Des Kaiser Flotte wurde zur Touristenattraktion

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Vor 80 Jahren versenkte sich die deutsche Kriegsflotte im britischen Hafen Scapa Flow.

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Vor 80 Jahren versenkte sich die deutsche Kriegsflotte im britischen Hafen Scapa Flow.

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Es war der längste Tag des Sommers (und im Norden sind die Sommertage sehr lang), als vor 80 Jahren das Schiff "Flying Krestel" mit 300 Schulkindern aus Stromness in die Bucht von Scapa Flow fuhr, dem traditionellen britischen Flottenstützpunkt. Man hatte ihnen einen Ausflug zur britischen und zur deutschen Flotte versprochen. Denn die 74 Schiffe der deutschen Hochseeflotte waren nach den Bestimmungen des Waffenstillstandes im November 1918 an die Briten ausgeliefert worden und warteten nun schon über ein halbes Jahr, was mit ihnen geschehen sollte. An diesem 21. Juni 1919 war die Royal Navy aber zu einer Übung ausgelaufen. Macht nichts, sagten die Lehrer, sehen wir uns eben die Deutschen an. Dann geschah Unerwartetes: "Ich sah ein Lichtsignal vom Admiralsschiff, dann wurden auf allen Schiffen die Flaggen gehißt. Mit wehenden Flaggen sanken sie alle." Die kleineren Kinder meinten, das sei Teil der Veranstaltung, die man ihnen versprochen hatte. Und irgendwie sollten sie später wirklich den Nutzen davon haben.

Der Befehl galt noch Konteradmiral Ludwig von Reuter, dem das Kommando über den letzten Weg der stolzen kaiserlichen Flotte übertragen worden war, hatte bewußt den Tag zu seiner lange vorbereiteten Aktion gewählt, als die britische Flotte sich entfernt hatte. Der Kaiser hatte zwar längst abgedankt und war ins Exil gegangen. Doch für Reuter galt noch der Befehl, kein Kriegsschiff dürfe dem Feind in die Hände fallen.

Ein Augenzeuge des monatelangen Wartens beobachtete mitleidig die deutschen Matrosen, die sich mit Angeln ihre kargen Rationen aufzubessern versuchten: "Die Deutschen, nicht auf das harte Klima vorbereitet, trugen dazu noch die Last der Niederlage, das Bewußtsein, daß ihr Heimatland in politischem Chaos und am Verhungern war. Die Briten taten nichts, um ihr Los zu erleichtern." Weihnachten hatten die Bewohner der Orkney-Inseln besonders viel Mitleid mit den Matrosen, die Fleischrationen von elender Qualität bekamen. "Ich wußte, sie waren unsere Feinde gewesen, aber sie waren gottesfürchtige Seeleute ..."

Admiral Reuter bekam nur spärliche Informationen aus englischen Zeitungen. Post aus der Heimat brauchte über die Zensur in London bis zu fünf Wochen. Den Matrosen war jeder Kontakt mit der Außenwelt, sogar die Kommunikation von Schiff zu Schiff verboten. Das erschwerte die Vorbereitung der Aktion ungemein, hatte aber den Vorteil, daß auch die Konspiration der revolutionären Matrosenräte kaum möglich war. Reuter durfte einen großen Teil der Besatzungen nach Hause schicken. Er hatte es so eingerichtet, daß jene Matrosen entfernt wurden, die unter dem Einfluß der kommunistischen Agitation standen. Auf den Rest konnte er sich verlassen. Am 17. Juni war er endlich die letzten unzuverlässigen Leute losgeworden. Die Schiffskommandanten waren auf ein gemeinsames Signal zum Fluten vergattert. Die Aktion am 21. Juni verlief planmäßig.

"Sie gingen in voller Uniform unter", wunderten sich die Zeugen. "Sie retteten sich auf Booten, auf Flößen oder versuchten schwimmend eine der Inseln zu erreichen. Ich weiß nicht, ob irgend jemand, der das sah, es jemals vergessen kann." Die Britische Admiralität war wütend und befahl, die Schiffe dort zu lassen, wo sie lagen: "Where they are sunk, they will rest and rust." Aber einige Jahre später fanden findige Geschäftsleute, daß man mit dem vielen Eisen, Stahl und Messing doch etwas anfangen könnte. Tatsächlich gelang es unter ungeheuren Anstrengungen, Gefahren und mit viel Erfindungsgeist, nach und nach 26 Zerstörer, dann auch einen leichten Kreuzer und schließlich sechs größere Schiffe zu heben.

Hafen versperrt 1933 sank der Schrottpreis, die Arbeit wurde unrentabel. Aber vielleicht wären noch mehr Schiffe gehoben worden, wäre nicht der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Die größten und in größter Tiefe liegenden Schlachtschiffe "König", "Markgraf" und "Kronprinz Wilhelm" und etliche leichte Kreuzer blieben auf dem Meeresgrund, versperrten zum Teil auch die Zufahrten nach Scapa Flow, dem immer noch sichersten Kriegshafen in einem Kranz von Inseln. Bis zum Herbst 1939, als sich ein deutsches U-Boot näherte. Kapitänleutnant Günter Prien dürfte als Schüler schon die Gegend besucht haben. Er fand eine Zufahrt, versenkte ein britisches Schlachtschiff und konnte sich unbemerkt wieder entfernen. Das war damals eine Sensation. Nicht nur in Deutschland, wo Prien als Held gefeiert und herumgereicht wurde. Auch der Erste Lord der Admiralität, Winston Churchill, drückte vor dem Unterhaus seinen Respekt für das seemännische Können des Gegners aus.

Beide Heldentaten, die von 1919 und die von 1939, sind in Deutschland so gut wie vergessen. Nicht so auf den Orkney-Inseln. In den kleinen Buchhandlungen von Kirkwall oder Stromness findet man reihenweise Bücher zu diesen Ereignissen, die die ferne Inselgruppe so bekannt gemacht haben. Die Bewohner, die den 21. Juni 1919 als Schulkinder erlebt hatten, konnten sich an den Folgen für ihre Heimat freuen: Die gesunkenen Schiffe wurden zum Reiseziel für Hobby-Taucher aus aller Welt.

Tauch-Tourismus 1980 begann der erste kleine "Taucher-Dienst" seine Tätigkeit an dem "einzigen Platz auf der Welt, wo man nach Kriegsschiffen tauchen kann". Die größte Herausforderung ist die "Markgraf" - wegen ihrer Größe und der Tiefe. Wenn auch die meisten Schiffe schon ausgeräumt sind (Fundsachen wie Geschirr aus der Offiziersmesse, Toilette-Artikel, Schilder und so weiter findet man im Museum von Stromness), so kann der Taucher doch immer noch Glück haben und ein Souvenir zutage fördern.

Aber die Wracks wurden auch von der Natur entdeckt, von Pflanzen durchwachsen, von Muscheln und allerlei Getier bewohnt. Bunte Fische schwimmen durch die Kajüten. Auch davon gibt es schöne Bildbände in den Buchhandlungen. Nimmt man noch die "Churchill Barriers" dazu, die nach Günter Priens Eindringen überwiegend von italienischen Kriegsgefangenen gebaut wurden, um einen weiteren Zugang zwischen den Inseln abzusperren, so leuchtet ein, daß die Inseln, wo seit den Zeiten der Wikinger wenig geschehen ist, sich solche Attraktionen wirtschaftsfördernd zunutze machten. Und daß sie dem zweimaligen Kriegsgegner nicht mehr böse sind.

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