Der wiederentdeckte Anti-Ökonom

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Der Management-Lehrer Peter F. Drucker setzte dem reinen Gewinnstreben eines Unternehmens ein System von Menschlichkeit und sozialer Verantwortung entgegen. Seine Lehre fand in Real- und Finanzwirtschaft bisher wenig Freunde. Doch heute ist Drucker aktueller denn je.

Es gehört zu den Traurigkeiten des aktuellen Wirtschaftsdesasters, dass die Strategien, die zu seiner Vermeidung beigetragen hätten, schon seit Jahrzehnten auf Universitäten und in Managementseminaren gelehrt werden – leider ohne praktischen Erfolg. Etwa folgender Lehrsatz des Management-Professors Peter Drucker aus dem Jahr 1952: „Weder die Qualität der Produkte noch der finanzielle Gewinn sind ein adäquates Maß für die Leistung von Management und Unternehmen. Der Mensch steht im Mittelpunkt des Unternehmens.“ Oder dieser: „Kein Unternehmen ist Selbstzweck. Freie Marktwirtschaft kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie gut für die Wirtschaft ist. Sie kann nur damit gerechtfertigt werden, dass sie gut für die Gesellschaft ist.“

Solche von Logik und sozialem Gewissen durchdrungenen Sätze hat Drucker in 32 Büchern und hunderten Artikeln dem wirtschaftenden Menschen zu bedenken gegeben. Zu seinem 100. Geburtstag erlebt nun das Werk des 1909 in Wien geborenen Management-Lehrers eine Renaissance. Schließlich wird in Zeiten der bonusgetriebenen, gewinnmaximierenden Heuschrecken-Plage nichts so schmerzlich vermisst wie der gesunde Menschenverstand, den Peter Drucker als Journalist, Wissenschafter und Essayist hochhielt. Wohl auch deshalb warb er immer für das Gegenteil der vom Mammon beherrschten Praxis.

Wenn sich Drucker etwa der Frage widmet, wie ein Unternehmen, der Nukleus der Marktwirtschaft, organisiert sein sollte und dabei das „Mangement by Objectives“ propagiert: Dass der gute Manager sich Ziele setzen und sich eingehend damit beschäftigen sollte, wie er denn dahin komme. Dass er sich mit seinen Mitarbeitern zusammensetzen sollte und dass auch diese ihre Ziele definieren sollten. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Eine kleine Rundumschau der vergangenen Wochen genügt.

Man sehe nur, wie die ORF-Führung ihre Belegschaft demoralisiert und das einzige Atout, welches das Unternehmen besitzt, nämlich die Information, durch rigides Sparen ruiniert. Man betrachte die ÖBB-Manager, welche die Krankenstände ihrer Mitarbeiter ausspionieren lassen.

Die scheiternde Ökonomie

Peter Drucker ist also aktueller denn je und das nicht nur als Management-Lehrer. Er ist einer der wenigen Wirtschaftsweisen, die von sich behaupten können, Ökonomie nicht nur als wirtschaftlichen und wissenschaftlichen, sondern auch als gesellschaftlichen Prozess durchdacht zu haben. Vielleicht sagte er gerade weil er die Dinge zu Ende dachte, dass er kein Ökonom sein wolle: Er lehne Ökonomie als Lehre von einem autonomen geschlossenen System ab. Dieses System so Drucker, gebe es nicht und wenn, dann sei es unbrauchbar.

Gerade in diesen Tagen und angesichts ratloser Ökonomen, die in der Krise zwischen Keynes und der klassischen Schule umherirren, ist zu fürchten, dass Drucker recht hatte: Die Ökonomie ist ein zum Scheitern verurteilter Versuch der Berechnung von Unberechenbarem. Man müsse darüber allerdings nicht in Verzweiflung verfallen, fand Drucker. Es bleibe ja immer noch der gesunde Menschenverstand.

Die neuen Machtverhältnisse in Deutschland zwangen Drucker 1933 zur Emigration nach England. Wie zur Bestätigung verbrannten die Nazis kurz nach seiner Abreise sein Buch über den jüdisch-deutschen Staatsphilosophen Friedrich Stahl.

In London gehörte Drucker dem Kreis um John Maynard Keynes an und dort traf er auch die österreichischen Ökonomen Friedrich von Hayek und Joseph Schumpeter wieder, die schon in den 20er Jahren Stammgast im Haus der Druckers in Wien-Döbling gewesen waren. Die Londoner Tage beschrieb er später immer wieder in eingehenden Analysen, etwa über die Unterschiede in den Lehren von Schumpeter und Keynes.

Drucker widersprach dabei allen gängigen Vorurteilen, erkannte in Keynes den konservativen Marktliberalen und in Schumpeter den radikalen Querdenker, zu dessen überzeugtem Anhänger Drucker selbst wurde. Während Keynes weiterhin an ein statisches Gleichgewicht im Wirtschaftsprozess geglaubt habe, so Drucker, habe Schumpeter das dynamische Ungleichgewicht der Wirtschaft erkannt samt der Innovation als eigentlicher Triebkraft ökonomischer Entwicklung. Drucker würde heute wohl auch vor den staatlichen Konjunkturpaketen warnen – mit Verweis auf die Wirtschaftskrise in den 30er Jahren. 1983 schrieb er: „Die Erholung der Wirtschaft auf der Grundlage des Deficit Spending trat nicht ein, sondern führte vielmehr zu einem zweiten Zusammenbruch des Aktienmarktes 1937.“

Beklemmende Analysen

Geradezu beklemmend real muten seine sozio-ökonomischen Prognosen an, in denen er eine Gesellschaft beschreibt, in der zunehmende Produktivität Arbeitsplätze vernichtet und die Jugend in einer grenzenlosen Wissensgesellschaft mit einem hohen Ausmaß an Differenzierung und Individualisierung zu kämpfen hat. Auch Druckers Analyse über die Ursachen des Nationalsozialismus enthält einige bedenklich aktuelle Parallelen: „Die Menschen fühlten sich den Gesetzen des Marktes derart schutzlos ausgeliefert, dass eine im Vergleich milde Depression ausreichte, die politischen Zustände zu radikalisieren und Demokratie und Marktwirtschaft von innen her aufzulösen.“ Peter Drucker starb 2005 in den USA. Die Business Week widmete ihm jüngst eine Serie unter dem Titel: „Drucker: Timeless, Ubiquitous“. Zeitlos und omnipräsent wäre der Mann also schon. Fehlt nur noch die Managergeneration, die seine Lehren auch umsetzt.

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