaller: Ich glaube, die vornehmste Aufgabe der Philosophie besteht darin, fixe Ideen aufzulösen. Wenn Menschen in Paniken geraten, weil sie glauben, es muss jetzt alles der Sicherheit geopfert werden, oder es muss jetzt alles der Nachhaltigkeit geopfert werden, weil der Planet in hundert Jahren kaputtgeht, dann ist es die Aufgabe der Philosophie Besonnenheit wiederherzustellen - und das vielleicht unter Zuhilfenahme manchmal greller Gegenbilder. Im Moment mäßigen wir uns maßlos. In diesem Sinn hat Epikur gesagt: Auch bei der Mäßigung muss man sehr Maß halten - sonst wird das der größte Exzess.

Die Furche: Sie vermuten ja, dass wir gleichsam mit Randproblemen eingelullt werden, und gleichzeitig ziehen die großen Kapitalströme an uns vorbei. Gibt es da überhaupt ein agens, eine absichtlich wirkende Kraft, die das lanciert?

Pfaller: Ja, es gibt natürlich Profiteure. Es sind in den letzten zwei Jahrzehnten sehr schmale Eliten sehr viel reicher geworden. Bei all diesen Dingen, wo uns etwas weggenommen wird, gibt es immer Leute, die uns erklären, dass das eigentlich eine Befreiung ist. Wenn das Rauchen verboten ist, werden wir angeblich geschützt. Im Hintergrund lauert aber die Gefahr, dass das Solidaritätsprinzip bei den Krankenkassen gelockert wird. Die Behandlung von Lungenkrankheiten muss von den Krankenkassen dann nicht mehr bezahlt werden, weil daran ja nur die erkranken, die freiwillig geraucht haben, oder die, die so unvorsichtig waren, in Raucherlokale zu gehen. Und das wird sich auf andere Bereiche ausdehnen. Dann müssen etwa auch noch die zahlen, die zu dick sind, weil sie zu wenig Sport machen. Leute fühlen sich schon politisch tätig, wenn sie nur noch Gemüse essen. Und diese Gesundheits- und Ökologiepaniken führen zu einer Entpolitisierung, weil sie eigentlich blind machen für die gleichzeitig verlaufende Entwicklung zum Repressiv-Werden des Staates. Denken Sie nur an die Entwicklung der Universitäten. Innerhalb weniger Jahre haben sich die Universitäten, ehemals Orte des selbstständigen Denkens, in repressivste Zwangs- und Kontrollanstalten verwandelt. Hier werden junge Leute systematisch vom Denken abgehalten. Ich höre, dass zum Beispiel Bachelor-Studenten der Philosophie ihr dreijähriges Studium abschließen können, ohne ein einziges Buch ganz gelesen zu haben.

Die Furche: Von der Alma Mater schwenke ich höflich zur Höflichkeit. Warum sehen Sie diese als zentralen Wert?

Pfaller: Wenn Sie und ich zueinander höflich sind, spielen wir eigentlich einem unsichtbaren Dritten ein kleines Theaterstück vor, und das erzeugt unsere Solidarität, ohne dass wir jetzt die gleiche Hautfarbe, die gleiche politische Gesinnung, dieselbe Lieblingsband oder Ähnliches haben müssen. Und genau diese Triangulierung, dass wir einem anderen etwas Lächerliches vorspielen, wovon wir wissen, dass es eine Illusion ist, schafft auch jene Distanz in der Gesellschaft, die einen angenehmen Umgang miteinander ermöglicht. Ohne die Triangulierung nehmen wir den anderen ständig als Dieb des Genießens wahr. Der andere, der raucht, schädigt jetzt unsere Lungen. Der andere, der uns ein Kompliment macht, ist ein sexueller Belästiger. Wenn wir einen Dritten haben, ist das Rauchen ein Element zivilisierten Verhaltens, und dann wird mir klar, dass es ein Theaterstück ist, das Sie mir zuliebe spielen, weil Sie mir zuliebe entspannter sein wollen.

Die Furche: Zu weiteren Einbildungen: Sie vertreten die These, dass damals auch die Griechen nicht an ihre Geschichten als wahre Geschichten geglaubt haben …

Pfaller: Dazu ein hübsches Beispiel von einem englischen Philosophen, Howard Mounce, der zu seinen Studenten gesagt hat: "Glauben Sie an Voodoo?“ Nachdem diese zu 100 Prozent verneint haben, hat er sie aufgefordert: "Zeichnen Sie kurz das Gesicht Ihrer Mutter auf den Zettel, den Sie vor sich haben. Gut, dann nehmen Sie bitte den Stift, und stechen Sie jetzt dem Bild die Augen aus.“ Und daraufhin haben sich die Studenten zu 100 Prozent geweigert. Dann hat er gesagt: "Aha, Sie glauben nicht an Voodoo.“ Fazit: Es gibt so etwas wie eine perspektivische Illusion, die sagt: Früher hat man an die Dinge geglaubt. Wir glauben ja nicht mehr. Ich glaube, das ist doppelt falsch.

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