Die Festspiele Reichenau begehen ihr 25-jähriges Jubiläum mit einem bewährten Programm und ebenso erprobten Mitteln. Unterschiede im Einzelnen schmälern nicht den Erfolg des Ganzen.
Wer seit 1988 von Jahr zu Jahr im Juli die Festspiele Reichenau besucht (und das tun inzwischen mehr als 40.000 Besucher!), weiß meist, was er zu erwarten hat. In Stoff- und Stückauswahl konzentriert sich das Intendantenpaar Renate und Peter Loidolt vorzugsweise auf das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert mit deutlichem Schwerpunkt auf das österreichische Fin de Siècle.
Große Stars verschiedener Bühnen
Neben Nestroy, Werfel, Bahr, Hugo von Hofmannsthal sind es auch immer mal wieder die großen Russen Tschechow, Turgenjew, Gorki, die im Spielplan auftauchen Absoluter Lieblingsautor aber ist Arthur Schnitzler, wobei neben seinen Theaterstücken auch seine Romane für die Bühne dramatisiert werden. Immerhin nehmen die Loidolts diese ‚Neuerung‘ für sich in Anspruch, im Jahre 2000 unter den ersten gewesen zu sein, die Romandramatisierungen für das Theater in Auftrag gegeben haben, noch "bevor das seitdem alle machen“, wie sie in einem Interview bekunden. Auch was die Umsetzung und Ästhetik anbelangt, ist der Theaterbesucher in Reichenau weitgehend vor Überraschungen gefeit. Denn die Loidolts mögen psychologisches Schauspielertheater, wobei sie keine Mühen scheuen, die großen Stars der verschiedenen Wiener Theater zu vereinen, was nicht ohne Reiz ist. Zudem fühlen sie sich offenbar einer gewissen Werktreue verpflichtet (was im Zusammenhang mit Romandramatisierungen das immer auch heißen mag) und gleichzeitig bedeutet das, dass der Theaterbesucher experimentelle Formen oder gar das, was man in konservativeren Kreisen unter Regietheater abschätzig zu subsumieren beliebt, nicht zu gewärtigen hat. Als einzige kleine Ausnahme in jüngerer Zeit kann die Romanadaption von Daniel Kehlmanns Bestseller "Ruhm“ 2010 gelten. Die Stärke der Festspiele Reichenau liegen ja vielleicht gerade in dem Umstand, dass in einer sich sonst rasant verändernden Welt hier alles bleibt, wie es einmal war.
Auch bei der Betrachtung der heurigen Ausgabe fühlt man sich beinahe in die Zeit der Jahrhundertwende zurückversetzt. So viel Uniform war nie! Nach dem Auftakt mit Nestroys Posse "Frühere Verhältnisse“, die in der Regie von Maria Happel trotz historischer Kostüme aktuelle Zeitbezüge erlaubte, inszenierte Helmut Wiesner im neuen Spielraum des Theaters Reichenau Schnitzlers vormaliges Skandalstück "Reigen“ mit erstklassiger Besetzung. Auf einem übergroßen, silbern glänzenden, die Blicke absorbierenden Doppelbett trifft sich das Personal dieses Partnerwechselkarusells zu "Koitusgesprächen“, während bei der eigentlichen Intimität sittig das Licht ausgeht und die Schrammelharmonika ein akkustisches Bild des Treibens liefert.
In diesem Totentanz der Sexes seziert Schnitzler die Mechanik der menschlichen Natur. Sein Personal, das bei der einen Sache des Individuellen beraubt und ins Typenhafte zerfällt - die Dirne, der Soldat, das Stubenmädchen, der junge Herr, die junge Frau, der Ehegatte, das süße Mädel, der Dichter, die Schauspielerin, der Graf - wiederholen das immer gleiche Spiel von Werbung, Lockung, Paarung, Sättigung und Ernüchterung. Damit entzaubert Schnitzler die Sexualität, entlarvt er ihre Bindung an die Liebe als geheuchelte gesellschaftliche Konvention. Ein Thema von überzeitlicher Aktualität.
Weniger geglückt dagegen sind die heurigen Dramatisierungen von zwei Großromanen. Sowohl Tolstois "Anna Karenina“ (in der Bearbeitung von Nicolaus Hagg) wie auch Stefan Zweigs "Ungeduld des Herzens“ (Stefan Slupetzky) geraten auf der Bühne allzu flach.
Lernen aus dem Blick zurück
"Ungeduld“ handelt von der unglücklichen, weil nicht erwiderten Liebe der an den Rollstuhl gefesselten Edith zum jungen Leutnant Anton Hofmiller, der eben nur Mitleid hatte, sonst gar nichts. Während sowohl Merle Wasmuth wie auch Claudius von Stolzmann großartige darstellerische Leistungen zeigen, vermag die Bühnenfassung die komplexen inneren Vorgänge, die Widersprüche, Hoffnungen, Enttäuschunen, Hofmillers Verwandlung zum Mitfühlenden und sein Entsetzen über das Missverständnis, etc. nicht befriedigend in die Dialoge zu retten. Ähnliches gilt für "Anna Karenina“.
Trotzdem lohnt ein Besuch in Reichenau, denn in den besten Produktionen lernt man, dass sich aus dem Blick zurück viel über die Gegenwart lernen lässt.
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Vorstellungen täglich bis 5. 8., nur Restkarten
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