Der Urahn der Impressionisten

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Vor 400 Jahren wurde der große spanische Barockmaler Diego Rodriguez de Silva y Velazquez getauft. Geburtsscheine gab es damals noch nicht.

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Vor 400 Jahren wurde der große spanische Barockmaler Diego Rodriguez de Silva y Velazquez getauft. Geburtsscheine gab es damals noch nicht.

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Sein Werk zählt zum größten, das es in der Malerei gibt: Diego Rodriguez de Silva y Velazquez, getauft am 6. Juni 1599 in Sevilla. Geburtsscheine gab es damals noch nicht. Schon als 12jähriger ging er bei einem angesehenen Maler in die Lehre: Francisco Pacheco, der später sein Schwiegervater wurde. Maler, Dichter, und Gelehrte gingen in dessen Haus in Sevilla ein und aus, Velazquez wuchs also in einer Atmosphäre angeregter Diskussion auf, in der humanistische Bildung selbstverständlich war. Zeitlebens liebte er Bücher, und als er 1660 starb, besaß er eine enorme Bibliothek. Das geht aus der Inventarliste hervor, die nach seinem Tod über seinen Besitz erstellt wurde.

Mit 18 Jahren wurde der Maler bereits in die Malergilde San Luca aufgenommen. Damit hatte er das Recht, sich eine eigene Werkstatt einzurichten, Gehilfen einzustellen, sowie für Kirchen und andere öffentliche Einrichtungen zu malen, was er auch sofort tat. Schon in den frühesten Bildern zeigt er, wie wenig er mit der Kunst seines Lehrers zu tun hat. Seine Eigenständigkeit beweist sich in seinem Naturalismus, den er stilistisch in einer Helldunkelmalerei verwirklicht, wie er sie aus den Gemälden des Caravaggio kannte, die ihren Weg aus Italien nach Spanien gefunden hatten.

Wer durch Spaniens Weingegenden fährt, findet überall Schilder, auf denen das Wort "bodega" steht. Es bedeutet Weinstube, Schenke, auch Weinkeller. Im 17. Jahrhundert malte man - nicht nur in Spanien - fast ausschließlich religiöse Bilder. Doch dann gab es einen Bruch, schreibt der spanische Landsmann von Velazquez, der Philosoph Ortega y Gasset: "Um 1630 waren in Spanien wie im übrigen Europa die auserwählten Kreise unter den Liebhabern der Malerei religiöser Bilder überdrüssig." Ein neues Thema taucht auf: es kommt aus den Niederlanden. Maler in Italien, Frankreich und Spanien greifen es begierig auf: das Stilleben, spanisch "bodegon". Velazquez malt also in Sevilla Schenkenszenen mit wenigen Figuren, etwa einer alten Köchin, die Eier in eine Pfanne schlägt, davor ein Knabe mit einem Kürbis. Einige fast nicht komponierte Gegenstände wie ein Wasserkrug, ein Mörser, ein Keramikteller, ein Messer heben sich scharf, wie mit einem Scheinwerferlicht ausgeleuchtet, von einer dunklen Umgebung ab. Der Helldunkelkontrast und die Isolierung der Objekte lädt sie mit Bedeutung auf: Je bescheidener das Motiv, desto größer das Wagnis, lautete die Herausforderung für die Stillebenmaler.

Beispielloser Aufstieg Spanien zur Zeit des Velazquez: ein Weltreich im Niedergang, bedroht von den Holländern, mit leeren Staatskassen, einer rückläufigen Bevölkerungszahl, doch was künstlerische Hervorbringungen anging, ein Goldenes Zeitalter. Den Thron des Weltreichs bestieg 1621 ein Sechzehnjähriger: Philipp IV, ein integrer Mann, doch unfähig, den politischen und wirtschaftlichen Niedergang der Weltmacht Spanien aufzuhalten. Unter diesem König, dessen hoher Kunstverstand außer Streit steht, begann Velazquez' beispielloser Aufstieg zum Hofmaler.

Der König gab weder Stilleben noch religiöse Bilder in Auftrag, sondern Fürstenporträts. Für diese galt der Zwang zum Idealismus. Der Fürst als Garant für die Stabilität der Herrschaft mußte schon in seiner Haltung fest wie ein Felsen wirken. Von Philipp II., dem Großvater Philipps IV., wird berichtet, man hätte ihm einen wilden Kater in die Beinkleider schmuggeln können, er hätte sich nicht gerührt. Künstlerisch wird die vom Monarchen geforderte Pose zur Starre, zur Steifheit. Daß es heute kaum eine Handvoll an Künstlern gibt, die Hofmaler waren und dennoch die großen Museen der Welt bereichern, liegt an diesem Zwang zur Starre. Der Hofmaler hatte aber noch eine weitere Forderung zu erfüllen: Die Dokumentation der physiognomischen Veränderung des Fürsten unter dem Einfluß der Alterung festzuhalten, jedoch nicht den Verfall. Eine Habsburgerlippe mußte deutlich hervorstechen, um die Konstanz des Geschlechts zu betonen.

Alle zwei bis drei Jahre malte also Velazquez seinen König. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, Hunderte von Kopien zu überwachen, die in alle Teile des Reiches verschickt wurden, um als Vorlage für Stiche, Münzen und Medaillen zu dienen. Die Anforderungen an Hofmaler waren also hoch: Realismus bezüglich des äußeren Erscheinungsbildes, Idealismus, was alles Affekthafte anging. Nur wenige Künstler waren dieser schwierigen Aufgabe gewachsen: Tizian, Cranach, Van Dyck, Rubens, Velazquez.

Der König empfand für seinen Freund Velazquez eine so große Achtung und Bewunderung, daß er die Originale eifersüchtig hütete. Nicht nur ließ er sich, seine Frauen und Kinder monopolistisch nur von Velazquez malen und bat den Künstler brieflich, seine Italienaufenthalte doch abzukürzen. Wenn der Wiener Hof ein Porträt wünschte, schickte er bis auf wenige Ausnahmen Kopien. An den englischen und französischen Hof gelangten sowieso nur Kopien. Als Ergebnis befindet sich ein Drittel des Gesamtwerks von Velazquez, qualitativ mehr als die Hälfte, im Prado in Madrid, wo schon an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die königliche Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde - heute ein Magnet für Kunstinteressierte, dem nur das Kunsthistorische Museum in Wien Vergleichbares zur Seite stellen kann.

Wie muß ein Mann beschaffen sein, daß er fast 40 Jahre im Dunstkreis höchster Macht zubringt und nicht korrumpiert wird? Der erste Biograph von Velazquez, Palomino, berichtet, der Maler sei schweigsam gewesen, melancholisch, schüchtern, phlegmatisch, auf Abstand bedacht. Neid übersah er. Nie war er in eine Hofintrige verwickelt; er tat nichts, um seinen Ruhm zu verbreiten und zu festigen.

Neben den Porträts, die der König in Auftrag gab, malte er das einzige Bild in der spanischen Kunstgeschichte vor Goyas nackter Maja, das eine unbekleidete Schöne zeigt: ein schamloses Bild, nach der Natur gemalt, auch wenn der Titel, "Venus mit Spiegel" (National Gallery, London), eine antike Vorlage suggeriert. Am spanischen Hof standen den Malern für die Darstellung unbekleideter Damen nur antike Skulpturen zur Verfügung, doch Velazquez machte ganz deutlich, daß er mit seiner Venus keine mythologische Figur meinte. Der Spiegel, in dem sich die lasziv auf einem Bett ruhende junge Frau betrachtet, ist kaum einen Meter von ihr entfernt. Trotzdem zeigt er ihr Gesicht nur verschwommen, eigentlich unkenntlich. Das Modell mußte unerkannt bleiben. Diese Unschärfe begeisterte die Impressionisten, die in Velazquez ihren Meister sahen.

Politische Aussagen Innovativ war er auch in Bildern, deren Aussage als politisch gelten muß. Das berühmteste Beispiel hält die Übergabe von Breda fest. Am 5. Juni 1625 übergab der geschlagene Holländer Justin von Nassau die Schlüssel der Festung Breda, die den Zugang zu Antwerpen ermöglichte, an den spanischen General Spinola. Velazquez war nicht Augenzeuge, kannte aber das Drama "Die Belagerung von Breda" von Calderon de la Barca. Dort heißt es: "Der Wert des Besiegten verleiht dem Sieger Ruhm." Eben diesen Respekt malt er: Seine Sympathie für die Besiegten zeigt sich in deren sonnenbeschienenen Gewändern, während die Sieger kalt und herrisch in einem Wald von Lanzen stehen.

Hatte Velazquez eine Ahnung des nahen Untergangs der Dynastie, deren Oberhaupt sein Freund war? Diese Frage stellt sich angesichts der Bilder kleiner Habsburger Prinzen und Prinzessinnen. Er malte die letzte Hoffnung Philipps IV., dessen zweijährigen Sohn Felipe Prospero (Kunsthistorisches Museum Wien) mit tiefen Schatten unter den traurigen Augen, als habe er den nahen Tod des dynastisch so wichtigen Kindes vorausgesehen. Glöckchen und andere Gegenstände sind an einer Schnur um den kleinen Leib geschlungen; sie sollten den bösen Blick abwehren.

Schließlich tauchen in zehn Bildern von Velazquez Hofnarren und Zwerge auf: ein beliebtes Thema, dienten diese am Rande der Gesellschaft Lebenden doch der höfischen Unterhaltung, ebenso wie besonders Behaarte oder extrem Große oder Einäugige. Velazquez hat sie geadelt, hierin vergleichbar mit Shakespeare. Sein geheimnisvollstes Bild, "Las Meninas", hat Generationen von Interpreten beschäftigt: Ist es, obwohl im Zentrum eine kleine Prinzessin steht, umgeben von Zwergen und Hoffräulein, nicht die Apotheose der Malerei schlechthin? Im Hintergrund, scheinbar in seine Arbeit vertieft, steht Velazquez selbst. Er hat das Bild im Alter von 57 Jahren gemalt. Doch stellt er sich als schönen Mittvierziger dar, mit Palette vor einer riesigen Leinwand stehend, umgeben von Menschen, die ihn bei der Arbeit betrachten - die reinste Verherrlichung der Kunst.

Und Künstler haben diesen Maler bis herauf in die Gegenwart geliebt. Er hat Dali beflügelt, Picasso zu einer Reihe von Variationen angeregt, Francis Bacon zu seinem berühmten Bild des schreienden Papstes inspiriert.

Der vor 400 Jahren Geborene starb am 6. August 1660 in Madrid. Von der Kirche San Juan Bautista und seinem Grab gibt es heute keine Spur mehr.

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