Des Mörders Verklärung

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Festwochenpremiere im Wiener Akademietheater: "Roberto Zucco" von Bernard-Marie Koltes.

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Festwochenpremiere im Wiener Akademietheater: "Roberto Zucco" von Bernard-Marie Koltes.

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Das Theater als amoralische Anstalt: Der Verbrecher Roberto Succo wird als "Roberto Zucco" in der Festwochenproduktion im Wiener Akademietheater zum mythischen Helden und Übermenschen. Der 1989 verstorbene französische Autor Bernard-Marie Koltes war von dem echten Succo, der seine Eltern und später noch sechs Menschen getötet hatte, fasziniert und erklärte in Interviews: "Alles, was er gemacht hat, ist unglaublich schön ... Succos Bahn ist von unglaublicher Reinheit. Im Gegensatz zu den potenziellen Mördern - und davon gibt es viele - hat er keine abstoßenden Motive für den Mord, der bei ihm ganz unsinnig ist."

"Natürlich ist ein Mord niemals schön", räumte Koltes zwar ein, sah aber offenbar die aus vielen "potenziellen Mördern" bestehende Gesellschaft des späten 20. Jahrhunderts weit kritischer als den mehrfachen Mörder, dessen Schicksal "eine winzige Entgleisung" eingeleitet habe.

"Dass man seine Eltern umbringt, ist normal" verkündet Zucco im Stück, ein Satz, den man mit mehr Distanz aufnähme, wäre nicht unlängst ein Elternmord verübt worden. Die Mörder sind unter uns, und da fällt es schwer, mit Koltes die "Reinheit" ihrer Karriere und ihrer Motive zu bewundern. Nach dem Finale auf den Dächern, das einer Verklärung Zuccos nahekommt, lässt Regisseur Klaus Michael Grüber quasi den Film (so wirkt das Stück häufig) zurücklaufen: an Hand der von Antonio Recalcati treffend gestalteten Bühnenbilder.

An der Spitze eines erstklassigen Ensembles schlägt und tänzelt sich August Diehl (Zucco) als zunehmend vom Irrsinn ergriffener Mörder mit großem körperlichen Einsatz durch die geradlinige Inszenierung eines weniger geradlinigen Stückes. In Szenen mit Tiefgang lassen Gertraud Jesserer (seine Mutter), Martin Schwab (der ältere Herr), Branko Samarovski und Ignaz Kirchner (Aufseher, Polizisten) ihr Können aufblitzen. Etwas dick hat Anne Bennent (die panische Nutte) aufzutragen. Mareike Sedl gibt sehr natürlich das von Zucco vergewaltigte Mädchen, mit dessen Hilfe er schließlich gefasst wird, während Lukas Miko als ihr piepsstimmiger Bruder eine aus dem Rahmen fallende Kunstfigur auf die Bühne stellt. Einen tragikomischen Höhepunkt der Vorstellung bildet Zuccos Szene mit einer abenteuerlustigen eleganten Dame (Libgart Schwarz), deren Kind er grundlos erschießt. In den Zaungästen dieser Begegnung darf sich unsere Gesellschaft erkennen.

Ein Theaterabend ohne Pause und ohne Moral, aber mit viel Beifall für die Akteure und die Inszenierung.

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