"Der wird noch Minister!"

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Brillanter Forscher, engagierter Humanist, energischer Politiker: doris helmberger über das Phänomen Hans Tuppy.

Hans Tuppy hat eine Art von Bescheidenheit, die ratlos macht: "Ich habe immer das Gleiche gemacht", behauptet dieser Mann, der kaum eine Position zwischen Wissenschaft und Politik nicht bekleidet hat. "Ich habe immer das Gleiche gemacht - nur in verschiedenen Positionen."

Nicht nur Tuppys Bescheidenhat macht ratlos. Auch seine Energie: Elf Jahre schon ist der frühere Studentenvertreter, frühere "Fast"-Nobelpreisträger, frühere Universitätsprofessor, frühere Rektor und frühere Wissenschaftsminister schon emeritiert - und kaum jemand merkt etwas davon. Am wenigsten er selbst: "Dafür habe ich auch keinen Pensionsschock erlebt", lacht der 81-Jährige zufrieden - und dankt zugleich seiner "Entourage" hier am Institut für Biochemie in der Dr. Bohr-Gasse im dritten Wiener Gemeindebezirk, dass sie ihn "so wohlwollend aufgenommen hat". Fast täglich - "aber nicht mehr ganztägig!" - kommt er hierher und erledigt die Korrespondenz. Sein eigenes Leben in einer Autobiographie zu verewigen, kommt ihm freilich nicht in den Sinn. "Das liegt mir nicht", winkt er ab.

Dabei gäbe es genug zu erzählen: 1924 wird Tuppy in Wien geboren. Seine Eltern stammen aus dem heutigen Tschechien - der Vater aus Brünn, die Mutter aus Prag. Der kleine Johann verlebt eine glückliche Kindheit - bis es zur Katastrophe kommt: Sein Vater, im Jahr 1934 als erster Staatsanwalt Ankläger im Prozess gegen die Dollfußmörder, wird am 18. März 1938 verhaftet und später im kz Sachsenhausen ermordet. Dieses Trauma wird Tuppy ein Leben lang prägen: "Ich war ab 14 Jahren gewohnt, auf jedes Wort zu achten", erinnert er sich. Trotz aller Vorsicht wird er einmal mit seinem Bruder "von der Schule weg" verhaftet und wegen feindlicher Aktivitäten verhört.

"Die Uni aufgesperrt!"

Gemeinsam mit Walter Thirring, dem Sohn des berühmten Physikers, besucht er das Schottengymnasium - und wird von der Lust auf Wissenschaft gepackt. Schließlich beginnt er nach dem Arbeitseinsatz im Krieg, wo er schwer verletzt wird, das Chemiestudium an der Universität Wien.

Im Rahmen der "Katholischen Studentenseelsorge" lernt er jenen Mann kennen, der für seine intellektuelle und spirituelle Entwicklung eine wesentliche Rolle spielen wird: Prälat Karl Strobl. "So bin ich herangewachsen in der Überzeugung: nichts ohne Wissenschaft, aber auch nicht nur Wissenschaft. Um einen Standpunkt zu haben, braucht man ja etwas mehr." Gemeinsam mit dem Judaisten Kurt Schubert und der späteren Professorin für Zeitgeschichte, Erika Fischer-Weinzierl, versucht Tuppy in den letzten Kriegsmonaten, die Universität vor der Zerstörung zu retten. Die Befreiung Wiens am 10. April 1945 erleben die katholischen Studierenden in einem Versteck unweit des Universitätshauptgebäudes. "Tuppy war auch in der Entnazifizierungskommission - er hat eigentlich die Wiener Universität wieder aufgesperrt", betont Erhard Busek, Tuppys Nachfolger als Wissenschaftsminister. "Er war eine der Schlüsselfiguren in meiner Generation, wobei Prälat Strobl immer gesagt hat: Der Tuppy wird noch Minister!"

Er sollte Recht behalten. Anno 1945 engagiert sich der damals 21-Jährige freilich noch in der Studentenpolitik und gründet neben der Katholischen Hochschulgemeinde auch die Freie Österreichische Studentenschaft mit. Seine Aktivität wird belohnt: Die christdemokratische Studentenpartei gewinnt 1946 mit haushoher Mehrheit die Wahlen.

Zugleich hat Tuppy aber auch seine Forschungen im Blick: 1948 promoviert er bei Ernst Späth und kommt mit Hilfe seines Lehrers Friedrich Wessely und auf Vermittlung des späteren Nobelpreisträger Max Perutz 1949 zu Frederick Sanger nach Cambridge. Hier schafft er den wissenschaftlichen Durchbruch: Gemeinsam mit Sanger gelingt es ihm, das Insulinmolekül aufzubrechen und seine Struktur zu erforschen. Eine Leistung, für die Sanger 1958 den Chemie-Nobelpreis erhält. Die Behauptung, Tuppy sei dabei übergangen worden, stellt dieser in Abrede: "Das war überhaupt nichts so: Sanger war der Lehrer und hat mich auch sehr nett in seiner Nobelpreisrede gewürdigt. Aber so ist es eben in Österreich: Lange Zeit werden die Leute unterschätzt, und wenn sie ein gewisses Alter haben, werden sie überschätzt."

Geburtshelfer am Bio Center

Nach dem wissenschaftlichen Höhenflug kehrt Tuppy 1951 an die Universität Wien zurück und habilitiert sich 1956 an der naturwissenschaftlichen Fakultät. Das Interesse am jungen Dozenten ist groß: Ernst Boehringer lädt ihn ein, die Forschungsleitung im Biberacher Werk des chemisch-pharmazeutischen Unternehmens nördlich des Bodensees zu übernehmen. Doch Tuppy lehnt im Hinblick auf seine universitäre Laufbahn ab: "Da hat Boehringer gesagt: Na, dann machen wir das halt in Wien."

Gesagt, getan: 1957 gründet Boehringer Ingelheim im zwölften Bezirk das erste Wiener Forschungsinstitut, dessen Leiter und späterer Konsulent Tuppy wird. 1985 folgt in der Dr. Bohr-Gasse die Gründung des Forschungsinstituts für Molekulare Pathologie (imp) - heute mit über 200 Mitarbeitern eine Institution von Weltrang. Tuppy wird die Entwicklung des Vienna Bio Centers weiter fördern - als Rektor der Uni Wien, indem er die Übersiedelung von Universitäts-Instituten in die Dr. Bohr-Gasse veranlasst, und als Wissenschaftsminister, indem er die nötigen Verträge schließt. Tuppys Weitsicht hat seinen Schüler Peter Swetly stets beeindruckt: "Er hatte die Gabe, jene Themen aufzuspüren, die tatsächlich umgesetzt werden können", erklärt sein Nachfolger als Leiter des Boehringer-Forschungslabors und heutige Vizerektor der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

Doch Tuppys Engagement beschränkt sich nicht nur auf die Forschung: "Beim Katholikentag 1962 hat er tiefe Spuren hinterlassen", betont Erhard Busek. Gleiches gilt für die Wissenschaftspolitik: Ab 1963 ordentlicher Professor für Biochemie an der Medizinischen Fakultät wird der Vater dreier Kinder von Bundeskanzler Josef Klaus (vp) zum Leiter des Arbeitskreises Bildung und Forschung in der "Aktion 20" gemacht. Später ist Tuppy maßgeblich an der Formulierung des Forschungsförderungsgesetzes beteiligt. Es ebnet die Bahn für den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF), dessen Präsident Tuppy von 1974 bis 1982 ist. "Damit ist es uns gelungen, einen der Politik entzogenen Fonds zu schaffen", freut sich Tuppy rückblickend.

Seine wissenschaftspolitische Karriere steigt indes weiter an: 1983 wird er Rektor der Universität Wien und Vorsitzender der Rektorenkonferenz, 1985 Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und schließlich 1987 Wissenschaftsminister unter Franz Vranitzky. "Wir konnten damals die Internationalisierung der Universitäten vorantreiben", meint Tuppy. Doch an den Hochschulen, von denen der Minister "mehr Leistung" fordert, formiert sich Widerstand - ebenso seitens der Bundesmuseen, die gegen eine geplante ministerielle "Stabstelle" protestieren. Schließlich tritt Tuppy 1989 im Zuge einer vp-Regierungsumbildung zurück. "Er war immer ein provokativer Denker", meint sein Nachfolger im Ministeramt, Erhard Busek. "Insofern war und ist er ein Unbequemer, weil er immer das Nachdenken erzwungen hat."

Unbequem? Energisch!

Ein Charakterzug, den sich Tuppy - seit 2003 Vorsitzender des Universitätsrates der Universität für Bodenkultur - bis heute bewahrt: etwa dort, wo er die Gründung von Elite-Universitäten ablehnt, weil ihm "diese Selbst-Hochstilisierung verdächtig" ist; oder dort, wo er es "für unverantwortlich" hält, die Hochschulen "aus dem staatlichen Bereich zu entlassen bei gleichzeitiger Reduktion der Mittel".

Es ist die Kombination aus Integrität, Kompetenz und Engagement, für die ihm die Östereichische Forschungsgemeinschaft 2002 den Ludwig-Wittgenstein-Preis verliehen hat. "Im Agieren und in der Überzeugung, dass man Wissenschaft nur in einem Weltmaßstab betreiben kann und dass es in Österreich Forscher gibt, die dazu in der Lage sind - darin hat ihn seit 1945 niemand übertroffen", meint Emil Brix, Generalsekretär der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. "Trotzdem tritt er sehr bescheiden auf."

Natürlich, würde Hans Tuppy energisch erwidern: "Ich habe ja immer das Gleiche gemacht."

Folge 4: Elisabeth Lichtenberger

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