Der verengte Blickwinkel

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Ein Thema, plötzlich auf dem Tisch, auch schon wieder vomTisch, weiterköchelnd: Der Ölpreis.

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Ein Thema, plötzlich auf dem Tisch, auch schon wieder vomTisch, weiterköchelnd: Der Ölpreis.

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Er ist nicht das einzige Thema, das in letzter Zeit aus einem stark verengten Blickwinkel dargestellt wird. Dies fällt nicht erst heute auf, aber in letzter Zeit ganz besonders stark. Der reduzierte Blick erfaßt nur noch rein ökonomische Zusammenhänge.

Die ökologische Bedeutung des Themas wurde sowohl von den Trägernder politischen Verantwortung als auch von den Kommentatoren in den Printmedien und im ORF bestensfalls am Rande gestreift - meist nicht einmal das. Wir haben also eine ganze Menge über die mikroökonomischen Auswirkungen der Ölpreiserhöhung gehört, die Auswirkungen auf die Geldbörsen beziehungsweise überzogenen Konten der Österreicher. Viel mehr freilich noch über die makroökonomischen Folgen.

Öl sei sowohl der Treibstoff als auch das Schmiermittel der Weltwirtschaft, wurde uns gesagt. Der Weltwirtschaft - und des Wachstums. Was freilich keine neue Erkenntnis ist. Sowenig neu wie die andere, derzeit aber ungeliebte, unbeliebte, ungern gehörte, mit Vorliebe verdrängte Erkenntnis, daß ein Wachstum ad infinitum unmöglich ist. Andererseits würde uns, wie die Dinge derzeit liegen, ohne Wachstum die Arbeitslosigkeit sehr schnell über den Kopf wachsen. Schon bei den derzeitigen ansehnlichen Wachstumsraten sind die Staaten froh, wenn sie die Arbeitslosigkeit wenigstens stabilisieren können. Heute freilich wäre es eine Illusion, zu glauben, die Sorge umdie Arbeitsplätze sei die Hauptsorge "der Wirtschaft". Selbst bei vielen Politikern kann man dessen längst nicht mehr sicher sein, daß sie die Arbeitsplätze meinen, wenn sie von der Notwendigkeit weiteren Wachstums reden. Daß sie sich nicht viel mehr um die Gewinne sorgen und um das vielzitierte shareholder value. Äußert man Sorgen ob der ökologischen Folgen eines permanentenWachstums, wird einem sofort die These von der Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Energieverbrauch an den Kopfgeworfen.

Nun sind die Zeiten, in denen drei Prozent mehr Bruttonationalprodukt zwangsläufig auch drei Prozent mehrVerbrauch von Primärenergie bedeuteten, tatsächlich vorbei. Aber Wirtschaftswachstum ohne Mehrverbrauch von Energie, Umwelt und sonstigen Ressourcen ist auch noch nicht erfunden. Und wird in absehbarer Zeit auch nicht erfunden werden. Halten wir uns also vor Augen, was bei der Erörterung der negativen Folgen der Ölpreiserhöhung wohlweislich unter den Tisch fiel: Wachstum ad infinitum ist eine physikalische Unmöglichkeit. Die Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Rohstoffverbrauch ist eine Zukunftshoffnung, mehr nicht.

Selbst wenn drei bis dreieinhalb Prozent Wirtschaftswachstum mit nur zwei Prozent Verbrauchswachstum erreicht werden, wird in jeweils 35 Jahren, also von jeder Generation, soviel verbraucht wie von allen vorangegangenen Generationen zusammen. Selbst wenn es der Menschheit gelingen sollte, das Wachstum ihres Energieverbrauches von heute auf morgen auf ein Prozentjährlich zu senken, würden in etwas mehr als einem Jahrhundert überall, wo heute ein Kraftwerk steht, deren drei (oder eindreimal so großes) stehen. Exponentielles Wachstum verschlechtert zu jedem Zeitpunkt die Ausgangslage für spätere Versuche, seine unerwünschten Folgen zu bewältigen. Schon eine relativ kurze weitere Phase mit den Steigerungsraten der letzten Jahrzehnte wird die Situation dra-stisch verschärfen.

Solche Zusammenhänge müßten doch gerade dann erörtert werden,wenn sich die OPEC wieder einmal anschickt, den Ölpreisanzuheben. Jubel ob der wunderschönen ökologischen Auswirkungen ist deswegen freilich auch nicht angebracht. Die Zusammenhänge zwischen Konjunktur, Wachstum, den Gewinnen der Unternehmen und dem Arbeitsmarkt sind ja evident. Was Sorgen macht, ist die totale Absenz eines einschlägigen Problembewußtseins. Vor wenigen Jahren noch wäre eine solche reduzierte Sicht nicht möglich gewesen.

Fast zur gleichen Zeit wie der Ölpreis kam auch das Pensionsproblem auf den Ministerratstisch und in die Medien. Und wieder begegnete uns die reduzierte Sicht, der verengte Blick, die Ausblendung unangenehmer, fast schon tabuierter Zusammenhänge. Keine Rede davon, daß kein Pensionssystem in Sicht ist, das nicht zumindest als Basis auf dem Umlageverfahren beruht. Keine Rede davon, daß die finanzielle Sicherung der Alten nur funktionieren kann, wenn es genug Arbeitsplätze für die Jungen gibt. Daß aber auch die private Vorsorge nicht risikofrei ist, weil die privaten Anbieter mit den Gewinnen rechnen, die sie auch in Zukunft auf den Geldanlagemärkten zu erzielen hoffen.

Folglich auch keine Rede vom Zusammenhang der beiden Probleme, Ölpreis und Pensionen, weil letztere nur in einer florierendenWirtschaft gesichert werden können und unter den heutigen Rahmen bedingungen nur eine Wachstumswirtschaft florieren kann. Permanentes Wachstum aber, siehe oben, ist unmöglich. Wir können ruhig davon ausgehen, daß auch dieses Problem lösbar ist. Wie so viele, mit denen die Menschheit besser oder schlechter, früher oder später fertig geworden ist.

Schlechter und später wurde sie dann mit ihnen fertig, wenn die Probleme unausgesprochen blieben, verdrängt, tabuiert - schneller und besser, wenn sie mutig ins Auge gefaßt wurden, da daß sich die ganze Kreativität des Menschen auf sie konzentrieren konnte. Statt auf ideologische Dogmen, wie es immer wieder der Fall war, oder auf die Börsengewinne, wie es heute der Fall ist.

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