Der „Ursecessionist von Wien“

Werbung
Werbung
Werbung

Er ebnete den Weg zu Österreichs Moderne: Ferdinand Georg Waldmüller. Das Belvedere in Wien widmet dem berühmten österreichischen Maler der Biedermeierzeit nun eine umfassende Schau mit 120 Hauptwerken des 1793 in Wien geborenen Ausnahmekünstlers.

Rotbäckige Kinder beim Veilchenpflücken, bäuerliche Hochzeiten, Geborgenheit auf Mutters Schoß. Noch immer ist das Bild von Ferdinand Georg Waldmüller als idyllischem Biedermeiermaler in den Köpfen präsent. Kein Wunder. Denn Waldmüllers Genreszenen dienten Jahrzehnte als Kalendersujets oder in Form von Kunstdrucken als Schmuck für Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien. Zu Zeiten, als in Österreich Egon Schiele zunehmend von der Kunstszene entdeckt wurde und die Abstrakten am Werken waren. So ergab sich ein verzerrtes Bild des berühmtesten österreichischen Malers der Biedermeierzeit. Denn der lange als gefälliger Bauerndarsteller geschätzte Ferdinand Georg Waldmüller war ein revolutionärer Künstler, seiner Zeit weit voraus und zugleich ein Provokateur und Enfant terrible sondergleichen.

Eine umfassende Ausstellung im Belvedere mit 120 Hauptwerken des Ausnahmekünstlers macht dies genauso deutlich wie eine fundierte begleitende Publikation, in der Waldmüllers innovative Auffassung von Kunst von verschiedenen Blickwinkeln aus analysiert wird. Der Großteil der Exponate stammt aus der hauseigenen Sammlung, schließlich verfügt das Belvedere über das Waldmüller-Archiv. Leihgaben aus nationalen und internationalen Sammlungen ergänzen den ohnehin schon reichen Belvedere-Bestand.

Schonungslos realistisch

Dass Waldmüller im Grunde den Weg zu Österreichs Moderne ebnete, hatten Künstler und Kunstkritiker bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts erkannt. Auf den Punkt brachte es Ludwig Hevesi, ein Streiter für die österreichische Avantgarde, der 1902 schrieb: „Waldmüller ist nämlich der Ursecessionist von Wien.“

Wie gänzlich andere Wege als seine Zeitgenossen der 1793 geborene Maler zeit seines Lebens einschlug, zeigte sich bereits 1817. Waldmüller bekam den Auftrag für ein Porträt der älteren Schauspielerin Maria Henrietta von Stierle-Holzmeister. Allerdings malte er die Frau nicht geschönt und verklärt, wie damals üblich, sondern verewigte sie in einem schonungslosen Realismus mit Falten um die Augen, einem Doppelkinn und einer Warze. Auch in seiner Themenwahl war der ungemein arbeitsame Künstler – er hat im Laufe seines Lebens über 1200 Werke gemalt – mehr als ungewöhnlich. Das bürgerliche Milieu interessierte den streitbaren Künstler herzlich wenig. Stattdessen richtete er seinen Blick auf arbeitende, einfache Menschen und betrieb malerische soziologische Studien. Eine Neuigkeit in der damaligen österreichischen Kunst – vergleichbar lediglich mit den sozialkritischen Ansätzen der Franzosen Jean-François Millet oder Gustave Courbet. So erklärte Waldmüller auf dem Gemälde „Beim Hufschmied“ aus dem Jahr 1854 eine Werkstatt mit all ihren Geräten samt dem Handwerker für bildwürdig. Zugleich praktizierte er in diesem Werk einen lockeren, groben Farbauftrag, der genauso ungewöhnlich ist wie die unterschiedlichen Lichtstimmungen. Neben der Darstellung von Arbeit fasziniert eine Reihe von Bildern, auf denen Waldmüller die Schattenseite des Lebens wie Armut und soziale Missstände darstellt – etwa auf dem Bild „Die erschöpfte Kraft“ (1854). Gezeigt wird hier eine kleine Dachkammer mit einem Kleinkind in einem Stubenkorb. Die Mutter entdeckt man erst auf den zweiten Blick: Sie liegt vollkommen erschöpft, vielleicht auch tot, ausgestreckt auf dem Boden. Ein nach wie vor hochaktuelles Bild, zeigt es doch, wie kräfteraubend die Doppelbelastung in Form von Arbeit und Muttersein für Frauen ist.

Nicht nur künstlerisch, sondern auch in seinem kunstpolitischen Wirken war Waldmüller, der ursprünglich Priester werden sollte, kompromisslos. Der Maler durchbrach nicht nur die strenge Trennung der Bildgattungen, sondern er setzte sich als Mitglied des Akademischen Rates auch theoretisch in mehreren „Streitschriften“ für das Naturstudium und die Freilichtmalerei ein. Zugleich vertrat er eine komplett neue Auffassung der Künstlerausbildung. Anstelle des Kopierens von Alten Meistern forderte er das Malen nach der Natur und nach lebenden Modellen. Er ging sogar so weit, dass er die Akademie auflösen und das verstaubte langwierige Studium durch einen zweijährigen Meisterkurs ersetzen wollte. Radikale – an Joseph Beuys erinnernde – Forderungen, die zu dramatischen Konflikten mit der Akademie führten und Waldmüllers Suspendierung vom Dienst zur Folge hatten. Dass Waldmüller bis zum Schluss unbeugsam bleib, verdeutlicht eine Episode aus seinen letzten Lebensjahren. Als Wiedergutmachung wollte König Wilhelm I. von Preußen dem siebzigjährigen Maler das Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens verleihen. Waldmüller verweigerte die Ehrung mit der Bemerkung, „dass er sich in Strafe befinde und die Auszeichnung ihm nur durch einen Irrtum verliehen worden sein könne“. Zwei Jahre darauf, 1865, starb der einst angesehene Maler verarmt und von den Zeitgenossen unverstanden in Mödling. 30 Jahre später hatte sich das Blatt wieder gedreht, so bemerkte der Schriftsteller Hermann Bahr: „Da ist einer, der alle anderen schlägt: der alte Ferdinand Georg Waldmüller. Welche Kraft! Welches Leben, welche Sonne! Da ist nirgends die Finsternis der Schule; wie das brennt!“

Ferdinand Georg Waldmüller

Belvedere, Rennweg 6, 1030 Wien

bis 11. Oktober, täglich 10–18 Uhr, Mi 10–21 Uhr

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung