Der verloren gegangene Gemeinsinn

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Schon der Titel des letztwöchigen FURCHE-Leitartikels - "Todesstoß für das Heer (2)“ - von Claus Reitan ließ erkennen, dass uns die einschlägige Debatte seit längerer Zeit beschäftigt. Bereits den Vorstoß Michael Häupls für eine Volksbefragung zur Wehrpflicht gegen Ende des Wiener Wahlkampfs hatte die FURCHE scharf kritisiert (Nr. 40, 7. Oktober 2010). Die jetzige Farce, die letztlich in der seinerzeitigen Laune des Wiener Bürgermeisters wurzelt, hat auch bei unseren Leserinnen und Lesern ein starkes Echo gefunden und zahlreiche Wortmeldungen evoziert. Deswegen widmen wir nach längerer Zeit wieder einmal zusätzlich zur gewohnten Leserbriefseite (S. 11) eine eigene Seite den Leserreaktionen zum Thema Wehrpflicht. Gemeinsam ist allen die Verärgerung darüber, wie leichtfertig eine dermaßen zentrale sicherheitspolitische Frage tagespolitisch instrumentalisiert wird. (red)

Eine Lebensschule im Einsatz für den Nächsten und die Gesellschaft

Johann Machowetz, Obst i. R.

2700 Wr. Neustadt, Etrichgasse 4

j.machowetz@gmx.at

Verantwortungslose Volksvertreter verkünden ausschließlich zur eigenen parteipolitischen Stimmenmaximierung breitmundig, dass es für unser Land überhaupt keinerlei Bedrohungen mehr gibt und wir deshalb auch keine "Massenheere“ mehr brauchen, gleich dem Florianiprinzip: "Schaffen wir endlich unser Heer ab, denn der Rest von Europa wird unseren Kontinent der Seligen schon zu schützen verstehen, wir brauchen nur danach zu schreien, aber bitte ohne uns!“

So weit die Einlullungsversuchen zu einem paradiesischen Wunschdenken von hoch bezahlten Un-Verantwortungsträgern.

Es wird wohl niemandem entgangen sein, dass wir uns aufgrund des sinkenden Geburtenaufkommens und der Wahlmöglichkeit zum Zivildienst von Jahr zu Jahr immer weiter weg von einem ohnedies nie vorhandenen Massenheer entfernen, und trotzdem versucht man mit kontinuierlichen Falsch-Informationen und sonstigen Seifenblasen unsere Bürger beinahe schon täglich in die Irre zu führen.

Neben den verfassungsmäßigen Aufgaben für "Sicherheit und Katastrophendienst“ durchlaufen unsere Präsenzdiener so ganz nebenbei auch eine "Lebensschule“ am Einsatz für den "Nächsten“!

Immer mehr Jugendliche von heute bedürfen mehr als je zuvor "Ablenkung“ von ihren alleinigen tagtäglichen, kaum enden wollenden Computerspielen, indem man sie mehrheitlich verloren gegangenen Gemeinschaften wieder näher bringt, damit sie mit ihren Nachbarn nicht nur mailen, sondern vielleicht sogar auf Augenhöhe versuchen, mit ihnen zu sprechen.

Zur Lebensschule für junge Menschen gehören Gemeinschaftserlebnisse, die sie möglichst oft vom PC-Sessel, einer wachsenden PC-Fessel, erlöst.

Eine Wehrpflichtigen-Armee bringt junge Menschen aller sozialen Schichten zusammen, und das hat ohne Standesdünkel zu funktionieren. Es gibt daher innerhalb einer Grundwehrdiener-Soldatengruppe weder besser noch schlechter gestellte Soldaten, sie müssen lernen, gemeinsam Probleme zu lösen. Letztlich wachsen dabei Hochschulabsolventen, Professionisten, Hilfsarbeiter, Migrantenstämmige und Ur-Österreicher zusammen.

Für junge Menschen ist das Bundesheer eine Lebensschule für jeden späteren Beruf, wenn sie einmal gelernt haben, Befehle zunächst auszuführen, und nicht sofort versuchen, alles zu zerreden. Kein Chef eines Unternehmens braucht Diskutanten, schon gar nicht beim Neueintritt in einen Betrieb. Mitarbeiter, die bemüht sind, Probleme selbstständig zu lösen und dabei Erschwernisse ohne sofortiges "Matschgern“ auf sich zu nehmen, sind gefragt. Das Bundesheer ist mit modernsten Ausbildungsmethoden bemüht, seine Ziele ständig zu evaluieren und neben dem Sicherheitsauftrag im In- und Ausland sowie den zahlreichen immer wiederkehrenden Katastropheneinsätzen den jungen Menschen Erfahrung im Umgang mit ihren Mitmenschen, unabhängig von ihrer Herkunft und Bildung, auf ihren Lebensweg mitzugeben.

Die Medienlandschaft predigt nur allzu gekonnt verlockend, was man nicht alles haben muss, was alles nichts kostet, und dass nur im zügellosen Konsum das einzige Glück in der "Selbstverwirklichung“ auf Erden zu finden ist. Niemand spricht von Verpflichtung, Gehorchen, Erschwernisse-Ertragen, Problemlösen, Verlässlichkeit und Nächstenliebe. Das lässt sich nun einmal nicht erfolgreich verkaufen, aber unser Alltag schreit danach!

Ein Ausbrechen aus dem Hotel Mama verpflichtet zu selbstständigem Schuheputzen, Bettenmachen, Kleidung-in-Ordnung-Halten und insbesondere den Mitmenschen und Kameraden bei schwierigen Aufgaben selbstverständlich Tag und Nacht selbstlos helfend beizustehen - ein für unsere gesamte Gemeinschaft heilsamer letzter "Erziehungsakt“ vor dem Eintritt in den fordernden Lebensalltag. Gerade unsere Soldaten haben unter Bedingungen zu leben, die sie sowohl bis an ihre physischen als auch psychischen Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit führen, um zu lernen, künftig Verantwortung zu übernehmen, Autoritäten zu respektieren und lebendige Gemeinschaften zu bilden.

Militärische Erziehung bringt leider keine Wählerstimmen, aber hilft ganz entscheidend mit, eine gesunde Gemeinschaft wachsen zu lassen, wo man aufeinander hört, füreinander da ist und miteinander in der Lage ist, jedes Problem unter schwierigsten Bedingungen zu lösen.

Unsere Soldaten stehen für Sicherheit und Katastrophendienst und durchlaufen eine Lebensschule am Einsatz für den Nächsten!

Was ist mit der Verpflichtung zur Verteidigung der Neutralität?

Dr. Martin Grünzweig

8010 Graz, Moserhofgasse 47

Dem Leitartikel der jüngsten FURCHE-Ausgabe über das österreichische Heerwesen ist vollinhaltlich zuzustimmen.

Es ist dabei zweifellos interessant (wenn nicht gar erstaunlich), dass sich bei der momentan in Gang befindlichen Debatte um die Wehrpflicht - als Wiener Wahlkampfschlager initiiert und längst in eine generelle Diskussion um unser Heer ausgeartet - noch kein einziger Verfassungsjurist öffentlich zu Wort gemeldet hat, während alle möglichen sonstigen Experten fleißig ihre Wortspenden zu diesem Thema artikulieren.

Für mich als ehemaligen Grundwehrdiener - dem der Präsenzdienst übrigens gar nicht geschadet hat - wirft dieser Umstand eine ganze Reihe von Fragen auf:

Ist denn die Verpflichtung Österreichs, laut Staatsvertrag seine Neutralität mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen, heute überhaupt noch gegeben?

Und wenn ja: Müssten wir eigentlich nicht unsere Signatarmächte um Erlaubnis bitten, am derzeitigen gesetzmäßigen Zustand eigenmächtig etwas ändern zu dürfen?

Auf jeden Fall hält es der Verfasser dieser Zeilen für äußerst bedenklich, wenn wir auf eigene Faust an unserer Landesverteidigung herumdoktern, bloß um bei einer anstehenden Wahl ein paar Stimmen zu kassieren.

Im gegenständlichen Fall hat es bekanntlich nicht einmal viel eingebracht … Das gilt ganz besonders für Kommunalpolitiker, deren Kompetenz eindeutig in der Gemeindeverwaltung liegt und nicht im Militärwesen!

Es gilt offenbar auch beim Heer die Devise: Abschaffen statt Verbessern

Georg Weigl

5023 Salzburg, Schillinghofstraße 31

georg.weigl@sbg.at

Die derzeitige Debatte um die Wehrpflicht in Österreich ist davon geprägt, bestimmte Dinge nicht beim Namen zu nennen. Von vielen Befürwortern der allgemeinen Wehrpflicht werden alle möglichen, sicher ehrenwerten Gründe genannt, angefangen vom Katastrophenschutz über Auslandseinsätze bis hin zu den Auswirkungen auf den Zivildienst. Der vorrangige Wert einer Landesverteidigung besteht aber darin, die Sicherheit des eigenen Landes bestmöglich zu verteidigen und den Frieden zu sichern. Ich habe große Achtung vor jenen Mitbürgern, welche sich freiwillig in caritativen und sozialen Einrichtungen betätigen. Dies trifft aber nur auf eine verhältnismäßig geringe Anzahl von jungen Menschen zu, und ich halte es für gerechtfertigt und sinnvoll, Männer im wehrpflichtigen Alter im Rahmen eines Grundwehrdienstes zu gemeinschaftsdienlichem, kameradschaftlichem Verhalten anzuleiten und ihnen ein gewisses Maß an Disziplin nahezubringen. Wenn diesbezügliche Bekenntnisse von den führenden Politikern - als Repräsentanten des neutralen Staates Österreich - nicht mehr deutlich zu vernehmen sind, dann ist es um die Verteidigungsbereitschaft in unserem Lande schlecht bestellt.

So wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen scheint man auch bei der Landesverteidigung den fatalen Weg beschreiten zu wollen, grundlegende Strukturen über Bord zu werfen, weil deren Ausgestaltung und Umsetzung unzureichend ist (z. B. Ausbildungsmängel, Leerläufe). Es gilt offenbar die Devise: Abschaffen statt Verbessern. Es könnte uns niemand verbieten, in der Frage der Landesverteidigung einen eigenständigen österreichischen Weg zu gehen und nicht der Mehrheit der EU-Staaten nachzulaufen. Das Volk in elementaren Dingen zu befragen ist nie falsch. Sollte es daher zu einer Volksabstimmung kommen, dann ist nur zu hoffen, dass diese von einer fairen und umfangreichen Information begleitet wird.

Vielleicht hätte man die Wehrpflicht 1955 Wehrrecht nennen sollen …

Hugo Schuller

2700 Wiener Neustadt, Schützengasse 4

Es ist keine "Befehlsverweigerung“, kein "Ungehorsam“, keine "schwere Insubordination“, wenn ein aufrechter Offizier gegenüber einem militärisch eher unbedarften Vorgesetzten Vorbehalte zu beabsichtigten Maßnahmen anmeldet. Die meisten "Reformen“ bedeuteten für das Bundesheer, den Gürtel enger zu schnallen, bis ihm fast die Luft wegblieb. Wenn jetzt ein hoher Offizier die immer beschworene Zivilcourage auch praktiziert, nennt die "Kronen Zeitung“ das "wüste Angriffe“. Österreich sollte ja seine Neutralität nach dem Muster der Schweiz mit allen zu Gebote stehenden Mitteln schützen. Der junge Staatsbürger sollte die Verbundenheit mit seinem Land auch durch die Erfüllung dieser Verpflichtung dokumentieren, nicht wie ein Söldner seinen Waffendienst versehen nach dem Motto: "Wess’ Brot ich ess’, dess’ Lied ich sing’“. Vielleicht war es ein Fehler, 1955 die Wehrpflicht nicht Wehrrecht genannt zu haben - denn Rechte lässt man sich ja bekanntlich nicht leicht nehmen …

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