Der Untergang des Alpenlandes

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Das bedeutendste kulturelle Ereignis Österreichs: "Eine Nacht in Venedig" von Johann Strauß bei den Seefestspielen Mörbisch.

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Das bedeutendste kulturelle Ereignis Österreichs: "Eine Nacht in Venedig" von Johann Strauß bei den Seefestspielen Mörbisch.

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Die Seefestspiele Mörbisch sind das bedeutendste kulturelle Ereignis Österreichs - zumindest wenn die Anwesenheit von Prominenz aus Politik, Kultur und Wirtschaft als Maßstab dient. Neben zahllosen Vertretern der oberen Zehntausend dieses Landes legten bei der Premiere der Johann-Strauß-Operette "Eine Nacht in Venedig" zwei Drittel der Bundesregierung - inklusive Kunstkanzler und dem zuständigen Staatssekretär - durch ihre Anwesenheit ein klares kulturpolitisches Bekenntnis ab: Das ist die Kultur, die wir meinen! Damit stellen sie sich selbst und diesem Land ein geistiges Armutszeugnis aus.

Denn "Eine Nacht in Venedig" in Mörbisch ist pure Unterhaltung, sonst nichts. Künstlerischer Anspruch mag vorhanden sein, ist jedoch nicht erkennbar. Es handelt sich um eine Revue, in der zu Musik von Johann Strauß gesungen und getanzt wird, eine Show mit opulenten Kostümen, aufwendigen Kulissen und Sängern mit klassischer Ausbildung. Gondeln gleiten durch das Wasser der Seebühne, der Dogenpalast tanzt im Walzertakt, ein Feuerwerk bringt die Augen des Publikums zum leuchten. Nichts gegen gute Unterhaltung, doch wenn die Seefestspiele Mörbisch wirklich das bedeutendste kulturelle Ereignis Österreichs sind, dann geht das ehemals für seine Kultur berühmte Alpenland in den seichten Fluten des Neusiedler Sees unter.

160.000 verkaufte Karten, seit Wochen ist keine mehr zu haben: Dieser Verkaufserfolg scheint Mörbisch in den Augen vieler zu einem Hort der Kultur zu adeln. Doch selbst wenn man "Eine Nacht in Venedig" an den Maßstäben der Unterhaltungskultur mißt, schneidet das Spektakel schlecht ab. Daß eine Tänzerin auf die Nase fällt und Heike Wittlieb als Fischermädel Annina bisweilen herzhaft falsch singt, ist im Showbusiness noch eine läßliche Sünde. Schwerer wiegen die unsäglichen, noch von den Strauß-Librettisten stammenden Zwischenmoderationen. Vielleicht sollte in Hinkunft der sympathische Intendant Harald Serafin in die Rolle des Showmasters schlüpfen und mit seinem altösterreichischen Charme durchs bunte Programm führen. Nichts gegen Operette, doch diese unterbietet in ihren gesprochenen Passagen die schlechteste Aufführung der Löwinger-Bühne.

Über weite Strecken erinnert "Eine Nacht in Venedig" an Peter-Alexander- oder Tanzfilme aus den fünfziger Jahren. Doch jede Verwechslungskomödie von Schund-Altmeister Franz Antel (Premierengast) ist spritziger und humorvoller. Was an Witz fehlt, versucht Regisseur Helmuth Lohner mit Sex wettzumachen. Die Textzeile "Ach, wie so herrlich zu schaun sind all die reizenden Frauen" hat er ziemlich ernst genommen: So viel Bein war nicht mehr zu sehen, seit Franz Vranitzky und Fred Sinowatz (beide Premierengäste) mit Marlene Charell ein Tänzchen wagten. Nichts gegen Sex, nur die zahlreichen Schlüpfrigkeiten bewegen sich auf dem allerniedrigsten Niveau. Wie des Kochs "Nudeln" und der Fischerin "Muscheln" zusammenpassen oder wie die "Röhren der Glasbläser" beschaffen sind, braucht einem nicht auch noch aufs Auge gedrückt zu werden.

Die Seefestspiele Mörbisch sind das bedeutendste kulturelle Ereignis Österreichs. Nichts gegen Österreich, aber das ist eine Schande.

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