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Meilensteine pflegt man zu würdigen. Aber nur, wenn es sich um solche handelt. Vor genau zehn Jahren veröffentlichten zwei Forschergruppen, zeitgleich, aber unabhängig voneinander, ihre Landkarten des menschlichen Genoms in den Fachzeitschriften Nature (15. Februar 2001) und Science (16. Februar 2001). Die Meldung der "Entschlüsselung der DNA“ ging wie ein Lauffeuer um die Welt. Den Veröffentlichungen war ein Kopf-an-Kopf-Rennen zweier Rivalen vorausgegangen. Auf der einen Seite stand die öffentlich finanzierte Human-Genom-Organisation (HUGO), an der unter Leitung von Francis Collins 1000 Wissenschaftler aus sechs Ländern beteiligt waren. Auf der anderen Seite der persönlich umstrittene, aber fachlich brillante Individualist Craig Venter mit seiner Firma Celera. Venter hatte zuvor das HUGO-Projekt nach Streitigkeiten über Patentierungsfragen im Zorn verlassen. Bis zuletzt war unklar, wer das Rennen machen würde. Die zeitgleiche Veröffentlichung war dann ein Kompromiss, der beide Seiten ihre Gesichter wahren ließ.

Erwartungen wurden nicht erfüllt

Retrospektiv ist die Bedeutung des DNA-Februars 2001 nüchtern zu betrachten. Beide Forschergruppen hatten ihre Zwischenresultate bereits acht Monate zuvor dem US-Präsidenten Bill Clinton (sic!) präsentiert. Weiters waren die Publikationen in Nature und Science unvollständig und fehlerhaft. HUGO schloss sein Projekt erst 2004 ab.

Gemessen an den vollmundigen Versprechungen mancher Wissenschaftler sind die Erwartungen nicht erfüllt worden. Die Rede war (oder ließ sich allzu leicht solcherart interpretieren) von einer personalisierten Medizin, die nur einen Blick auf das Genom eines Patienten zu werfen brauche, um mit der maßgeschneiderten Behandlung beginnen zu können. Die Fakten sehen anders aus. Krebs ist nach wie vor im Vormarsch, klinische Anwendungen der Genetik sind rar gesät. Das sprichwörtliche Eichhörnchen nährt sich mühsam, das sprichwörtliche Gutding braucht Weile. Trotz der Einsicht, dass wir Menschen 99,9 Prozent unseres Genoms gemeinsam haben, ist Rassismus eine weithin gepflegte Unmenschlichkeit. Und die Patentierung von Genen veranlasst zu Reaktionen von Stirnrunzeln bis bestürztem Händeringen.

Boom und neue Disziplinen

Doch es wäre nicht Wissenschaft, gäbe es nicht auch Positives zu vermelden. Beinahe im Wochentakt werden die genetischen Grundlagen von Krankheiten beschrieben. Vor allem der symbolische Effekt der Genom-Entschlüsselung war enorm. Laut einer Umfrage von Nature unter 1000 Lebenswissenschaftlern hat sie 69 Prozent der Befragten dazu motiviert, in die Wissenschaft zu gehen oder ihr Forschungsgebiet zu wechseln. Sie hat den Lebenswissenschaften einen Boom beschert, zahllose Start-Ups sind entstanden. Die Techniken des Sequenzierens sind leistungsfähiger als noch vor zehn Jahren. Sogar neue Disziplinen wie Bioinformatik und Biomathematik haben das Licht der Welt erblickt, um die gewaltigen Datenmengen von Abermilliarden Nukleotiden auszuwerten.

Eine der wichtigsten Lehren aus der Sequenzierung der menschlichen DNA ist die Einsicht, dass alles viel komplizierter ist als erwartet. Weder stimmt die Gleichung "ein Gen - eine Krankheit“, noch sind Gene die alles erklärenden Bestandteile. Gene, die nur zwei Prozent der DNA ausmachen, enthalten die Baupläne für Proteine.

Mindestens genauso wichtig wie das Genom ist die Gesamtheit aller Proteine eines Individuums, sein Proteom. Es ist abhängig von Umwelteinflüssen, Alterung und Zelltyp. Die nächste Aufgabe ist deshalb, die Zusammenhänge zwischen Genom und Proteom zu klären. Hier steht man erst am Anfang. Man mag die Sequenzierung des menschlichen Genoms einen Meilenstein nennen. Leider ist unbekannt, wie viele Meilen lang der gesamte Weg noch ist.

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