Der virtuelle Auktionssaal

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Das Internet macht's möglich: Acht Kunsthandelshäuser in zwei Erdteilen brachten gemeinsam Kunst unter den Hammer.

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Das Internet macht's möglich: Acht Kunsthandelshäuser in zwei Erdteilen brachten gemeinsam Kunst unter den Hammer.

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Die Auktionatoren des Dorotheums vorne am Pult schweigen. Die Stimme kommt klar aus den Lautsprechern: 32.000 Dollar. Geboten sind 32.000 Dollar. 64.000 Mark, hier im Saal. Bei 66.000 Mark erfolgt der Zuschlag. Etwa 460.000 Schilling für eine Studie von Raoul Dufy, Öl auf Holz, 18 mal 46 Zentimeter groß. Eintausend deutsche Mark über den erwarteten 60.000 bis 65.000 Mark.

"Hier im Saal": Das heißt vorerst bei Lempertz in Köln. Es ist eine Premiere. Acht zu den "International Auctioneers" zusammengeschlossene Auktionshäuser bringen moderne Kunst unter den Hammer, und zwar gleichzeitig in Köln, Wien, Mailand, Madrid, Zürich, Paris, New York und Los Angeles. Die Säle sind live miteinander verbunden. In allen acht Städten erscheint das jeweils angebotene Objekt und das aktuelle Angebot, umgerechnet in mehrere Währungen, auf dem Monitor. An allen acht Stellen kann mitgeboten werden.

Bei den "Sonnenblumen" von Emil Nolde, Aquarell auf Japanpapier, 34,8 mal 48 Zentimeter, gemalt um 1935, überpurzeln sich blitzschnell die Gebote, schießen mir nix, dir nix über die erhofften 110.000 bis 120.000 Mark hinaus, erst weit jenseits von 300.000 Mark jagen die Interessenten einander langsamer, gibt's Schweigeminuten, bei 360.000 erfolgt der Zuschlag.

* Die Kunstwerke und ihre Preise. Über kaum ein Thema wird so gern, so viel, mit solchem Brustton der Überzeugung moralisiert. Als sich noch jeder Kleinreiche einen van Gogh leisten konnte, wollte ihn aber keiner. Bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts fanden ihn auch viele Mittelreiche schon viel zu teuer. In der moralischen Empörung über die hohen Kunstpreise schwingt oft der Neid auf jene mit, die früher aufgewacht sind.

Wer angesichts der Kunstpreise ins Moralisieren gerät, sollte bedenken, dass es ohne private Kunstkäufer nur einen Bruchteil der Weltkunst gäbe. Die öffentlichen Hände als einzige Kunsterwerber: Da stünden wir schön da. Doch der private Kunstfreund kauft eben nicht nur aus Liebe zur Kunst. Wenigstens oberhalb einer freilich sehr individuellen finanziellen Schmerzgrenze. Kunst ist immer auch materieller Wert, Vermögen, Geldanlage, auch wenn sich manche ungern dazu bekennen.

Wenn wir die Kunst ausnahmsweise einmal ganz konsequent aus dem ökonomischem Blickwinkel betrachten, das heißt als Geldanlage, fällt der schiere Preis viel weniger ins Gewicht als die Rendite. Dann lautet die Frage: Verspricht ein Bild, eine Plastik, eine Keramik einen Wertzuwachs, der über dem Ertrag eines gleich teuren Aktienpakets liegt? Wer sich dies vor Augen hält, versteht den Kunstmarkt besser.

* "Der Rosengarten am Wannsee" von Max Liebermann ist ein sehr schönes Bild, dem Liebermann selbst einen hohen Stellenwert in seinem Werk einräumte. 350.000 bis 400.000 Mark könnte das 1928 gemalte Bild seinem Vorbesitzer einbringen, haben die Fachleute der Galerie Lempertz angenommen. Die Gebote lassen die 400.000 Mark im Nu hinter sich, um 1,6 Millionen Mark wechselt das Bild seinen Eigentümer. Die beachtlichen Zuschläge des Auktionshauses nicht mitgerechnet.

Das Wiener Publikum erlebt die Vorgänge in Köln akustisch mit. Dann ist auch schon das Dorotheum selber dran. Nun geht es hier im Saal los. Den ganzen Tag wurden hier Alte Meister versteigert, vor vielleicht 80 Leuten, nun ist der Saal mit 40 oder 50 Personen eher schütter besetzt. Dazu mag beitragen, dass hier erst vor kurzem klassische Moderne versteigert wurde.

Das Pastell auf Papier "Unter den Linden im Regen" von Lesser Ury hätte ich, den Besitz eines entsprechenden "frei verfügbaren Einkommens" vorausgesetzt, auch sofort gekauft. Den Sammlern, die es auf 650.000 Schilling hinauflizitierten, mehr als das Doppelte des Erwarteten, hat es offenbar auch gefallen. Eine nur 14,3 mal 10,4 Zentimeter große Blei- und Farbstiftzeichnung von Fernand Khnopff erzielt nur 50.000 Schilling weniger. Ein Wiener Sammler ersteht viel rote Farbe von Hermann Nitsch auf knapp sechs Quadratmetern Jute (die "Kreuzwegstation" von 1962) spottbillig für eine Million. 1,2 bis 1,8 Millionen wurden erwartet. Ein mit 180.000 bis 220.000 Schilling bewertetes Kokoschka-Plakat von 1923 wechselt um 180.000 Schilling seinen Eigentümer.

* Selbstverständlich spielen bei der Preisbildung auf dem Kunstmarkt nicht nur Gewinnerwartungen, sondern auch emotionale Faktoren eine wichtige Rolle. Ästhetische und sonstige Vorlieben der Sammler. Unmittelbar vor Noldes "Sonnenblumen" war das "Porträt eines Südsee-Insulaners" desselben Malers dran. Es konnte sich mit Mühe zum oberen Rand der Einschätzung durch die Fachleute hinaufschrauben: 100.000 D-Mark, keine Mark mehr. Das Bild mag für manche Menschen etwas Bedrohliches ausstrahlen. Max Liebermann wiederum ist politischen Menschen nicht nur als großer Maler, sondern auch durch seinen herzerfrischenden Ausspruch vom 30. Jänner 1933 ans Herz gewachsen: "Ich kann ja nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte."

* Warum steigen gute Kunstobjekte konstant im Wert? Erstens riss man sich schon immer um sie. Schon in der Antike. Zweitens wird in den Industriestaaten viel Geld verdient, das sich aus verschiedenen Gründen - Marktsättigung, Konkurrenz, stagnierende Massenkaufkraft - im produktiven Sektor nicht mehr reinvestieren lässt. Die spekulativen Märkte, vor allem die Börsen, aber auch die Kunst- und Immobilienmärkte, nehmen diesen Geldüberhang auf. Das heißt, sie wirken volkswirtschaftlich als Inflationsbremsen. Verglichen mit den Börsen ist der Kunstmarkt natürlich nur ein kleiner Klacks.

Aber ein schöner und prestigeträchtiger Klacks. Bilder und Plastiken kann man anschauen, Aktien nur in der Bank hinterlegen. Daher zweigt fast jeder, der das schreckliche Problem hat, sein Geld anlegen zu müssen, einen Teil davon für Kunst ab. Je reicher die Reichen werden, desto mehr Kunst fragen sie nach. Und wenn sie etwas Neues entdecken, etwa die Wiener Keramik der zwanziger Jahre, dann stürzen sie sich drauf und die Preise schießen wie Raketen in die Höhe. Aber nicht wie Silvesterraketen, sondern alsbald sehen wir sie in stabilen Bahnen.

* Auch tragische Schicksale von Malern beeinflussten nicht nur bei van Gogh die Wertschätzung. Etwa beim 1944 in Auschwitz ermordeten Felix Nussbaum, der sich zwischen 1933 und seiner Verhaftung vom unpolitischen deutschen Juden über den vorläufig noch optimistischen Emigranten zum desillusionierten Flüchtling wandelte. 1932 vernichtete ein Atelierbrand einen großen Teil seines Werkes. Immer wieder malte er sich selbst mit Maske - sein "Atelierstilleben mit Maske und Uhr" erzielte mit 200.000 Mark mehr als das Dreifache des Erwarteten.

* Acht-Städte-Auktion hin, Internet her: Auch bei so einer simultanen internationalen Verbundversteigerung wird vor allem an Ort und Stelle für die an Ort und Stelle angebotenen Objekte geboten. Nach dem Dorotheum ist die Galerie Arte Moderna in Mailand an der Reihe, aber da sitzen plötzlich in Wien nur noch zwei Leute da. Etwas später werden es wieder etwas mehr werden, doch für Wien ist das Rennen gelaufen.

* Was die mit Kunst erzielbaren Renditen betrifft, da zieren sich die Experten. Mit 20 Prozent Wertsteigerung pro Jahr rechnet ein bekannter Wiener Sammler bei der klassischen Moderne, "vorsichtig geschätzt", konstant seit rund zehn Jahren. Das wäre immerhin das Vierfache eines guten langfristigen Aktiendepots. Es gilt aber nur für die hohe Qualität. Das Mittelmaß stagniert. Das Untermittelmaß verliert. Wer eine Wertsteigerung erleben will, kauft besser ein Objekt um 100.000 Schilling als zehn für je 10.000.

Beim Kunsthandwerk sei derzeit der Bär los. Die Spitzenwerke der Avantgarde, gute Arbeiten von Josef Hoffmann, Wally Wieselthier, Gudrun Baudisch würden seit kurzem explosiv an Wert zulegen, gut 30 Prozent pro Jahr, es könne auch mehr sein. Viel davon gehe infolge des starken Dollar in die USA. Es gab freilich auch schon Phasen, in denen Möbel des Jugendstils containerweise von den USA nach Europa verkauft wurden. Wenn nicht die Währungskurse die Preise verzerren, werden Kunst und Kunsthandwerk oft dort am höchsten bewertet, wo sie entstanden sind. Mit einem anerkannten Tiroler Maler ist noch kaum einer hineingefallen, die finden in Tirol immer ihre Käufer.

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