Des Kaisers Spione

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Der k.u.k. Geheimdienst hieß Evidenzbüro und übergab 1918 seine Goldstücke der Republik.

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Der k.u.k. Geheimdienst hieß Evidenzbüro und übergab 1918 seine Goldstücke der Republik.

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Was für die Familiengemeinschaft der Seitensprung, ist für die Staatengemeinschaft die Spionage - offiziell verpönt, "man spricht nicht davon", aber jeder weiß, daß beide täglich geschehen. In früheren Zeiten endete der ertappte Seitenspringer im Duell, der enttarnte Spion am Galgen, in späteren Zeiten stand eine vor dem Scheidungsrichter, der andere saß im Austausch gegen einen Kollegen von der anderen Seite im Flugzeug. Heute sind eher die Klatschspalten für Angehörige beider Kategorien zuständig.

Genug der Vergleiche, beschränken wir uns auf den militärisch-politischen Bereich der Spionage und Sabotage, den Albert Pethö für die Österreichisch-Ungarische Monarchie in ihrer letzten Phase detailliert schildert und mit den Fotos der wichtigsten Akteure illustriert - ein Bericht, der zeigt, daß sich auch 80 Jahre später wenig verändert hat. Das Aha-Erlebnis des Lesers ist vorprogrammiert: "Alles schon dagewesen!"

Spionage, Erkundung unbekannten, vielleicht feindlichen Territoriums und seiner Besitzer, hat es wohl immer gegeben. Pethö beginnt bei den Israeliten, als Moses seine Kundschafter ausschickte, das Land Kanaan und sein Volk zu erkunden, "ob es stark ist oder schwach". Babylonier und Assyrer hatten bereits Geheimdienste, Alexander der Große soll die Zensur eingeführt haben, Julius Cäsar Chiffrierverfahren und Propaganda. Mit dem Schmuggel von Seidenraupen durch Mönche von China nach Byzanz begann die Geschichte der Wirtschaftsspionage. Und gerade die Habsburger verstanden es, Spione, Kundschafter, Agenten für den Aufbau ihres Imperiums einzusetzen und gleichzeitig im Inneren ihres Reiches durch ein enges Polizeinetz widerspenstige Kräfte zu überwachen und auszuschalten.

Pethö setzt den Start des institutionalisierten österreichischen Spionageapparates mit 1758 an, als Feldmarschall Daun seinem Generalquartiermeisterstab auch die Aufgabe stellte, "gute, vertraute Spione" zu bestellen und "den Verkehr mit feindlichen Spionen, Überläufern und Kriegsgefangenen" zu sichern. Seit 1850 wurde dann das k.k. (seit 1867: k.u.k.) Evidenzbureau zur Schaltstelle des "Offensiven" wie des "Defensiven Kundschaftsdienstes" - eine Dienststelle des Militärapparates, die immer wieder mit Geldnöten zu kämpfen hatte. Dem Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf unterstellt, lag das Evidenzbureau gerade in den Jahren vor 1914 ständig im Clinch mit dem Außenministerium, das andere Ziele der Balkanpolitik verfolgte als das Militär. Andererseits waren die Militärattaches im Ausland ebenso wie die in fremde Armeen entsandten Ausbildungsoffiziere wertvolle Zuträger vertraulicher Nachrichten.

Der einzige Fall von Verrat in den Kreisen des Evidenzbureaus, der bekannt wurde, war der des Generalstabs-Obersten Alfred Redl, der etwa seit 1907 in großem Umfang militärische Dokumente den Russen verkaufte, darunter die Aufmarschpläne für einen möglichen Feldzug gegen Rußland. Pethö bezweifelt übrigens, daß es Egon Erwin Kisch war, der den Fall entdeckt und an die Öffentlichkeit gebracht hat. Jedenfalls tobte der Thronfolger Franz Ferdinand gegen Generalstabschef Conrad und das Evidenzbureau.

Gerade in den Zeiten der Dauerkrise auf dem Balkan seit der Annexion Bosniens durch Österreich-Ungarn war die Beschaffung von geheimen Nachrichten auf allen Seiten besonders wichtig. Damit stieg die Bedeutung der Militär-Attaches in den Balkanstaaten, durchwegs Stabsoffiziere mit fundierten Fremdsprachenkenntnissen. Neben ihnen aber sorgte ein halbes Dutzend Konsularbeamte, die vorher ebenfalls Offiziere oder Militärbeamte gewesen waren, an den Konsulaten in kleineren Orten für Nachrichtennachschub.

Am Balkan arbeiteten die österreichischen Kundschafter gern mit Brieftauben. Offiziere machten ausgedehnte Rekognoszierungsfahrten durch Montenegro und das noch türkische Albanien. Die Serben jedoch wußten, wie sie sich zu wehren hatten, verhafteten Kundschafter und Überbringer von Brieftauben und forderten schließlich die Abberufung des Militärattaches in Belgrad, Major Gabriel Tancsos. Trotzdem aber konnte das Evidenzbureau bis zum Ausbruch des Balkankriegs die genaue Stärke und Gliederung der serbischen Truppen wie alle wissenswerten Daten über das serbische Eisenbahnnetz feststellen.

"Das Wettrüsten der Großmächte ... die Jagd nach geheimen Aufmarschplänen und Mobilmachungsdaten - Europa schien zu einem Dschungel intrigierender Geheimdienste geworden zu sein," erinnerte sich später Oberst Maximilian Ronge, der letzte Chef des Evidenzbureaus, "zu einem Tummelplatz von Spionen, Kurieren, Zuträgern und Anwerberinnen." Kaum noch ein Luxushotel, in dem nicht die Agenten der Militärmächte den kalten Krieg führten, schreibt Pethö. Eine boomende Spionage-Industrie war entstanden, die angereichert wurde durch Abenteurer, Halbweltdamen, geschaßte Offiziere, Bankrotteure, Geschäftemacher, Hochstapler und Verrückte. "Komplette Gangsterbanden spezialisierten sich auf militärisch-politische Spionage," dazu kamen Patrioten und Fanatiker: "Der ganze Kontinent sah immer mehr wie die Bühne einer Komischen Oper aus, auf der sich hunderte geheimer Agenten tummelten." (Ronge) Der Ausbruch des Balkankrieges ließ die Frage nach dem Schicksal Albaniens virulent werden. Serbien strebte nach dem Adriahafen Durazzo (Durres), Montenegro besetzte Skutari (Shkoder). Rußland wollte den Norden des Landes Serbien und Montenegro zuschieben, Italien schielte nach der adriatischen Gegenküste und wollte die Griechen nicht nach Valona (Vlore) lassen. Diese hatten sich bald im Süden festgesetzt - und Österreich-Ungarn wollte verhindern, daß seine Interessen auf dem Balkan zu kurz kämen. Die Albaner selbst fürchteten, zwischen allen zerrieben zu werden.

Hier kam das Evidenzbureau voll zum Einsatz. Schon 14 Tage vor dem Ausbruch des Kriegs berichtete Conrad an den Außenminister Graf Berchtold auf Grund der Meldungen der Kundschafter, daß die Serben 50.000 Mann gegen Albanien bereitgestellt hätten, daß ihre Ziele Tirana, Elbasan und Durazzo seien und daß den Kommandanten "rücksichtsloses und energisches Vorgehen, das Niederbrennen moslemischer Dörfer" befohlen worden sei - damals wie heute ...

Wieder rekognoszierten Offiziere das Land, sicherten sich Kontakte zu den einheimischen Stammesführern, "schmierten" die örtlichen Potentaten. Conrad selbst beauftragte das Evidenzbureau, 50.000 Gewehre für österreichfreundliche albanische Stämme zu besorgen. Als dann 1915 im Zug des zweiten Angriffs gegen Serbien Nord- und Mittelalbanien von österreichischen Truppen besetzt wurde, konnte die k.u.k. Zivilverwaltung auf den Erkundungen des Evidenzbureaus aufbauen.

In der Technik der "Desinformation" waren die Gegner den Österreichern schon vor dem Krieg überlegen. Gefälschte Dokumente wurden österreichischen Diplomaten und Agenten zugespielt. Darin wurde die Zusammenarbeit der Regierung in Belgrad mit kroatischen und serbischen Intellektuellen aus der Monarchie behauptet. Es kam zur Anklage, im Prozeß wurden die Papiere als Fälschungen enttarnt, die Wiener Regierung war blamiert. Die Arbeit mit Spielmaterial blieb bis in unsere Tage - siehe das "Waldheim-Dokument", auf das der "Spiegel" hereinfiel - ein beliebtes Mittel, Unruhe zu stiften.

Der Krieg und die Notwendigkeit, die Bemühungen der Gegner abzuwehren, führte zur Entwicklung neuer Methoden: Funk-und Telephonverkehr wurden abgehört, verschlüsselte Nachrichten dechiffriert. An der "Heimatfront" nahm die Suche nach Deserteuren und "staatsfeindlichen Elementen" immer mehr zu.

Der Zusammenbruch der Monarchie 1918 beendete auch die Tätigkeit des Evidenzbureaus. Einzelne seiner Mitarbeiter konnten in den Nachfolgestaaten weiterarbeiten, andere kamen im republikanischen Polizeiapparat unter. Einer seiner engsten Kontaktleute bei der Polizei, Johann Schober, stieg zum Polizeipräsidenten und Bundeskanzler auf.

Die Kasse mit Goldstücken verschiedener Währungen, mit denen bisher die Agenten bezahlt worden waren, wurde den neuen Machthabern übergeben. Das dürfte bei der Liquidierung anderer Geheimdienste später wohl kaum mehr vorgekommen sein.

Agenten für den Doppeladler. Österreich-Ungarns Geheimer Dienst im Weltkrieg Von Albert Pethö. Leopold Stocker Verlag, Graz 1999. 448 Seiten, Fotos, geb., öS 423,-/e 30,74

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