Deutlich mehr gewollt als erreicht

Werbung
Werbung
Werbung

Selbst die fantasievolle Inszenierung von Christine Mielitz und das engagierte Dirigat von Vladimir Fedoseyev können das Stück nicht retten: Lera Auerbachs dreiaktige Opera misteria "Gogol“ ist - ungeachtet des freundlichen Beifalls - im Theater an der Wien dramatisch gescheitert.

Man muss es Veranstaltern immer hoch anrechnen, wenn sie sich für die Unabwägbarkeiten von Neuem entscheiden. Wie zuletzt Intendant Roland Geyer im Theater an der Wien. Umso schmerzlicher, wenn die Novität nicht hält, was sich von der Papierform durchaus erwarten ließe. Nikolai Gogol war dasThema, für das sich die längst international etablierte, 1973 in der Sowjetunion geborene, seit Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten lebende Lera Auerbach entschieden hatte. Als Librettistin wie Komponistin. Nicht ein Lebensbild wollte sie bringen, sondern Assoziationen, die neben der komplexen Persönlichkeit des prominenten russischen Dichters vor allem das gesellschaftliche Leben in Russland und Gogols spezifische Religiosität in den Mittelpunkt rücken.

Keine Handlung

Ob Auerbach besser beraten gewesen wäre, sich für dieses Projekt eines eigenen Librettisten zu versichern, nicht darauf zu vertrauen, dass sie selbst ihr bester Textdichter sei? Denn gegliedert in drei Akte und sieben Szenen, in denen versucht wird, ein Bild der schwierigen Seelenlandschaft Gogols zu entwerfen, ergibt sich keine wirkliche Handlung, vielmehr eine sehr zufällig erscheinende Szenenabfolge, die redundant einen vom Teufel besessenen Titelhelden zeigt, der nicht mehr weiß, was seine eigentliche Identität ist, immer wieder Zuflucht bei der Religion sucht.

Entsprechend bevölkern Hexen und Dämonen die Bühne - wenigstens in dieser auf Tempo und Buntheit setzenden Inszenierung von Christine Mielitz auf der so gut wie ohne Requisiten auskommenden Bühne von Johannes Leiacker, der virtuos auf die gestalterischen Mittel einer schiefen Ebene setzt, die sich schließlich zu einer Art Tor erhebt, hinter der Gogol entschwindet. Übrig bleibt vor dem Vorhang nur ein Kind, jener Hoffnungsträger, welcher der Dichter selbst bis zu seinem Ende sein wollte, mit einer Kerze als Zeichen für Erlösung.

Man muss schon eine Könnerin wie Mielitz sein, um Auerbachs ziemlich amorph wirkenden Figuren Leben einzuhauchen. Tatsächlich vermag sie jedem, egal ob Tod oder Teufel, der hier als doppeltes Ich auf die Bühne gebrachten Titelfigur, den um Gogol erfolglos buhlenden Frauen oder auch dem schon durch die entsprechende Kostümierung (Kaspar Glarner) das alte Russland ideal suggerierenden Volk klare Konturen zu geben und einen in sich schlüssigen Charakter zuzuordnen.

Eine auch deshalb nicht genug zu würdigende Leistung, weil nicht nur das Libretto nicht hält, was im Vorfeld versprochen wurde, sondern auch die Komponistin Lera Auerbach enttäuscht. Mit kaum anderem als konventionellen expressiven Mustern, die da und dort rhythmisch abwechslungsreicher akzentuiert werden, illustriert sie den Text. Keine Melodiefolgen, welche wenigstens die Hauptdarsteller deutlich von den übrigen abheben würden. Auch die Anklänge an die russische Tradition oder die offensichtlich von Schostakowitsch abgeschaute Ironie scheinbarer Heiterkeit wirkt, wo sie eingeblendet werden, aufgesetzt, ohne Eigenständigkeit, bar jeder Originalität.

Dabei versucht Vladimir Fedoseyev am Pult des gewohnt exzellent aufspielenden ORF-Radiosymphonieorchesters sichtbar alles, um dieser eklektizistischen Musik zum Erfolg zu verhelfen. Er sorgt für eine ideale Korrespondenz zwischen Bühne und Orchestergraben und ist den Interpreten ein idealer Begleiter.

Todestanzatmosphäre

Hier sind es vor allem die Darsteller der beiden, die ewige Spaltung des Dichters symbolisierenden Figuren des Gogol, Martin Winkler und Otto Katzameier, die sich den virtuosen Anforderungen der Partitur souverän stellen. Engagiert, wenn auch zuweilen mit einigen Intonationsproblemen, das übrige gut aufeinander abgestimmte Ensemble mit Ladislav Elgr als effektvollem Teufelsdarsteller, der zu grell kostümierten Natalia Ushakova als hinterlistiger Hexe, dem von Stella Grigorian glaubhaft verkörperten Tod und dem jungen Sebastian Schaffer in der Rolle des Nikolka an der Spitze.

Arila Siegerts Choreografie erinnert unaufdringlich an die das Stück durchziehende Todestanzatmosphäre, und gleich drei Vokalensembles - der Arnold Schoenberg Chor, die Grazer Kapellknaben und der Mozart Knabenchor Wien - gestalten die komplexen Chorparts dieses mit Unterstützung des Wiener Mozart-Jahres, der Galerie Sistema und von Viacheslav Sheianov zu Ehren von Raisa Sheianova realisierten Auftragswerks des Theaters an der Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung