Desillusionierung einer erregenden Zeit

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"Die wilde Zeit“: Olivier Assayas erzählt authentisch und ohne Verklärung über die Nachwehen der Achtundsechziger-Ereignisse in Frankreich.

Einmal mehr bringt der Originaltitel "Après Mai“ ("Nach dem Mai“) den Film besser auf den Punkt als "Die wilde Zeit“. Obwohl auch dies nicht falsch ist: Olivier Assayas, der zuletzt 2010 mit der monströs langen Filmbiografie des Terroristen Carlos von sich hören machte, lässt die nämliche Periode filmisch wiederauferstehen - diesmal aus eigener Anschauung.

Assayas, Jahrgang 1955, hat acht Jahren das Buch "Un adolescence dans l’après-mai“ ("Jugend in der Zeit nach dem Mai“), auf dem der Film fußt, veröffentlicht. Um ein "echter“ Achtundsechziger zu sein, war der Regisseur gerade ein paar Jahre zu jung.

Eine Generation auf Entdeckungsreise

Aber in den Nachwehen der Revolte war er mit dabei. Und auch davon gibt es eine Menge zu erzählen - und zu verklären. Letzterem erliegt Assayas aber nicht, sondern er zeichnet das Porträt einer Generation auf politischer, kultureller, psychedelischer und sexueller Entdeckungsreise, die sich aber, trotz aller Erfahrungen als verlorene Generation wiederfindet. Gleichzeitig mutet diese Darstellung wie ein Gegenbild zur heutigen Jugend an, die trotz kurzzeitigem "Empört euch!“-Aufflackern so gar nicht wider die herrschenden Zustände löckt: "Die heutige Jugend lebt in einer Gegenwart ohne Gestalt. Sie existiert außerhalb der Geschichte, zyklisch und statisch. Der Gedanke, dass man etwas in der Gesellschaft bewegen, dass man ihr Wesen sogar komplett überdenken kann, ist sehr vage und gewöhnlich geworden.“ Auf diesen Punkt hat es Assayas in einem Statement gebracht - und man gibt ihm recht.

Auf derartiger Folie sind auch die Reminiszenzen in der "Wilden Zeit“ zu verstehen, ohne dass dabei auch nur der Anflug einer paternalistischen Besserwisserei zu spüren wäre.

Gilles (Clément Métayer) lebt anno 1971 in der Nähe von Paris und ist bald mit dem Gymnasium fertig. Rundherum brodelt es, der Vietnamkrieg und der Kampf gegen das immer noch verkrustete Frankreich nach de Gaulle treibt die jungen Leute auf die Straße bzw. lässt sie zu Spraydosen greifen, mit denen sie des Nachts das Schulgebäude verunstalten. Alle sind irgendwie links, aber auch zerstritten in Trotzkisten, Maoisten usw. Freie Liebe ist - und alles mögliche an Drogen, zuerst macht es Gilles mit Laure (Carole Combe), die sich aber nicht vollständig auf ihn einlassen will. So zieht es ihn zu Christine (Lola Créton), wobei die nachhaltigste Erfahrung nicht die mit Frauen ist, sondern Gilles entdeckt sein künstlerisches Talent.

Wenn die Utopien zerfließen

Eigentlich zerfließen die amourösen wie die politischen Utopien. Assayas ist der Chronist, der seinem Publikum (ob dieses nun von jener Zeit eine Ahnung hat der nicht) die Illusionen austreibt. Er macht dies allerdings so unprätentiös und mit einer Schar talentierter junger Schauspieler(innen), dass "Die wilde Zeit“ tatsächlich ein Filmdokument ist, dass aus dieser verlorenen Zeit erzählt. Ließ Assayas bei "Carlos“, über den man tatsächlich wenig weiß, vor allem seine Fantasie und Imagination spielen, so merkt man diesem Film an: Hier erzählt einer, wovon er weiß. Und das ist gut so.

Die wilde Zeit (Après Mai)

F 2012. Regie: Olivier Assayas. Mit Clément Métayer, Lola Créton, Carole Combe, Félix Armand. Polyfilm. 114 Min.

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