Der Zar und der Sport

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In einer Autokratie wie Russland ist Sport nie einfach nur Sport. Dass sich Wladimir Putin den Sport zunutze macht, ist bekannt.

Kurz vor der WM läuft in Russland ein Verhaftungswelle. 21 Nawalny-Mitarbeiter sind in der vergangenen Wochen zu Administrativhaft verurteilt worden.

Der englische Stürmer Wayne Rooney balanciert den Ball auf seiner Fußspitze. Dann kommt Ronaldo. Später Diego Maradona und auch Miroslav Klose. Am Ende kickt auch Wladimir Putin das runde Leder seinem Gegenüber, dem FIFA-Chef Gianni Infantino, zu. Beide tragen Anzug und Krawatte, die goldene Stuckatur der Kremlräume blitzt im Hintergrund.

Eigentlich gilt der russische Präsident Wladimir Putin nicht als besonders großer Fußballfan, aber das Video, das 100 Tage vor dem WM-Beginn in den sozialen Medien geteilt wurde, zeigt: Putin lässt keine Gelegenheit aus, um sich als sportlicher Staatenlenker zu inszenieren. Ob auf der Judo-Matte, beim Angeln oder auf dem Eishockey-Feld: Putin gibt gerne den körperlich durchtrainierten Präsidenten. Umso mehr, als er nach den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi nun mit der Fußball-WM, die vom 14. Juni bis zum 15. Juli stattfinden wird, bereits das zweite sportliche Großereignis in das größte Land der Welt geholt hat. Sport ist in Russland Chefsache.

Ein neues Russland

Als Moskau 2010 den Zuschlag für die Austragung der Fußball-WM 2018 bekam, war Russland noch ein anderes Land. Nach einer langen Phase des Wirtschaftsbooms und der Normalisierung der Beziehungen zum Westen nach dem Kalten Krieg hätte die WM den Höhepunkt des neuen russischen Selbstbewusstseins auf der Weltbühne markieren können. Doch inzwischen ist der Ruf Russlands schwer ramponiert. Schwere Verletzungen der Menschenrechte, die Niederschlagung der Anti-Regierungs-Proteste 2011/12, die Annexion der Krim, die Kriege im Donbass und in Syrien, die Diskussionen um russische Einmischungen in den US-Wahlkampf, die Staatsdopingaffäre und schließlich der Giftgasanschlag auf den russischen Doppelagenten Sergej Skripal in Großbritannien. "Die WM wird jetzt nur noch dazu dienen, um den Russen selbst zu zeigen, "Schaut her, wie großartig wir sind", so der Fußballredakteur Manuel Veth zur Financial Times.

Es ist die Gretchenfrage des Sports, die unweigerlich bei jedem medialen Großereignis in einer Autokratie diskutiert wird: Nun sag, wie hast du's mit der Politik? In einer Autokratie wie Russland ist Sport nie einfach nur Sport. Dass sich Präsident Wladimir Putin den Sport sehr wohl selbst zunutze macht, ist bekannt. Im neuen Moskauer Luschniki-Stadion, wo am 14. Juni mit dem Spiel zwischen dem Gastgeber Russland und Saudi-Arabien die Fußball-WM angepfiffen wird, rührte zuletzt Putin wenige Tage vor seiner Wiederwahl zum Präsidenten im März die Werbetrommel. Auf der Bühne ließ er sich nicht nur von Popsängern und Filmstars beklatschen, sondern sang auch gemeinsam mit den russischen Olympioniken von Pyeongchang die russische Nationalhymne. "Wir sind ein Team, stimmt's?", rief er damals den Zusehern wie ein Trainer zu.

Seit der Krim-Annexion und zuletzt im Zuge der Skripal-Affäre sind zuletzt aber auch immer wieder Stimmen laut geworden, die Fußball-WM in Russland zu boykottieren. Das ging sogar so weit, dass der britische Außenminister Boris Johnson den Besuch der Fußball-WM mit dem Besuch der Olympischen Spiele 1936 unter Hitler verglichen hat. "Der Giftgasanschlag in Salisbury ist nur das neueste Kapitel von Wladimir Putins Verhöhnung unserer europäischen Werte", heißt es in einem offenen Brief von 60 EU-Parlamentariern. Sie fordern dazu auf, die WM zumindest diplomatisch zu boykottieren, wie es zuletzt britische und isländische Politiker angekündigt hatten.

Verhaftungswelle

Leonid Wolkow ist jemand, der sich mit Boykotten auskennt. Der 37-jährige gebürtige Jekaterinburger sitzt in der Lobby eines Hotels in der Wiener Innenstadt, er ist zu einem Vortrag über die russische Opposition nach Österreich gereist. Wolkow ist ein gefragter Mann: Seit Jahren ist er als sein Wahlkampfleiter so etwas wie die rechte Hand des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Nachdem Nawalny bei den Präsidentschaftswahlen im März 2018 nicht zu den Wahlen zugelassen wurde, haben die "Nawalniki" zu einem Boykott der Wahlen aufgerufen. Als Wahlkampfleiter hat Wolkow den Boykott organisiert. Während des Gesprächs wird er immer wieder gebannt auf sein Handy blicken, denn dieser Tage tobt wieder eine Verhaftungswelle. 21 Nawalny-Mitarbeiter sind in den vergangenen Wochen zur sogenannten Administrativhaft verurteilt worden. Auch Wolkow selbst war zuletzt mehrere Tage inhaftiert, auch am Wahltag selbst.

Doch einem Boykott der WM oder anderen politischen Aktionen während des Fußballturniers kann er nicht besonders viel abgewinnen. "Ob jetzt die ganze Welt auf Russland schaut oder nicht, interessiert uns eigentlich nicht", sagt er. "Es gibt nur eines, was uns wirklich interessiert: das ist der russische Wähler." Ob es während des Turniers zu Anti-Regierungs-Protesten kommen wird wie im Vorjahr, als Nawalny in 80 Städten zu Protesten aufgerufen hat, hält er offen. "Wir denken gerade darüber nach, welche Form einer politischen Aktion angemessen wäre", sagt er. "Zugleich wollen wir den Fans aber auch nicht die WM kaputt machen und ihnen ihre Stimmung verderben."

Die Fußball-WM als Freudenfest, das selbst unter Russen große Zustimmung genießt: es ist ein Thema, mit dem sich die russische Opposition, die ohnehin einen schweren Stand bei vielen Russen hat, sichtlich nicht die Finger verbrennen will. Von einer Fußball-Euphorie wie in Brasilien oder Deutschland ist Russland zwar entfernt, - Eishockey ist der beliebteste Sport in Russland - aber laut Umfragen gibt zumindest jeder zweite Russe an, die WM-Spiele aktiv verfolgen zu wollen. "Die meisten Russen freuen sich auf die WM und werden es genießen, im internationalen Scheinwerferlicht zu stehen", sagt auch Witalij Schkliarow, der zuletzt die Fernsehmoderatorin Ksenia Sobtschak in ihrem Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen beraten hat. "Da kann ich mir schwer vorstellen, dass die Leute besonders große Lust auf politische Großkundgebungen der Opposition haben werden", sagt er.

Risikoloses Spielfeld

Ganz anders ist die Situation freilich im Nachbarland, der Ukraine, mit dem sich Russland seit 2014 de facto in einem Kriegszustand befindet, ohne sich selbst direkt zum Konflikt in der Ostukraine zu bekennen. So versuchen ukrainische Aktivisten, die Aufmerksamkeit vor der WM auf den seit 2014 inhaftierten ukrainischen Regisseur Oleg Senzow zu lenken. Seit 14. Mai ist Senzow, der in einem Straflager im hohen Norden Russlands seine 20-jährige Haftstrafe wegen "Terrorismus" absitzt, im Hungerstreik.

Dennoch ist der Sport ein populäres und zudem recht risikoloses Betätigungsfeld für Putin geworden. Als "Ersatzspielfeld der Politik" beschreibt es der deutsche Politologe Timm Beichelt in seinem Buch "Zum Verhältnis von Fußball und Macht". In Russland sei das Wechselspiel zwischen Sport und Politik "gekennzeichnet durch die Symbiose von politischer und ökonomischer Macht, informelle Prozeduren und Loyalität als zentraler Herrschaftsressource". Zudem sind es vor allem die kremlnahen Geschäftsmänner, die beim Ausbau der Infrastruktur und der Stadien für die Fußball-WM zum Zug gekommen sind. Mit rund 11 Milliarden US-Dollar liegen die Kosten für die Fußball-WM weit unter den geschätzten Kosten von 51 Milliarden US-Dollar in Sotschi. "Aus Sicht autokratischer Herrscher stellen sie (die Großereignisse, Anm.) eine gute Gelegenheit dar, staatliche Gelder zu privatisieren", so Beichelt.

Politisch und wirtschaftlich von der Fußball-WM zu profitieren, aber zugleich rhetorisch ständig das "Fairplay" und das "Apolitische" des Sports zu bemühen: Sportliche Großereignisse sind in Russland längst zu einer Machtressource für den Kreml geworden.

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