Schillfrohr - © Foto: iStockfoto

Blaise Pascal: Der zerbrechliche Mensch

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Er war ein bedeutender Mathematiker, aber im Laufe seines Lebens wurden ihm philosophische und theologische Fragen immer wichtiger. Schließlich wandte er sich völlig von den Naturwissenschaften ab, um seine Existenz ganz an Gott auszurichten. Mit seiner Gedankensammlung "Pensées“ wirkt er bis heute fort. Zum 350. Todestag von Blaise Pascal.

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Er war ein bedeutender Mathematiker, aber im Laufe seines Lebens wurden ihm philosophische und theologische Fragen immer wichtiger. Schließlich wandte er sich völlig von den Naturwissenschaften ab, um seine Existenz ganz an Gott auszurichten. Mit seiner Gedankensammlung "Pensées“ wirkt er bis heute fort. Zum 350. Todestag von Blaise Pascal.

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"Blaise Pascal, Mathematiker, Skeptiker und leidenschaftlicher Christ schildert die Größe und das Elend der Menschen. Es gibt keine modernere Sprache als die seine: Der Mensch weiß nicht, wer ihn in die Welt setzte, noch was er ist, noch was die Welt ist.“ Diese Charakterisierung des katholischen Schriftstellers Reinhold Schneider skizziert in anschaulicher Weise die Persönlichkeit von Blaise Pascal. Er vereinte in einer Person den christlichen Mystiker, den Visionär der modernen Naturwissenschaften, den Kritiker einer seiner Einschätzung nach oberflächlichen Philosophie und den tiefgründigen Analytiker der menschlichen Existenz. Für Pascal gab es kein sicheres Fundament der menschlichen Existenz. Deshalb entwarf er eine Anthropologie der Fragilität und verglich den Menschen mit einem "denkenden Schilfrohr“.

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Aber nicht nur die Fragilität der menschlichen Existenz beunruhigte Pascal; ihn quälte auch die Position des Menschen angesichts der unendlichen Räume des Weltalls, die er so formulierte: "Denn was ist der Mensch in der Welt? Ein Nichts vor dem Unendlichen, ein All gegenüber dem Nichts, eine Mitte zwischen Nichts und All.“

Hochbegabtes, kränkliches Kind

Geboren wurde Blaise Pascal am 19. Juni 1623 in Clermont-Ferrand (Auvergne). Sein Vater übte das Amt des Präsidenten des Steuergerichtshofs aus; gleichzeitig interessierte er sich sehr für Naturwissenschaften und unterrichtete, gemeinsam mit Hauslehrern, das hochbegabte, stets kränkliche Kind. 1631 übersiedelte die Familie nach Paris, wo Pascal mit dem Studium der Mathematik begann. Bereits als Zwölfjähriger rekonstruierte er selbstständig die Axiome des griechischen Mathematikers Euklid. Mit 16 Jahren verfasste er eine Arbeit über die Theorie der Kegelschnitte, und mit 19 entwarf er eine Rechenmaschine, um seinem Vater bei den komplizierten Berechnungen der Steuern zu helfen.

In diesen Jahren kam er auch in Kontakt mit Vertretern des Jansenismus. Es war dies eine fundamentalistische Strömung des Katholizismus, die von dem Bischof Cornelius Jansenius von Ypern (1585-1638) begründet wurde. Er lehrte, dass der sündige Mensch keinen eigenen Einfluss auf seine Erlösung habe, sondern dem göttlichen Gnadenwillen völlig ausgeliefert sei. Dadurch entstand ein Konflikt mit den Jesuiten, die davon ausgingen, dass der Mensch trotz der Erbsünde die Möglichkeit habe, selbst etwas zu tun, um der Gnade Gottes teilhaftig zu werden. Pascal entschied sich für die jansenistische Interpretation und deren Forderungen, die eine Abkehr von der Welt und ein asketisches Leben beinhalteten. Von dieser rigorosen Form der Frömmigkeit fühlte er sich dermaßen angezogen, dass er seine Existenz nach streng jansenistischen Maximen ausrichtete; er wolle nunmehr, so schrieb er, "einzig für Gott leben und kein anderes Ziel haben als ihn“.

Aus Angst, sich die eigene Leere und Sinn­losigkeit einzugestehen, suche der Mensch die Zer­streuung in Form von Vergnügungen, die ihn von den wirklich wichtigen Fragen abhalten sollen.

Seine Parteinahme für die Jansenisten fand ihren Niederschlag in den elegant formulierten "Lettres provinciales“, in denen er sich ironisch und teilweise aggressiv mit den Positionen der Jesuiten befasste. Im Gegensatz zu den Jesuiten, die eine "andauernde Gnade“ propagierten, die alle Menschen erlangen können, gab es für die Jansenisten nur eine "augenblickliche Gnade“, die Gott dem Menschen nur für eine einzelne Handlung gewährt. Den Höhepunkt des religiösen Strebens Pascals markiert ein religiöses Erleuchtungserlebnis im Jahr 1654, das er als eine Art von Ekstase erfuhr. Auf einem Blatt Papier, dem sogenannten "Mémorial“, schilderte er dieses Erlebnis:

"Vollkommene, innige Entsagung“

"Seit ungefähr abends zehneinhalb bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht / FEUER / Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jacobs - nicht der Philosophen und Gelehrten / Gewissheit, Gewissheit, Empfinden, Freude, Friede / Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich / Freude, Freude, Freude und Tränen der Freude / Vollkommene, innige Entsagung.“

Blaise Pascal  - © Foto: K.K.

"Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich / Freude, Freude, Freude und Tränen der Freude / Vollkommene, innige Entsagung", schrieb Blaise Pascal in seinem "Mémorial".

"Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich / Freude, Freude, Freude und Tränen der Freude / Vollkommene, innige Entsagung", schrieb Blaise Pascal in seinem "Mémorial".

Der französische Intellektuelle Jacques Attali, der eine umfangreiche, detailverliebte Biografie Pascals im Verlag Klett-Cotta vorgelegt hat, vergleicht dieses ekstatische Erleuchtungserlebnis mit den Visionen großer Mystiker. Pascal war mit 31 Jahren - so Attali - "auf die andere Seite der Welt hinübergetreten“. Das bedeutete für Pascal die Selbstaufgabe und die absolute Hinwendung zu Gott. Damit verbunden war eine völlige Isolation, weil er die singuläre Erfahrung der Gnade mit keinem anderen Menschen teilen konnte. Die tiefe Erschütterung, die das Erleuchtungserlebnis auslöste, bewog Pascal dazu, sich aus der Pariser Gesellschaft zurückzuziehen, um völlig seine Frömmigkeit zu leben. Er wandte sich auch von den Naturwissenschaften, speziell der Mathematik ab. Sie könnten niemals nachvollziehen, so seine Kritik, welche Intensitäten der Mensch durch die uneingeschränkte Hingabe an Gott erlebe. Das Bewusstsein, direkt mit der göttlichen Gnade in Berührung gekommen zu sein, führte Pascal dazu, ein wenig schmeichelhaftes Menschenbild zu entwerfen: Der Mensch wird als ein Ungeheuer, ein Chaos, ein Widerspruch, als Kloake und als Auswurf des Universums bezeichnet. Der französische Philosoph Voltaire kommentierte diese negative Sichtweise folgendermaßen: "Es scheint, dass Pascal den Menschen an einem hässlichen Tag zeigt. Er schildert den Menschen als bösartig und unglücklich.“

Die Grundüberzeugung einer "negativen Anthropologie“ findet sich auch in Pascals "Pensées“ - den "Gedanken“, die als sein philosophisches Hauptwerk gelten. Das Werk erschien 1669, sieben Jahre nach seinem Tod. Es handelt sich dabei nicht um ein ausgearbeitetes Manuskript, sondern um eine große Anzahl von Gedanken, die Pascal auf zahllosen Merkzetteln notierte. In den "Pensées“ wollte Pascal zeigen, dass die Lage des Menschen hoffnungslos, dieser ein Zerrissener sei. Aus Angst, sich die eigene Leere und Sinnlosigkeit einzugestehen, suche der Mensch die Zerstreuung in Form von Vergnügungen, die ihn von der Konfrontation mit den wirklich wichtigen Fragen abhalten sollen. Letztlich stehe dahinter die Angst vor dem Alleinsein. "Alles Unglück in der Welt kommt daher, dass man nicht versteht, ruhig in einem Zimmer zu sein“, schrieb Pascal.

Die Wette auf die Existenz Gottes

Für ungläubige Menschen hatte Pascal ein Angebot parat: die berühmte Wette. Im fiktiven Gespräch mit einem Skeptiker stellte er die Frage: Wenn ich die Existenz Gottes nicht beweisen kann, warum soll ich mich dann dazu entscheiden, an ihn zu glauben? Pascal kam zu dem Ergebnis, dass es vernünftiger sei, auf die Existenz Gottes als auf seine Nicht-Existenz zu setzen. Denn es gebe keine zu erwartenden Nachteile durch die Annahme Gottes, aber einen unendlichen Gewinn für den Fall, dass Gott existiert.

1662 verschlechterte sich Pascals körperliches Befinden dramatisch. Er zog sich zurück und verbrachte die letzten Wochen seines Lebens in völliger Hingabe an Gott. Er verstarb am 19. August 1662 im Alter von 39 Jahren, vermutlich an Hirnblutungen. "Möge Gott mich nie verlassen!“, waren seine letzten Worte.

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