Der Verlust der Glaubwürdigkeit -eine bittere Pille
Wenn heute "Humanae vitae" kein öffentliches Thema mehr ist, so bezeugt das vor allem den Bedeutungsverlust der katholischen Kirche -nicht nur in der Sexualmoral.
Wenn heute "Humanae vitae" kein öffentliches Thema mehr ist, so bezeugt das vor allem den Bedeutungsverlust der katholischen Kirche -nicht nur in der Sexualmoral.
Als Jugendliche haben wir uns an Humanae vitae "abgearbeitet". Die sogenannte Pillenenzyklika erhitzte unsere Gemüter. Wir empfanden sie als Zumutung, als leibfeindlich und hinterwäldlerisch und liefen dagegen Sturm. Auch Theologen hatten ihre liebe Not mit diesem Lehrdokument; viele sahen darin einen Rückzug in ein überholtes Naturrecht, und man empfand die vorgelegte Verbotsnorm als unzureichend begründet.
Weder Ärgernis noch Diskussion
Heute ist es um "Humanae vitae" still geworden. Die Enzyklika ist weder Ärgernis noch Diskussionsstoff, sie ist mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Trotzdem hat sie eine "enorme Wirkungsgeschichte" entfaltet, allerdings anders als dies von Papst Paul VI. intendiert war.
Paul VI. hatte künstliche Verhütungsmethoden als moralisch verwerflich und Verstoß gegen den göttlichen Schöpfungsplan verurteilt, weil durch sie der sexuelle Akt bewusst von der Fortpflanzung getrennt werde. Die wirklich schönen Passagen der Enzyklika über die Liebe von Frau und Mann und die Würde ihrer sexuellen Gemeinschaft wurden überhaupt nicht wahrgenommen und vom Verbot der künstlichen Empfängnisregelung überlagert. Die Empörung war groß. Die Bischofskonferenzen bemühten sich, die Wogen zu glätten. In der Mariatroster Erklärung der österreichischen Bischöfe wurde der persönlichen Gewissensentscheidung der Gläubigen in Fragen der Empfängnisverhütung ein hoher Stellenwert zuerkannt. Es wurde klargestellt, dass die Enzyklika kein unfehlbares Glaubenszeugnis sei und es sich bei einem Verstoß nicht um eine schwere Sünde handle. Aber all diese Versuche, das Ansehen der Enzyklika zu retten, haben ihre de saströse Wirkung nicht abmildern können. Auch das Pochen auf das kirchliche Lehramt und die Appelle an die Gehorsamspflicht der Gläubigen haben ihre Wirkung verfehlt. Viele wandten ein, dass bei der sogenannten natürlichen Methode doch dieselbe Intention vorliege wie bei der künstlichen, wobei bei "natürlich" einige Fragezeichen zu machen wären.
Die Kirche hat einen hohen Preis für diese Enzyklika bezahlt. Zunächst wurde sie in Fragen der Sexualmoral nicht mehr ernst genommen. Man hat zölibatär lebenden Männern die Kompetenz in Ehe-und Sexualfragen aberkannt und vor der Kirche die eigene Schlafzimmertür zugemacht. Doch damit nicht genug. Die Glaubwürdigkeitskrise, in die die Kirche geschlittert ist, erfasste bald auch andere Bereiche wie Familie, Bildung, Wissenschaft, um nur einige zu nennen. Dem kirchlichen Lehramt wurde nicht mehr vertraut; es war als Richtschnur für die eigene Gewissensbildung nicht mehr die letzte Instanz. Heute sind die Beichtstühle leer, man klärt seine Angelegenheiten mit Gott direkt oder gar nicht.
Kirche wird kaum mehr gehört
Vielleicht sollte man den Verfassern der Enzyklika nicht den guten Willen absprechen. Sie wollten - 1968! - vor einer Welt warnen, die künftig immer mehr hedonistisch geprägt sein würde und in der das göttliche Geschenk der Sexualität vielfach auch missbraucht wird. Aber anstatt wirkliche Hilfestellungen für eine verantwortete Elternschaft zu geben, hat man sich im Pillenverbot verrannt. Heute erreicht die Kirche viele Menschen gar nicht mehr. Sie wird daher auch in den wirklich wesentlichen Fragen wie beispielsweise dem Beginn oder Ende des menschlichen Lebens, der Reproduktionsbiologie und den verschiedenen Manipulationen des menschlichen Erbgutes kaum noch gehört.
Papst Franziskus wird nicht müde, gerade zu diesen Themen das Wort zu ergreifen. Die Sexualmoral hingegen ist kein besonders ausgeprägter Arbeitsschwerpunkt des Papstes. Sein Augenmerk gilt nicht den ehelichen und unehelichen Schlafzimmern, sondern Mutter Erde und einem friedlichen und nachhaltigen Zusammenleben aller. Und dafür ist viel zu tun.
| Die Autorin ist Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich |
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