Der Wolf im Öko-Pelz

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Weltweit verkaufen sich Autos mit Alternativantrieb weit schlechter als erhofft. Auch Chinas Elektroautoboom ist hinterfragenswert, so die NZZ.

Um in die Debatte über den Automotor der Zukunft einzusteigen, lohnt ein Blick nach Guangzhou im Süden Chinas. Der Ort im Delta des Perlflusses ist nicht irgendein kleines Dorf. Er liegt nahe bei Hongkong, wird auch Fabrik der Welt genannt und gibt rund 12 Millionen Einwohnern Raum. In den globalen Fokus geriet Guangzhou vor Monatsfrist, weil die Regierung Einfluss auf den Autobau nahm. Nicht nur wurde die jährliche Gesamtzahl der Neuwagen per Dekret um zwei Drittel gesenkt. Was allein schon überrascht, denn in China kommen zurzeit auf 1000 Einwohner nur 50 Autos, in Europa sind es 500. Künftig müssen in Guangzhou auch zehn Prozent der maximal 120 000 pro Jahr neu ausgestellten Schilder auf Autos mit Alternativantrieb prangen - auf Elektro- und Hybridfahrzeugen. Es muss an einer Verlosung teilnehmen, wer ein solches Fahrzeug will, dafür winkt den Siegreichen eine Subvention von 1500 Franken. Der wohl provokanteste Passus aber besagt, dass eine Firma oder Privatperson das alte Auto nur durch ein neues ersetzen darf, wenn dieses nicht mehr Hubraum hat.

Kehrseiten des Elektrobooms

Das neue Gesetz macht Guangzhou nach Schanghai, Peking und Guiyang zur vierten Metropole des chinesischen Festlands, die den Autokauf einschränkt. Weitere Städte sollen folgen, Experten rechnen damit, dass in China bis zur Jahrhundertmitte die Hälfte der Autos mit Strom fährt.

Sind die chinesischen Behörden also ökologisch weitsichtige Musterknaben, von denen der Westen nur lernen kann? Prima vista durchaus. Doch hinter der hehren Haltung steckt auch eine gehörige Dosis politisches Kalkül, die Regelung ist ein Wolf im Ökopelz. Denn die Energielandschaft im Reich der Mitte ist von Atom- und Kohlekraftwerken geprägt. Sie sind Teil des politischen Programms, vom Ölimport unabhängig zu werden. Da passen Förderprogramme für E-Autos bestens ins Konzept. Es gilt global Muskeln zu zeigen und zu belegen, dass man über autarke Energiereserven verfügt, um Milliarden von Autos elektrisch zu bewegen. Sauber aber sieht anders aus.

Geänderte Rahmenbedingungen

Das Beispiel zeigt, dass bei jeder politisch motivierten Kanalisierung des motorisierten Verkehrs genau hingeschaut werden muss. Als einzig gesichert in der erhitzten Debatte um den Antrieb der Zukunft erscheint zurzeit nur, dass die fossilen Brennstoffe endlich sind und die Entwicklung neuer Antriebsformen deshalb zentral für die Erhaltung der motorisierten Mobilität ist. Wann indes die Ölquellen versiegen und welche Antriebsform sich breit durchsetzt, weiss zurzeit niemand. Noch ist etwa ungeklärt, wie sich ein Massenmarkt für Elektromobilität mit dem globalen Trend zum Rückbau der Atomkraft vertragen soll. Bereits blockiert ist auch der Durchbruch der Biotreibstoffe - mit ethischem Blick auf die Hungerländer völlig zu Recht.

Das Gebot der Stunde lautet daher, vorerst die lange Technologiegeschichte des Benzin- und Dieselmotors innovativ weiterzuschreiben. Dass hier die Zitrone aus ökologischer Sicht noch lange nicht ausgepresst ist, zeigt die frappante Effizienzsteigerung bei diesen Aggregaten. So ganz jedenfalls wird man den Verdacht nicht los, dass die Autobauer nur unter Druck auf Touren kommen. Auch die neue CO2-Verordnung mit den verschärften Importbestimmungen beginnt schon zu greifen: Generalimporteure und Autobauer steuern die Autokäufer indirekt durch die Beschränkung bei den Emissionen - das ist der richtige Weg, die Zeit bis zum Ende des Verbrennungsmotors ökologisch korrekt und marktkonform auszufüllen.

* Aus Neue Zürcher Zeitung, 28 August 2012

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