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Nicolas Stemann inszeniert in Salzburg Schillers „Räuber“ und überzeugt durch ein „werktreues“ Experiment.

Wenn „Die Räuber“ auf der Perner-Insel in Hallein beginnen, betreten vier junge mit adrett gemusterten Pullundern und ordentlich gescheiteltem Haar die ganz in Aluminium gehaltene Bühne, setzen sich auf die vier bereitgestellten Stühle und skandieren im Chor den großen Anfangsdialog zwischen dem alten Moor und Franz, in dem von der Benachteiligung durch die Natur gesprochen wird: „Warum bin ich nicht der erste, der aus dem Mutterleib gekrochen, warum nicht der einzige?“ Durch das direkt ins Publikum gerichtete chorische Sprechen, aus dem sich manchmal eine Solostimme löst, um im nächsten Moment wieder in den Chor zu münden, wähnt man sich beinah in Handkes „Publikumsbeschimpfung“, stünde da nicht in großen Lettern „Die Räuber“ geschrieben.

Monströse Charaktere

Schiller betrachtete seinen Bühnenerstling von 1781 als eine Art Versuchsanordnung. Er habe in dem Stück – so schreibt er in der Ankündigung der Zeitschrift „Rheinische Thalia“ – keine lebensnahen Menschen geschildert, sondern eine ausgedachte Wirklichkeit der Extreme dargestellt. In der Tat ist die Geschichte von den einander verhassten Brüdern, dem bösen Materialisten Franz und dem enthusiastischen Idealisten Karl eine Geschichte monströser – wie Schiller sagte – „überhüpfter“ Charaktere.

Der Regisseur Nicolas Stemann macht sich bei seiner als Kooperation des Thalia Theaters Hamburg und der Salzburger Festspiele entstandenen Inszenierung den Experimentalcharakter der „Räuber“ auf seine Weise zu eigen. Er lässt nämlich das ungleiche Brüderpaar gleich durch vier Schauspieler darstellen. Einmal ist das Quartett (großartig besetzt mit Philipp Hochmair, Daniel Hoevels, Felix Knopp, Alexander Simon) der kalte Bösewicht Franz, der aus Eifersucht und Rachegelüsten dem guten Bruder nach dem Leben trachtet und dabei weder Moral noch Gewissensqualen kennt, um in der nächsten Szene – das Abstreifen des Pullunders genügt – eben den impulsiven Tatmenschen Karl, diese „verirrte große Seele mit allen Gaben zum Fürtrefflichen“, die an eine durch Liebe geordnete Welt glaubt, gleich vierfach zu sein. Nur die Vertreter der alten Ordnung, der alte zittrige Moor, anrührend dargestellt von Christoph Bantzer und die trauernde Amalia (Maren Eggert) bleiben individuelle Rollen.

Vorsichtig nennt Stemann seine Inszenierung „nach Schiller“. Dabei ist sein Zugriff auf das mit philosophischen Versatzstücken reiche Schiller’sche Textmassiv so ‚werktreu’ (wenn es denn so etwas gibt) wie schon lange keine Inszenierung dieses Stückes mehr. Zudem macht die Auflösung der zentralen Figuren durchaus Sinn. Denn das handlungsarme Stück ist vor allem eine Reflexion über die fragile Dialektik der Möglichkeit gelingender menschlicher Freiheit, eine Reflexion über das Menschenmögliche, dessen entgegengesetzte Enden in extremis verkörpert werden von den zwei Brüdern.

Innere Vorgänge, die Ambivalenz der Gefühle, die schwierige Unterscheidung von Gut und Böse werden durch Stemanns Konzept sichtbar gemacht. Das führt zu berückender Situationskomik oder zu szenischer Wucht. Wenn die vier Fränze etwa der treuen Amalie Avancen machen und dabei immer einen vorschieben, der eine ungelenke Schmeichelei stammelt und verlegen in die tuschelnde Gruppe zurückflieht oder in der Vergewaltigungsszene, die durch die vier Täter große Beklemmung auslöst.

Ein furioses Wortkonzert

Die Form des Wortkonzerts, die Stemann hier szenisch furios entfaltet, trägt den Abend, auch wenn die Ideen und Gedanken Schillers bloß ausgebreitet, weniger aber gedeutet werden. Stemann sensibilisiert uns durch das fugenartig ineinandergewobene und chorische Sprechen während dreier Stunden weniger dafür, was Schiller sagt, er lenkt unsere Aufmerksamkeit vielmehr auf die Art und Weise, wie er es sagt. Dieser sprachreflexive Zugriff gibt uns zu hören, wie sich die Sätze den Sprechenden und deren Absichten entwinden, die vermeintliche Souveränität des Sprechenden unterminieren und angeblich feststehende Überzeugungen und Wertungen ins Rutschen bringen.

So ist beispielsweise das Sprechen von der Freiheit mit der Freiheit nicht deckungsgleich. Freiheit wovon ist relativ leicht zu sagen, Freiheit wozu ist sowohl im politischen wie in der Gestaltung des persönlichen Glücks weit schwerer zu fassen.

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