Der Wahnsinn ist noch nicht ausgestanden

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Experten bezweifeln heute nicht mehr, daß der Rinderwahnsinn auf den Menschen übertragen werden kann. Die unheimliche Krankheit, die das Gehirn schwammartig erweitert, fordert derzeit in Großbritannien immer mehr Opfer, berichtet Prionenforscher und Wissenschafter des Jahres, Herbert Budka.

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Experten bezweifeln heute nicht mehr, daß der Rinderwahnsinn auf den Menschen übertragen werden kann. Die unheimliche Krankheit, die das Gehirn schwammartig erweitert, fordert derzeit in Großbritannien immer mehr Opfer, berichtet Prionenforscher und Wissenschafter des Jahres, Herbert Budka.

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dieFurche: Sie gelten international als einer der führenden Wissenschafter auf dem Gebiet der Prionenforschung. Prionen werden für den Rinderwahnsinn (BSE) und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen verantwortlich gemacht. Was kann sich ein Laie unter einem Prion vorstellen?

Herbert Budka: Der Laie stellt sich darunter irgendwelche geheimnisvollen Partikel vor, die auf mysteriöse Weise eine noch mysteriösere Krankheit hervorrufen. Und damit hat der Laie eigentlich gar nicht so unrecht. Wir wissen derzeit nicht mit Sicherheit, was ein Prion ist. Daß es Prionen gibt, ist eine Annahme von Wissenschaftern, eine Hypothese. Diese Prionenhypothese wurde von Stanley B. Prusiner, Nobelpreisträger für Medizin im Jahre 1997, am deutlichsten formuliert. Die Hypothese besagt, daß Prionen - im Gegensatz zu allen anderen infektiösen Organismen wie Viren, Pilze und Bakterien - keine Erbsubstanz besitzen, sondern daß sie ausschließlich aus Eiweiß, also aus Protein bestehen. Und das ist natürlich wirklich eine außerordentlich interessante Sache.

dieFurche: Dieses Prion konnte bisher nicht nachgewiesen werden?

Budka: Das Prion ist wie gesagt ein hypothetischer Krankheitserreger. Die Prionen kann man nicht mit dem Mikroskop sehen. Was man allerdings sehen kann, ist das Prionprotein, sowohl in der normalen als auch in der krankmachenden Form. Auch alle gesunden Menschen besitzen dieses Prionprotein, das vor allem auf der Oberfläche von Nerven- und Immunzellen vorkommt. Das Prion wandelt das gesunde Prionprotein in die krankmachende Form um. Dieses abnorme Molekül ist dann vermutlich wie bei einem Schneeballeffekt in der Lage, andere gesunde Prionproteine in kranke umzulagern. Das führt dann letztendlich zu Ablagerungen des abnormen Proteins im Gehirn.

dieFurche: Wissen Wissenschafter heute, wie es zur Übertragung vom Rind auf den Menschen gekommen ist?

Budka: Wir wissen nicht genau, wie die Übertragung von BSE auf den Menschen stattgefunden hat. Was wir wissen ist, daß der Erreger der BSE und der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die bisher in 39 Fällen in Großbritannien und in einem Fall in Frankreich diagnostiziert worden ist, in vielerlei Hinsicht gleiche Eigenschaften haben. Im Gegensatz dazu stehen anderen Prionenerkrankungen, etwa die klassische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die es beim Menschen immer schon gegeben hat (siehe auch Kasten unten). Sie tritt weltweit überall gleich häufig mit durchschnittlich einem Fall pro einer Million Einwohner und Jahr auf. Im Gegensatz zu der klassischen Erkrankung trifft die neue Variante vor allem junge Menschen, sogar Teenager. Sie hat einen etwas längeren Krankheitsverlauf, etwas andere Krankheitserscheinungen und vor allem, was wirklich wesentlich ist, andere Gehirngewebsveränderungen, die wir dann im Mikroskop darstellen können.

dieFurche: Also ist es noch nicht wissenschaftlich abgesichert, daß ein direkter Zusammenhang zwischen BSE und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit besteht?

Budka: Der endgültige Beweis kann derzeit nicht erbracht werden, denn der direkte Beweis wäre die absichtliche Übertragung von BSE auf den Menschen. Das ist natürlich ein Experiment, das selbstverständlich niemand machen darf, und daher müssen wir auf Grund der Indizien unsere Schlüsse ziehen. Es gibt aber unter den mir bekannten Wissenschaftern niemanden mehr der bezweifelt, daß der BSE-Erreger und der Erreger der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ident sind.

dieFurche: Auch über die Inkubationszeit wird bisher spekuliert. Weiß man hier schon genaueres?

Budka: Nein. Aber BSE dürfte sich in der britischen Rinderpopulation Anfang der 80er Jahre verbreitet haben. 1985 sind die ersten Krankheitsfälle diagnostiziert worden. Man weiß mittlerweile, daß vorher Hunderttausende infizierte Rinder in die menschliche Nahrungskette gekommen sind. Bis zum Verbot von Tierfuttermehl, wodurch die Rinderseuche entstanden ist, beziehungsweise bis zum Verbot von Risikomaterial für die menschliche Nahrung nimmt man an, daß die Bevölkerung mit großen Mengen von infektiösem Material in Kontakt gekommen ist. Das ist nicht wegzudiskutieren. Mitte der 90er Jahren sind die ersten Krankheitsfälle beim Menschen aufgetreten, also etwa zehn Jahre später. Das würde gut zu den Kenntnissen passen, die wir von gleichartigen Erkrankungen haben. Beispielsweise von der unglückseligen Behandlung zwergwüchsiger Kindern mit Hormonpräparaten, die aus den Hirnanhangsdrüsen von Leichen gewonnen wurden. Dabei wurde offenbar auch Gehirnmaterial von an Creutzfeldt-Jakob Erkrankten verarbeitet. Nach etwa zehn Jahren hat das bei den Patienten ebenfalls zu Creutzfeldt-Jakob geführt.

dieFurche: Gibt es bereits Ansätze für eine Heilung?

Budka: Für eine Heilung gibt es überhaupt keine Ansätze. Es gibt ganz interessante Ideen, wie man hier unter Umständen therapeutisch eingreifen könnte, aber von einer Umsetzung ist derzeit noch nicht die Rede. Das ist eben das Bestürzende daran, weil wir eben nicht wirklich wissen, wie es in Großbritannien mit der Epidemie weitergeht. Zu denken gibt die Tatsache, daß im letzten Quartal 1998 die Zahl der diagnostizierten Todesfälle deutlich höher war als je zuvor. Im letzten Quartal waren es neun Fälle, im ganzen Jahr 1998 sind 15 Fälle aufgetreten, während in den Jahren davor jeweils nur zehn Fälle diagnostiziert wurden.

dieFurche: Hier im Wiener AKH wird viel zu diesem Thema geforscht. Warum eigentlich, da ja Österreich von BSE und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit nicht betroffen ist?

Budka: Wir sind von der neuen Variante nicht betroffen, weil wir bisher in Österreich keine BSE hatten, und das wird vermutlich auch so bleiben, da wir unsere Kühe nicht mit tierischem Eiweißmehl gefüttert haben. Aber in Österreich kommt natürlich auch die klassische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit vor. Hier haben wir besonders genaue Daten, da unser Institut eine sehr lange Tradition hat. Es wurde als erste derartige Anstalt 1882 gegründet. Und wir haben außerordentlich große Erfahrungen mit der Untersuchung und Diagnose von verschiedensten Krankheiten des Nervensystems, die weltweit einzigartig sind. Aus diesem Grund machen wir Untersuchungen auch für eine ganze Reihe anderer europäischer Länder und Laboratorien.

dieFurche: Für welche?

Budka: Ich bin Leiter eines EU-Großprojektes. Dadurch bekomme ich Einsendungen aus ganz Europa, aber auch aus Ländern wie etwa Brasilien und Indien. Wir haben hier die notwendige technische Laboreinrichtung, um die Diagnose zu sichern.

dieFurche: Sie sind auch Gutachter und Berater für die Europäische Union. Nun wurde im November 1998 beschlossen, das Exportverbot für britisches Rindfleisch aufzuheben. Ist die Gefahr vorbei?

Budka: Man muß hier zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist die Wissenschaft und ich bin Mitglied eines Beratergremiums, das ausschließlich wissenschaftlich beurteilt. Die Umsetzung muß auf politischer Ebene vollzogen werden. Mir ist klar, daß die Wissenschaft nicht im gläsernen Turm existieren kann und wir müssen entsprechend vernünftige Vor schlossen, das Exportverbot für britisches Rindfleisch aufzuheben. Ist die Gefahr vorbei?

Budka: Man muß hier zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist die Wissenschaft, und ich bin Mitglied eines Beratergremiums, das ausschließlich wissenschaftlich beurteilt. Die Umsetzung muß auf politischer Ebene vollzogen werden. Mir ist klar, daß die Wissenschaft nicht im gläsernen Turm existieren kann, und wir müssen entsprechend vernünftige Vorschläge machen. Andererseits können und dürfen wir den Politikern nicht die Entscheidung abnehmen, denn dafür sind sie gewählt worden. Wenn sie falsche Entscheidungen treffen, dann müssen sie das entsprechend verantworten. Die Situation rund um das britische Exportverbot ist eine politische Sache. Sie wurde auf Grund des Drucks der Briten getroffen, weil diese mittlerweile ganz gute Daten vorlegen konnten, die zeigen, daß sie die Situation mit BSE, um es etwas salopp zu formulieren, im Griff haben.

dieFurche: Was war Ihr wissenschaftlicher Rat als Experte an die Politiker?

Budka: Mir ist bewußt, daß die politischen Entscheidungen natürlich nicht leicht sind und auf Basis des vorhandenen Wissens zu treffen sind. Das Problem ist, daß wir große Wissenslücken auf diesem Gebiet haben. Manchmal ist es einfach nicht möglich Antworten zu geben.

dieFurche: Anders gefragt, verzichten Sie auf bestimmte Lebensmittel?

Budka: Ich verzichte seit Jahrzehnten auf den Konsum von Hirn und Rückenmark, und ich empfehle niemandem solche Lebensmittel, von welchem Tier auch immer, zu konsumieren. Ich finde es sehr schade, daß in Österreich das Verbot von bestimmten Risikomaterialien, die in die menschliche Nahrungskette kommen oder für pharmazeutische Produkte verwendet werden, bisher nicht umgesetzt wurde. Das wäre eine einfache Maßnahme, die zwar Geld kostet, aber wichtig wäre und letztlich einen echten Schutz für den Konsumenten bedeuten würde. Die Agrarbehörden sehen das natürlich ganz anders. Das kostet Geld, es würde die Marktsituation natürlich erschweren, und viele stehen auf dem Standpunkt, in Österreich gibt es ja keine BSE und, daher haben wir ja nicht dieses Problem. Diesen Standpunkt halte ich für kurzsichtig.

dieFurche: Wie ist das eigentlich mit anderen Nahrungsmitteln, etwa bei Gelatine?

Budka: Gelatine ist natürlich ein Beistoff, der aus Eiweiß besteht und praktisch fast überall in Nahrungsmitteln und in der pharmazeutischen Industrie verwendet wird. Gelatine wird einerseits aus dem Unterhautgewebe von Rindern und Schweinen hergestellt, andererseits aber auch aus Knochen. Knochen sind an sich unbedenklich. Das Problem dabei ist, wenn Verunreinigungen vom Rückenmark dabei sind. Es gibt hier mittlerweile aber strenge Bestimmungen, etwa, daß kein Ausgangsmaterial von Rindern aus Großbritannien verwendet werden darf.

dieFurche: Themenwechsel: Sie bekamen diese Woche vom Klub der Österreichischen Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten den Titel "Wissenschafter des Jahres 1998" verliehen. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung.

Budka: Mich freut diese Anerkennung ganz besonders. Nicht zuletzt deswegen, weil Österreicher eher im Ausland geehrt werden und angesehen sind. Wissenschafter sind im Inland häufig unbeachtet und unbedankt. Das liegt natürlich auch daran, weil wir ein vergleichsweise kleines Land sind und beschränkte Möglichkeiten haben. Dennoch kann man auch hier erfolgreich sein, es braucht sich niemand zu beklagen. Was mich besonders an dem Preis - den ich offensichtlich in Zusammenhang mit dem eben erörterten Thema bekommen habe - freut, ist, daß es mir offenbar gelungen ist, diese doch sehr komplizierte Materie in einer Form weiterzugeben, die geschätzt wird. Denn es ist nicht leicht, das richtige Mittelmaß zwischen Panikmache und Verharmlosung zu wählen. Diese Sachen sind nicht unter den Tisch zu kehren, wir müssen uns diesen Problemen stellen. Wir müssen sie aber mit Augenmaß und Vernunft angehen, und die Öffentlichkeit muß seriös informiert werden. Ich fasse diesen Preis dahingehend auch als Bestätigung auf.

Das Gespräch führte Monika Kunit.

ZUR PERSON Herbert Budka Universitätsprofessor Herbert Budka ist Vorstand des Klinischen Instituts für Neurologie der Universität Wien und Leiter der Klinischen Abteilung für Neuropathologie und Neurochemie. Er gilt international als einer der Experten auf dem Gebiet der Prionenforschung. Zahlreiche Publikationen und Auszeichnungen spiegeln seine internationale Reputation. Budka ist auch als Gutachter und Berater für die Europäische Union tätig und leitet derzeit ein EU-Großprojekt, das sich mit der Diagnose und den unterschiedlichen Ausprägungen von Prionenkrankheiten beschäftigt. Vor wenigen Tagen bekam Budka vom Klub der Österreichischen Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten den Titel "Wissenschafter der Jahres 1998" verliehen. Diese Auszeichnung wird für besondere Leistungen und hervorragende Öffentlichkeitsarbeit vergeben. kun.

RINDERSEUCHE Exportverbot wird nun gelockert Seit 12. April wird in Großbritannien von Vertretern der Europäischen Union kontrolliert und inspiziert. Geprüft wird, ob die Datenerfassung von britischen Rindern einwandfrei funktioniert. So muß etwa die Herkunft von britischen Rindfleisch bis zum Ursprungsbauer zurückverfolgt werden können. Der Kontrollbesuch wird voraussichtlich eine Woche dauern. Fällt der Bericht positiv aus, werden die EU-Kommissare ein Datum festlegen, ab wann britisches Rindfleisch wieder in die restlichen europäischen Länder eingeführt werden darf. Damit fällt vermutlich noch heuer teilweise das Ausfuhrverbot, das im März 1996 gegen Großbritannien wegen der Rinderseuche BSE verhängt wurde. Mit Sicherheit sei damit aber nicht vor Sommer zu rechnen, heißt es aus der Veterinärverwaltung in Wien. Die Lockerung des umstrittenen Exportverbotes wurde bereits im November von der Europäischen Kommission beschlossen. Zuvor hatte sich der ständige Veterinärausschuß mit dieser Sache befaßt. Dort konnte allerdings keine qualifizierte Mehrheit für die Aufhebung erreicht werden, österreichische Vertreter stimmten ebenfalls dagegen. kun.

SPRUNG ÜBER DIE ARTENGRENZE Von Scrapie zu Creutzfeldt-Jakob Die klassische Creutzfeldt-JakobKrankheit (CJK) beim Menschen ist eine weltweit vorkommende Erkrankung des Zentralnervensystems. Sie kann etwa durch genetische Mutationen hervorgerufen werden. Auch gibt es verschiedene Erbkrankheiten, die die CJK auslösen können. Ein Sonderfall ist die "Kuru"-Erkrankung, die durch den rituellen Kannibalismus - das Gehirn der Verstorbenen wurde verzehrt - in Papua-Neuguinea Ende der 50er Jahre aufgetreten ist. Tausende Menschen starben. Nachdem das Ritual untersagt wurde, sank die Todesrate. Heute treten nur noch vereinzelt Fälle auf.

Auch bei Tieren ist diese Krankheitsform bekannt. So gibt es Scrapie - auch bekannt als Traberkrankheit - bei Schafen schon seit mindestens 200 Jahren. Anfang der 90er Jahre kam es dann zu einer Epidemie von BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie) unter Rindern, in erster Linie in Großbritannien. Ausgelöst wurde diese Epidemie durch große Mengen Tiermehl von Schafen, die an Rindern seit Anfang der 80er Jahre in Großbritannien verfüttert wurden, um Milch- und Fleischerträge zu steigern. Während es bei Scrapie-infizierten Schafen in der Nahrungskette bisher zu keiner Epidemie beim Menschen kam, gab es bald Hinweise, daß der Rinderwahnsinn auf den Menschen übertragen werden konnte. Der erste registrierte Fall war der 19jährige Brite Stephen Churchill. Nach seinem Tod entdeckten britische Mediziner bei der Obduktion eine bisher unbekannte Variante von CJK. Im März 1996 wurde erstmals der Verdacht einer Verbindung zwischen BSE bei Rindern und der CJK beim Menschen öffentlich geäußert. Die durch BSE übertragene Krankheit wird nun die neue Variante genannt.

Das Ausmaß einer möglichen Epidemie beim Menschen ist derzeit aufgrund der langen Inkubationszeit der CJK völlig unabsehbar. Vorläufige Hochrechnungen ergaben Zahlen zwischen mindestens 75 und höchstens 80.000 Krankheitsfällen. Die Todesfälle stiegen im letzten Quartal 1998 in Großbritannien allerdings auffällig an (siehe auch Interview). kun.

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